Ausstellungsbesprechungen

Peter Degendorfer & Wolfgang Thiel, Twenty Years Passed

»Twenty years passed« – fast eine Generation liegt über den Daumen gepeilt zwischen der ersten gemeinsamen Werkpräsentation von Peter Degendorfer (geb. 1950) und Wolfgang Thiel (geb. 1951) und heute. Damals standen beide Künstler noch am Anfang ihrer Laufbahn, heute gehören sie als gestandene Kunstschaffende zum öffentlichen Leben – für den Ulmer Degendorfer ist die Ausstellung ein Heimspiel.

Doch ist unübersehbar, dass sich beide Künstler seit Jahrzehnten parallel und mit Blick auf das Werk des jeweils anderen entwickelt haben, sozusagen als Brüder im Geiste, unabhängig davon, dass der eine als Bildhauer, der andere als Maler arbeitet.

 

Sucht man nach den Gemeinsamkeiten, drängt sich natürlich die kräftige Farbigkeit auf. Doch ist zunächst ein Punkt herauszugreifen, der viel über die Kunstauffassung der beiden Künstler aussagt: Beide suchen die Balance. Wenn Peter Degendorfer Farbfelder neben-, hinter- und übereinandersetzt, beschränkt er sich nicht auf eine theoretisch stimmige Pigmentfamilie, wie sie die Vertreter der sogenannten Konkreten Kunst mit mathematischem Kalkül bevorzugen. Im Gegenteil: Degendorfer greift in gestischem Schwung auf die ganze Palette zurück, sucht die Auseinandersetzung unvermischter mit »schmutzigen« Farben, großer mit kleinen Buntflächen, begrenzender Konturen mit offenen Farbstrukturen; dabei gerät die vordergründig sich vermittelnde Abstraktion im Miteinander der Farben zur erfahrbaren Räumlichkeit, werden die Strukturzeichen verdinglicht. Hinter dem Streben nach Balance in fragiler Harmonie mit all seinen Polaritäten und auch Vergeblichkeiten steckt auch die Erkenntnis, dass eine Balance meist polar Entgegengesetztes austariert, sowie die Erkenntnis, dass die subtil in Szene gesetzte Balance auch aus dem behutsam eingestellten Gleichgewicht geraten kann.

 

 

 

Die Balance ist offenbar auch ein zentrales Moment im Werk von Wolfgang Thiel, und das im weitesten Sinne. Ähnlich wie bei Degendorfer geht es Thiel nicht um eine idealistische Harmonie. Es geht um jene Herausforderung des erhabenen Augenblicks, der heute nicht mehr mit der stillen Einfalt und edlen Größe zusammenfallen muss. Die Werke muten einmal archaisch, dann auch wieder ägyptisch an. Nur selten, wenn überhaupt, wird man unter den Skulpturen einen klassischen Kontrapost mit Stand- und Spielbein finden. Im Gegenteil: Thiel sucht die Balance aus der größtmöglichen Spannung heraus – seien es weibliche Figuren, die sich elegant strecken oder die sich gerade, mit seitlicher Drehung, abrupt ducken. Übergreifend sucht der Bildhauer Thiel übrigens auch den Brückenschlag zur Malerei, zur Architektur, zum Theater. So wie er die plastischen Formen additiv zueinander in Beziehung bringt, so setzt er farbige Akzente, die mit der Form spielen; so gestaltet er aber darüber hinaus Räume – vom Bühnenraum bis hin zum Gartenraum – die primär ein Ziel haben: den Raum als solchen zum Erlebnisraum zu machen.

 

 

Fingiert Degendorfer sozusagen einen verinnerlichten Raum, so macht Thiel den existierenden Um-Raum erst als solchen erfahrbar. Die formale Beschäftigung mit der Balance verbindet die Arbeiten Degendorfers und Thiels; aber Verbindendes zeigt sich auch in der affirmativen Ausstrahlung, dem lebensbejahenden Auftreten, das man als gelassen bzw. heiter umschreiben könnte – »heiter« einmal im Sinne des althochdeutschen Wortes »heitar« für ›leuchtend‹ (im Gegensatz zu ›düster‹), zum anderen als Bezeichnung einer leise beglückenden, inneren Haltung (im Gegensatz zu »froh« oder »nett«). Bei gleicher Ausrichtung vermitteln die Gemälde von Peter Degendorfer eine nach innen gerichtete Ruhe, ohne die entsprechende Unruhe des Geheimnisvollen ganz zu verlassen. Wolfgang Thiels Plastiken sind vergleichsweise extrovertiert, ohne die existenzialistisch gefärbte Beklemmungspose im Frühwerk gänzlich zu verlieren. Thiels Figuren gehen auf uns zu, stellen sich uns in den Weg, sind modisch-chic präsent und zwinkern uns zuweilen humorvoll zu. Selten stimmig wirken die Arbeiten Degendorfers und Thiels aufeinander und miteinander, was in dem Ulmer Ausstellungsraum mit seinen gedrungenen Säulen noch verstärkt wird. Hier tönen die Werke der beiden wie in einem zweistimmigen Duett, vielleicht auch einem kontrapunktisch klingenden Kanon.

 

Man darf jedoch nicht pauschal die Gemeinsamkeiten herausstreichen, ohne die individuellen Unterschiede zu vertiefen. Die Gemälde von Peter Degendorfer bleiben in ihrer Ausdeutung offen. Wie aus dem Nichts tauchen zum einen Naturchiffren auf, die sich zur Weite einer Seelenlandschaft auftun; zum anderen lassen sich aus den archaisch-symbolischen Assoziationen in Anbetracht der mysteriösen Zeichen (ein Kopf, eine Hand, eine schemenhafte Person, dann aber auch Gefäßsilhouetten, geometrische Formen, die an Briefumschläge erinnern) fast porträthafte menschliche Züge herausfiltern – wenn man einmal postuliert, dass sich ein Porträt im modernen und postmodernen Bewusstsein nicht mehr allein über die anatomische Referenz definiert. Dominant überlagert wird all dies von einer durch Assonanzen zum Pulsieren gebrachte Farbsymphonie. Rot, Ocker, Pink und Orange finden sich plötzlich in einer spannungsreichen Ausgewogenheit, ein Ultramarin sucht die befremdliche Nähe zu Preußischblau; Orange- und Violetttöne geraten lauernd aneinander. In den jüngsten Arbeiten mischen sich erdig-dumpfe Brauntöne auf blauem Grund bei, Schwarz drängt herein und lässt die Farben nur umso mehr aufleuchten. Der Maler erschafft eine farbig erhöhte, aber annähernd leere Bühne, auf der lineare Zeichen und Farbfelder ein erzählerisches Szenario im räumlichen Bezug entwerfen.

 

 

Muss man sich im Werk Degendorfers das Menschenmotiv noch aus der Seelenschau erschließen, so ist der Mensch das ganz vordergründige Motiv in den Skulpturen und Plastiken Wolfgang Thiels, genauer gesagt: sein Thema ist die Frau. Madonnengleich ist sie zuweilen, unnahbar und zugleich ganz nah. Ein anderes Mal erscheint uns die Frau ähnlich entrückt, aber modisch schrill und anziehend wie ein Mannequin. In anderen Arbeiten steht sie vor uns, schlicht als Menschin: selbstbewusst, aber auch verletzlich. Formal steht dem Bildhauer ein großartiges Repertoire zur Verfügung: Seine Protagonistinnen erscheinen als Vollkörper im Raum, oder sie markieren in riesigen Faltobjekten aus Metall die Fläche im Raum; in jüngster Zeit kamen Drahtmodelle und Stahlröhrenplastiken hinzu, die die Linie im Raum als dreidimensionale Zeichnung einführen. Als ausgebildeter Bühnenbildner begreift Thiel den Raum über den bloßen Um-Raum hinaus; die in seinen Figuren allzeit auffallende Theatralik ist also nicht mit Pathos zu verwechseln, sie hängt zusammen mit dem Mythos von der Welt als Bühne. Wer den Thielschen Figurinen begegnet, fühlt sich in einen Dialog verwickelt, meint fragen zu müssen, wer sie seien, woher sie kämen. Im Gegensatz dazu scheinen wir bei den Gemälden Degendorfers hineinzulauschen, um die Zeichen zu verstehen – die sich anbahnende Kommunikation ist hier eher lyrisch als dialogisch-dramatisch. Weder die metaphysischen Porträts Degendorfers noch die Thielschen Ladies plaudern dabei alles aus, was in ihnen steckt…

 

Von beiden Künstlern sind aktuelle Kataloge lieferbar, die zwar nicht für diese Ausstellung konzipiert wurden, wohl aber einen guten Einblick in deren Schaffen vermitteln. Gerade erschienen ist etwa ein Katalog über die Gärten, die Wolfgang Thiel in Südfrankreich in mühsamer und langjähriger Detailarbeit geplant und realisiert hat.

 

 

 

Öffnungszeiten

Dienstag – Freitag 14–18 Uhr

Samstag/Sonntag 11–17 Uhr

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