Ausstellungsbesprechungen

Paul Klee - Engel, Hamburger Kunsthalle, bis 7. Juli 2013

Einer der populärsten Maler des 20. Jahrhunderts wird mit seinen allseits beliebten Engeln in der Hamburger Kunsthalle ausgestellt, just, da der Kirchentag unmittelbar bevorsteht: Ein großer Publikumserfolg dürfte sich unter diesen Umständen kaum vermeiden lassen. Stefan Diebitz stellt die Ausstellung vor.

Engel sind im christlichen Kulturkreis ein fester Bestandteil kindlichen Denkens – sie sind etwas durch und durch Gutes und Freundliches, und sie haben Flügel. Eben an den Flügeln kann man auch die Engel Klees erkennen, aber durch und durch gut kann man sie nicht in jedem Fall nennen, denn schlechte oder auch nur weniger gute Eigenschaften sind ihnen nicht fremd. Keine reinen Lichtwesen also. Ein Kapitel des Kataloges ist deshalb mit »Gefallene Engel. Gut und Böse« überschrieben, womit auf den Sturz Luzifers angespielt wird. Eine der späten Zeichnungen, lapidar »Sturz« genannt, nimmt diesen Mythos auf, eine andere Zeichnung ist »Leviathan« betitelt und zeigt eine Art Krokodil, von dem die Kuratorin Karin Schick behauptet, es stamme aus dem Kasperletheater. Und es sieht auch wirklich so aus: Trotz seines großen, aufgerissenen Maules scheint es nicht wirklich gefährlich. Dagegen zeigt »Sturz« ein verbogenes, wüst starrendes, wohl auch zutiefst unglückliches Wesen, also nicht unbedingt das, was man sich unter einem himmlischen Lichtwesen vorstellt.

Der bekannteste Engel Paul Klees ist zweifellos der »Angelus novus«, dem Reto Sorg im Katalog einen eigenen umfangreichen Beitrag gewidmet hat. Er beginnt damit, dass er diesem Bild abspricht, »zu Klees bedeutendsten Werken« zu zählen, und hebt damit ganz und gar auf die Wirkungsgeschichte des Blattes ab, die natürlich von seinem ersten Besitzer, Walter Benjamin, seinen Ausgang genommen hat: Benjamin verstand den »Angelus novus« als »Engel der Geschichte«.

Auf Engel bezogen sich auch andere Künstler und Dichter jener Jahre, und es ist höchst merkwürdig, dass die Engel, die vielleicht noch populärer wurden als der Engel Klees und Benjamins, weder im Beitrag von Sorg noch, wenn ich es richtig sehe, sonst im Zusammenhang mit dieser Ausstellung erwähnt werden: Es sind die Engel, die in den »Duineser Elegien« Rainer Maria Rilkes und besonders zu Beginn des ersten Gedichts eine so große Rolle spielen: Bei »und gesetzt selbst, es nähme einer mich plötzlich ans Herz«, überläuft es so manchen, und das abschließende »Ein jeder Engel ist schrecklich« ist heute fast sprichwörtlich. Von der Schrecklichkeit der Engel Klees könnte man kaum sprechen, und ich empfinde sie auch nicht als Ausdruck von Spiritualität. Für Kirchentagsbesucher fällt also vielleicht nicht gar so viel ab.

Klees Engel sind keine Boten, wohl aber Figuren des Übergangs, weshalb ein Raum auch »Engel im Werden« überschrieben ist. Als ein Symbol des vorläufigen Charakters aller Lebensstadien kann man die horizontale Linie verstehen, die sich durch viele der Zeichnungen Klees zieht. In ihrem Katalogbeitrag weist Christine Hopfengart mit einer feinen Beobachtung daraufhin, dass sich in auffällig vielen Werktiteln das Wörtchen »noch« findet (zum Beispiel »Engel, noch weiblich«): eben das »noch« macht den vorläufigen Charakter eines Zustandes deutlich. Auf allen Bildern sind es keine Heerscharen von Engeln, sondern in jedem Fall einzelne Wesen.

Die ältesten in Hamburg ausgestellten Zeichnungen sind von dem fünfjährigen Paul Klee gemalt, und Gregor Wedekind nimmt in seinem Katalogbeitrag für eigentlich alle Engelsbilder in Anspruch, dass sie »die Evokation eines Kinderglaubens« seien. Man mag das gerne glauben. Auch aus Klees mittleren Lebensphasen finden sich einige Arbeiten, so dass man sagen kann, dass Engelsbilder sich durch sein gesamtes künstlerisches Schaffen ziehen, denn der überwiegende Teil der Ausstellung stammt aus den beiden letzten Lebensjahren Klees. Er verbrachte sie in der Schweiz, als er, unheilbar an Sklerodermie erkrankt, den Tod bereits vor Augen hatte. Sklerodermie ist eine Autoimmunerkrankung, die zu einer Verhärtung der Haut führt und deshalb, für einen Künstler besonders schwerwiegend, auch die Bewegungen der Hand beeinträchtigt. Dazu kam offenbar eine Art innere Verhärtung, unter der Paul Klee sehr litt.

In dieser zweifellos ungemein schweren Zeit unmittelbar vor seinem Tod war der Künstler außerordentlich produktiv und fertigte eine Unzahl von Zeichnungen an, oft Serien, die in Hamburg auch entsprechend gehängt sind, sich also in Gruppen an der Wand befinden. Tags darauf in einer Aktion, die er selber »Buchhaltung« nannte und offenbar sehr liebte, ordnete Klee seine Arbeiten sorgfältig, schnitt sie also aus, klebte sie auf und versah sie mit Titel und Datum. Eigentlich alle Arbeiten sind deshalb benannt, oft ironisch; manchmal hilft es beim Verständnis, manchmal nicht. Auffällig ist es, wie oft er Zustände eines schwebenden Gleichgewichts zeichnet und anspricht, also Balance, Wippen oder Tanzen.

Die Zeichungen überwiegen, und manche – das sind meine liebsten – sind geradezu minimalistisch. Mit ihrer schönen Farbgebung müssen die Ölbilder unter den eher blassen Zeichnungen besonders auffallen. Schon deshalb ragt »Das letzte Stilleben« Klees heraus, das tatsächlich auch so heißt, ein wunderbares Ölbild mit leuchtenden einfachen Farben auf einem dunklen Grund – aber auch ein kryptisches Bild, dessen Einzelheiten sich kaum dechiffrieren lassen.

Die Hamburger Ausstellung ist die Übernahme einer Ausstellung, die, vom Zentrum Paul Klee konzipiert, zuvor in Bern und im Folkwang-Museum in Essen gezeigt wurde. In Hamburg allerdings werden die Werke Klees zusammen mit Engelsdarstellungen aus der europäischen Kunstgeschichte gezeigt – in einem Raum finden sich Bilder von Schongauer, Dürer, Tiepolo, Rembrandt, Rubens, Runge (»Der kleine Morgen«), Chagall, Ensor und anderen großen Meistern. Diese Bilder fehlen natürlich im Katalog.

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