Ausstellungsbesprechungen

Peter Bialobrzeski „Urban Structures“. Ausstellung in der Robert Morat Galerie Hamburg bis zum 8. Juli 2009.

Die Robert Morat Galerie in Hamburg präsentiert einen Querschnitt der photographischen Arbeit des 1961 in Wolfsburg geborenen Künstlers Peter Bialobrzeski, der mit seinen Ausstellungsprojekten und Buchveröffentlichungen „Neontigers“ (2004), „Heimat“ (2005) und „Lost in Transition“ ( 2006) international auf großes Interesse stieß. Für seine atmosphärisch dichten Portraits asiatischer Megacities, die neben weiteren Werkserien gegenwärtig in Hamburg zu sehen sind, erhielt der Photograph 2003 den renommierten World Press Award.

Die Ausstellung „Urban Structures“ legt den Fokus auf die Themen „Urbane Landschaft“ und „Architekturdokumentation“ und gewährt uns dergestalt Einblick in Strukturen der Großstädte Asiens. Gezeigt werden in erster Linie Photographien aus den urbanen Ballungsräumen, die Bialobrzeski auf Reisen in den Jahren 2000 bis 2008 aufgenommen hat. Die Bilder aus den beiden bereits publizierten Serien „Neontigers“ und „Lost in Transition“ treten dabei in einen überaus fruchtbaren Dialog mit den aktuellen Werkgruppen des Künstlers – „Paradise Now“ und „Case Study Homes“.

In der Serie „Neontigers“ verschmelzen die sieben asiatischen Metropolen Bangkok, Kuala Lumpur, Hongkong, Shanghai, Jakarta, Singapur und Shenzhen zu einer virtuellen Megalopolis. Die Bilder winden sich zwischen realistischen, vertrauten Architekturteilen und bizarrer, surrealer Farbwirkung und konfrontieren den Betrachter schließlich mit beängstigend menschenleeren und von Megalomanie geprägten Stadtansichten.

Auch in der Serie „Lost in Transition“ ist die Stadt Dreh- und Angelpunkt des Photographen. Hier begegnen dem Betrachter Großbaustellen, verlassene Straßenfluchten oder brachliegende Industriegebiete, Orte also, in die sich der temporeicher Wandel eingeschrieben hat. „Fabrikanlagen können zu Dienstleistungs- oder Kreativzentren, Slums zu Autobahnkreuzen, Häfen zu Containerparks, Bahnhöfe zu Shopping Malls, Postämter zu Museen transformiert oder schließlich ganz abgebrochen werden“, wie Michael Glasmeier es in der Einleitung des gleichnamigen Bildbandes formuliert. Die photographischen Arbeiten, die meist in der abendlichen Dämmerung entstanden, sind Zeugen einer sich global immer ähnlicher werdenden, kühl-distanzierten Großstadtwelt, in der Menschen nur noch Protagonisten zweiten Rangs sind. Die Bilder dokumentieren den rasanten Wandel, bilden aber zugleich einen Ruhepol, der Lärm und Hektik der Städte im Akt des Photographierens ästhetisch einfriert.

Mit der Werkgruppe „Paradise Now“ nähert sich Bialobrzeski von einer anderen, keineswegs aber minder kritischen Seite dem städtischen Lebensraum an. Während die Architektur auf diesen Aufnahmen zusehends marginalisiert wird, rückt die Natur ins Zentrum. Dem Betrachter begegnen dabei sowohl inszenierte als auch vom Stadtwachstum unberührt gebliebene Naturrelikte, die sich in der künstlich beleuchteten Infrastruktur asiatischer Großstädte einen Raum erkämpfen konnten. „Die Bilder zelebrieren das üppige Grün als Zeichen der Hoffnung,“ so der Photograph, „werfen aber auch die Frage auf, ob wir dieses Leuchten angesichts der prognostizierten Klimakatastrophe überhaupt noch verantworten wollen.“ In der Tat haben wir es hier nicht mit dem biblischen Paradies oder jenem in der antiken Schäferdichtung besungenen locus amoenus zu tun, sondern mit einem vom Menschen bedrohten Naturraum, der nur auf den ersten Blick an die märchen- oder traumhaft anmutenden Urwaldszenen von Henri Rousseau erinnert, bei genauem Hinsehen aber einen beängstigenden, verstörenden Beigeschmack erhält.

Als Peter Bialobrzeski im vergangenen Jahr im Rahmen eines Projektes in Manila Stadtstrukturen photographierte, sollte eine Slumsiedlung zwischen zwei Containerterminals lediglich Ort für wenige Aufnahmen werden. Neue Aussagekraft gewannen die Werke der Serie „Case Study Homes“ jedoch mit dem Zusammenbruch der Lehman Brothers Bank und der medialen Paranoia vor einer zweiten großen Weltwirtschaftskrise. Zwar gab es bereits zuvor einen Bezug zu den Aufnahmen der verarmten Landbevölkerung, die im Auftrag der Farm Security Administration in den 1930er-Jahren in den USA entstanden waren – denken wir beispielsweise an die ausgemergelte Wanderarbeiterin mit ihren Kindern, 1936 von Dorothea Lange in Kalifornien aufgenommen –, doch dokumentieren Bialobrzeskis Werke nun erneut die wirtschaftliche Abhängigkeit der Zivilgesellschaft. Neben dieser Zeitbrücken schlagenden Dimension würdigen seine Photographien den Wunsch der Menschen, sich ein Heim zu schaffen und präsentieren uns die Kreativität und das hartnäckige Ja zum Leben, die diesen aus Zivilisationsmüll gebauten Unterkünften innewohnen. Es ist nicht der Blick in einen schwindelerregenden Abgrund, sondern eine bemerkenswert einfühlsame und zugleich überraschend unpathetische Perspektive auf den menschlichen Lebenswillen.

Die Ausstellung „Urban Structures“ überzeugt durch eine wohl strukturierte Hängung in stimmungsvollen, hellen Räumlichkeiten und ganz besonders durch die scharfsinnigen, auf eine nüchterne Weise poetischen, irritierenden und verstörend magischen Photographien Peter Bialobrzeskis. In diesem Sinne ist ein Besuch dieser Präsentation, die Welten ineinander fallen lässt, einfach ein absolutes Muss!

Weitere Informationen

Zur Serie „Paradise Now“ legt der Verlag Hatje Cantz aktuell eine neue Publikation vor.

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