Ausstellungsbesprechungen

Pablo Picasso – Suite Vollard, Kunstsammlungen Chemnitz, bis 18. November 2012

Eine Welt abseits von Unsicherheiten und Zwängen des alltäglichen Lebens präsentiert Picasso in seiner Grafikfolge »Suite Vollard«. Er nimmt den Ausstellungsbesucher mit auf eine Reise in die Antike, zu bacchantischen Feiern, dem Minotaurus und natürlich seiner damals aktuellen Geliebten. Rowena Fuß hat sich die Ausstellung seines Werks in Chemnitz angeschaut.

Die Suite Vollard könnte man als das »visuelle Tagebuch« Picassos bezeichnen, so Kerstin Drechsel, die Kuratorin der Ausstellung. Denn er hält in 100 Druckgrafiken fest, was ihn zwischen 1930 und 1937 beschäftigt hat: die Beziehung zwischen Mann und Frau, die Antike und Rembrandt. Dabei sticht sein Interesse für die mythische Figur des Minotaurus hervor, mit dem sich der Stierkampffan Picasso identifizierte. Er formuliert eine neue Lesart des Mythos ohne Labyrinth und menschlichen Opfergaben. In Picassos Version laden frei bewegliche Minotauren Bildhauer und ihre Modelle zu bacchantischen Orgien und Gelagen ein. In »Minotaurus, eine schlafende Frau liebkosend« hebt Picasso die paradoxe Doppelnatur des Stiermenschen hervor: Zärtlichkeit und Zivilisiertheit auf der einen und Unbezähmbarkeit auf der anderen Seite.

Die Blätter sind Ausdruck einer künstlerischen Selbstbefragung Picassos. Dabei darf die Hommage an seine damalige Muse Marie Thérèse Walter nicht fehlen. In vertrauter Zweisamkeit ist das Duo vielfach in der Serie verewigt. Oft mit einem Blumenkranz im Haar kuschelt sich eine Frau mit den Zügen von Marie Thérèse an einen alten Bildhauer mit Bart oder betrachtet mit ihm ein Werk, dass er gerade schafft.

Picasso arbeitete zur Entstehungszeit der Suite weniger als Maler denn als Bildhauer und Grafiker. Im Dialog mit der Antike beließ er es jedoch nicht beim bloßen Kopieren eines klassischen Schönheitsideals. In der Auseinandersetzung mit Rembrandt bekamen manche Frauenfiguren eher dralle denn strenge Formen. »Zwei Bildhauer vor einer Statue« versinnbildlichen dies: Wie zwei Künstler über Kompositionsfragen diskutierend, sitzen zwei bärtige Männer vor dem stehenden Modell mit üppigen Kurven. Ihre Köpfe sind relativ detailliert im Profil wiedergegeben. Deutlich sind bei dem vorderen Haar- und Bartlocken zu erkennen. Im Gegensatz dazu hat die betrachtete Frau kein Gesicht, ist anscheinend austauschbar. Es zählt allein der Blick des Bildhauers: Erkundend, analysierend, abwägend fährt er mit den Augen die Formen des Modells ab. Danach kann er sie aus dem Stein hauen.

Weitere Auseinandersetzungen mit Künstlern wie etwa Manet oder Goya werden in »Ruhende Frauen« sichtbar. Im Vordergrund sitzt eine Abwandlung von Manets nackter Dame aus »Das Frühstück im Grünen«, während sich im Hintergrund eine Maja à la Goya räkelt. Doch auch Hinweise auf erst kürzlich vergangene Perioden in seinem eigenen Werk streut Picasso in den Zyklus: Sein »ruhender Bildhauer vor einer Skulptur von Akrobaten« verweist auf seine rosa Periode (1905-07), in der er Zirkusmenschen malte.

Picassos Vielseitigkeit zeigt sich außerdem in der Nutzung verschiedener Techniken: Radierung, Aquatinta, Kaltnadel sowie einem Mix aus zweien plus Schaber oder Grabstichel. Alles in allem vermittelt die Serie eine Lust am grafischen Experimentieren.

Die Suite Vollard ist der erste große zusammenhängende Zyklus in Picassos grafischem Werk. Neu ist nicht nur der serielle Charakter, sondern auch die ausgedehnte Darstellung einer Entwicklung, ähnlich einem Tagebuch. Picasso soll dem Kunsthändler Vollard die Sammlung im Tausch für zwei Bilder von Renoir und Cézanne überlassen haben. Nach dem Tod des Förderers 1939 wurden viele Einzelblätter aus den 260 gedruckten Suiten verkauft, so dass nur sehr wenige vollständig erhaltene Exemplare überlebt haben. Die in Chemnitz präsentierte Folge gehört einem süddeutschen Sammler, der sie erstmals öffentlich ausstellen lässt. Und so schnell wird eine komplette Suite nicht wieder zu sehen sein.

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