Buchrezensionen, Rezensionen

Paul von Naredi-Rainer/Johann Konrad Eberlein/Götz Pochat (Hrsg.): Hauptwerke der Kunstgeschichtsschreibung, Alfred Kröner Verlag 2010

Der Band zeichnet die Entwicklung der Kunstgeschichte anhand von zentralen Werken der Kunstgeschichtsschreibung aus den letzten sechs Jahrhunderten nach. Damit wäre er optimal für Studenten der Kunstgeschichte geeignet. Ob dies der Fall ist, verrät Ihnen Christian Welzbacher.

Als »Geschichte der Kunstgeschichte in Einzelstudien« könnte man das Lexikon »Hauptwerke der Kunstgeschichtsschreibung« verstehen. 169 Analysen kapitaler kunsthistorischer, kunstwissenschaftlicher, bildwissenschaftlicher Publikationen reihen sich aneinander, sortiert alphabetisch nach den Anfangsbuchstaben des Autors. Warum? Man weiß es nicht, hätte sich doch aus der Chronologie eine viel einleuchtendere Stringenz ergeben. Dass die Herausgeber diese Option erwogen haben, zeigt die tabellarische Konkordanz am Ende des Bandes. Aus ihr wird dann plötzlich deutlich, zu welcher Zeit durch welche Autoren in welchen Teilbereichen der Wissenschaft wichtige Impulse gesetzt worden sind – und diesen Effekt hätte man ähnlich, besser, stringenter mit einer am Zeitstrahl orientierten Einteilung des Buchs insgesamt gehabt.

Sei’s drum – nächster Aspekt: die Frage, ob die Auswahl gelungen ist. Im Großen und Ganzen sicher, wobei gleich dazu gesagt werden muss, dass nicht alle Teile dieser Welt abgedeckt werden konnten. Bücher zu Ostasiatika, dem Islam und auch Werke, die sich mit Indien befassen, fehlen. Dies stellt insofern ein Manko dar, als die Entdeckung dieser Erdenwelten für das Verständnis der europäischen Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts essentiell ist. Dafür aber hat man innerhalb des abgedeckten Terrains, das die zentralen, bis heute als Kernbereiche wahrgenommenen Interessensfelder der Kunstgeschichte (inklusive Fotografie) umfaßt, eine breitgefächerte Auswahl getroffen, die auch interdisziplinär angelegte, journalistisch-kunstkritisch aufgefasste Werke und die Literatur mit einbezieht (darunter ein kraftvoller Text zu Goethes »Von deutscher Baukunst«).

Sollte man fragen, was fehlt, so würde der Rezensent zwei, drei Bücher benennen: Hubert Schrades am Rand des Faschismus erzählte Geschichte des »Deutschen Nationaldenkmals« (1934) und Lotte Eisners Pionierarbeit »Die dämonische Leinwand« (vielleicht gefolgt von einer der Schriften Siegfried Kracauers). Denn es war die Eisnerin, die 1952 als erste begriffen hatte, dass der Kunsthistoriker auch für bewegte Bilder zuständig sein sollte, sowie umgekehrt bewegte Bilder es wert sein können, in den Zuständigkeitsbereich dieser wissenschaftlichen Disziplin zu fallen.

Nicht alle Texte weisen den gleichen intellektuellen Durchdringungsgrad, die gleiche Sprachfähigkeit und die gleich Lust an der Kritik auf. Ja, man muss sagen, dass das Gefälle sogar recht groß ist – und dies liegt interessanterweise nicht notwendig am Autor, sondern am Verhältnis von Autor und Gegenstand, das in manchen Fällen hätte optimiert werden können. Bisweilen wurden ausgewiesene Experten für den einen oder anderen Kunsthistoriker gefunden, und so kann das jeweils besprochene Werk mit äußerster Prägnanz verdichtet nacherzählt, eingeordnet, analysiert werden.

In Einzelfällen aber stößt man auf Dokumente der Ratlosigkeit. Sigfried Giedions »Space, Time and Architecture« ist zu wenig im Kontext der Architekturhistoriographie der Moderne und ihrer Strategien verortet (benannt sei: Gustav Adolph Platz’ Propyläen-Kunstgeschichte-Band »Die Baukunst der neuesten Zeit«). Peinlich wird es gar bei Walter Benjamins Text »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit«, den man in blechernem Duktus referiert bekommt, ohne tiefergehende Analyse, ohne intellektuellen Kontext, ohne die gewaltige Rezeption in der Nachkriegszeit. Man erfährt nicht einmal, wozu der Text im vorliegenden Band erscheint. An dieser Stelle beschleicht einen der Eindruck, das Buch sei – wie der Klappentext behauptet – »unersetzlich für Studierende« vor allem zur Abschreckung.

Doch es sei auch vermerkt, dass der an Benjamin sträflich gescheiterte Autor an anderer Stelle zur Hochform aufläuft und dabei das tut, was die meisten Texte leisten: Das jeweils präsentierte Buch in Kernthesen und Leitgedanken vorzustellen, in die Biografie des Autors und die Strömungen der einzelnen Forschungsgebiete einzubetten, schließlich die Wirkung nachzuzeichnen. Am Ende jedes drei bis vier Buchseiten umfassenden Aufsatzes befinden sich eine Zusammenfassung der Angaben zum Buch sowie zu Rezensionen und Tertiärliteratur. Man hätte hier gern auch etwas über Buchformate, Seitenumfang, Bildmengen, Reproduktionstechniken gelesen (nicht selten sind diese Angaben in den Text gestreut). Auch die eine oder andere Abbildung eines Covers oder einer Buchinnenseite hätte das vorliegende Lexikon bereichert.

Ob sich der Band bewährt, ist schwer zu sagen, zumal ja Urteile über Bücher und Texte recht zeitgebunden sind (die Lexika des traditionsreichen Kröner-Verlags sich aber zumeist auf Dauer beweisen). Ob sich das besonders angesprochene studentische Zielpublikum durch einen Blick in dieses Buch über die Geschichte der gewählten Disziplin orientiert, ist sogar noch schwieriger zu sagen. Schließlich gibt es etliche Konkurrenzprodukte zur Geschichte der Kunstgeschichte, die in diesem Band auch zitiert werden. Manch etwaiger Käufer wird fraglos vor dem Preis zurückschrecken, der mit 50 Euro gesalzen ist. Wenngleich also am Ende dieser Rezension (leider) kein rückhaltlos enthusiastisches Urteil stehen kann, bleibt den Lesern immer noch der Gang in die Bibliothek: In drei bis vier Minuten ist man dann mit ein bisschen Glück mehr oder weniger solide über einen dieser »Klassiker« der Kunstgeschichtsschreibung informiert, geht beschwingt (oder doch verwundert) nach Hause und gibt das Geld an anderer Stelle aus.

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