Buchrezensionen

Peter Heine: Märchen, Miniaturen, Minarette. Eine Kulturgeschichte der islamischen Welt, Primus 2011

Peter Heine legt mit seinem Buch erstmals eine umfassende Kulturgeschichte der islamischen Welt vor − sowohl zeitlich als auch geografisch. Es ist dazu geeignet, den Blick zu weiten und im Islam nicht mehr nur die Problemreligion zu sehen, findet Rowena Fuß.

»Herr, in einer sehr reichen und großen Hauptstadt Chinas, deren Name mir im Augenblick entfallen ist, lebte ein Schneider, namens Mustafa, der sich von anderen Menschenkindern weiter durch nichts unterschied, als durch sein Gewerbe. Dieser Schneider Mustafa war sehr arm, und seine Arbeit warf ihm kaum viel ab, daß er, seine Frau und sein Sohn, den Gott ihnen geschenkt hatte, davon leben konnten. Die Erziehung dieses Sohnes, welcher Aladdin hieß, war sehr vernachlässigt worden, so daß er allerhand lasterhafte Neigungen angenommen hatte.« Die wundersame Geschichte des Taugenichts und Diebs Aladdin, der doch noch sein Glück findet, ist wohl eines der bekanntesten Märchen aus 1001 Nacht, die eines der populärsten Exportgüter aus dem orientalischen Kulturkreis sind.

Der Erfolg der Märchen soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es nicht auch in anderen Bereichen Berührungen zwischen Westen und Osten gab. Peter Heine begrenzt seine Kulturgeschichte allerdings auf Religion, Literatur, Musik, Kunst und Handwerk. Medizin, Naturwissenschaften, Technik und Wirtschaft blendet er aus, obwohl gerade in diesen Gebieten ein äußerst bemerkenswerter Austausch zwischen Orient und Okzident stattfand.

Der Pisaner Fibonacci war es beispielsweise, der im 13. Jahrhundert nach langen Studienaufenthalten im Mittelmeerraum Erkenntnisse der arabischen Mathematik in seine Heimat brachte und als Erster mit den arabischen Ziffern und ihrer Systematik vertraut machte. Gerhard von Cremona, ein mittelalterlicher Gelehrter, übersetzte in Toledo zahlreiche naturwissenschaftliche Abhandlungen aus dem Nahen Osten, darunter die astronomischen Schriften Mash'allahs und den Kanon der Medizin Ibn Sinas, die intensiv rezipiert wurden. Der Wissenstransfer setzte sich von Spanien und Sizilien fort über Frankreich bis nach England und Deutschland. Erst ab dem ausgehenden 15. Jahrhundert und dem Ende der politisch-militärischen Kontrolle Südspaniens und Siziliens zog man eine scharfe Trennlinie zwischen den Kulturkreisen. Doch verhinderte der religiös-weltanschauliche und machtpolitische Gegensatz nie, dass Brücken gebaut wurden, Handelsstraßen entstanden und ein Austausch erfolgte. Zwischen Abend- und Morgenland gab es nie einen Eisernen Vorhang.

Interessant ist außerdem, dass Heine für seine Kulturgeschichte nicht etwa den eher dichterischen Begriff Orient gewählt hat, sondern den Islam und dessen Verbreitungsgebiet (Naher und Mittlerer Osten, Süd- und Südostasien) als Determinanten für den untersuchten Kulturraum wählt − gerade den Begriff, der im Westen zumeist negativ konnotiert ist. In der breiten Öffentlichkeit bedeutet Islam unterdrückte Frauen, Selbstmordattentäter und Blutrache.

Natürlich steckt mehr in diesem Kosmos. Und der emeritierte Islamwissenschaftler präsentiert uns in seinem Buch nicht weniger als einen konzentrierten (Über)Blick auf die Geistesgeschichte des islamisch geprägten Raumes. Auf knapp 40 Seiten informiert er uns zu Beginn über den Propheten Mohammed, die fünf Säulen (Glaubensbekenntnis, Gebet, Almosen, Fasten, Pilgerreise), religiöse Mehrheiten und Sekten sowie das islamische Recht. Die Kapitel zu Kunst, Literatur usw. umfassen jeweils etwa 30 Seiten und geben Auskunft über großartige Erzählungen und wichtige naturwissenschaftliche Abhandlungen, über das Bilderverbot und die Architektur von Moscheen, Palästen oder Karawansereien, über die Stimme als musikalisches Instrument und Textilien als Grundlage für Kleidung, Teppiche und mobile Behausungen. Dabei greift Heine zeitlich vom 8. Jahrhundert bis in unsere Gegenwart. Viele Illustrationen und ein luftiges Layout laden den Leser dazu ein, mit ihm auf Entdeckungsreise zu gehen.

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