Ausstellungsbesprechungen

Phototriennale Hamburg

In Hamburg dreht sich in diesen Tagen alles um das Medium Foto, denn die mittlerweile sechste Triennale der Photografie lädt mit Ausstellungen und Workshops, Vorträgen, einem Symposium und noch vielem mehr zu einer Reise in die Zukunft der Lichtbilder ein. Andrea Richter hat sich umgesehen, was alles los ist.

Ob die Fotografie eine Kunst sei oder jemals eine werden könne, beschäftigte die Kunsttheoretiker seit der Belichtung der ersten Jodsilberplatten und deren Bedampfung mit Quecksilber. Ihre Erfindung zu Beginn des 19.Jahrhunderts wurde zwar als technische Errungenschaft bejubelt, als Kunstform galt sie nicht. Das Fotografieren schien technischer Vorgang, bloßes Abbilden der Natur. Wahre Kunst hingegen, so der damals herrschende Konsens, bedinge die Umformung derselben. Erst mit dem Pictorialismus, Mitte des 19.Jahrhunderts entwickelte sich eine Stilrichtung, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, die Kunstfotografie zu etablieren.

Der erste Direktor der Hamburger Kunsthalle, Alfred Lichtwark, Reformpädagoge und großer Förderer der künstlerisch ambitionierten Fotografie zeigte 1893 in seinem Haus die »1. Internationale Ausstellung von Amateur-Photographen« und verkündete »eine Verwandlung von Schärfe in Unschärfe, von wissenschaftlicher in ästhetische Erkenntnis, von Wahrheit in Schönheit.« Nicht Objektivität, nicht Rationalität, sondern das subjektive Gefühl sei dem Kunstwerk die höchste Instanz. Diese Ausstellung gilt als Meilenstein in der Geschichte der Kunstfotografie. 122 Jahre später soll mit der 6.Triennale der Photographie erneut Geschichte geschrieben werden.

Nicht weniger als 70 Ausstellungen sind bis zum 28. Juni zu sehen, 93 Veranstaltungen, eine internationale Konferenz mit dem Titel »Future Visions«, dazu Portfoliosichtungen, Stadtkunst-Aktionen und Workshops der Agentur Magnum Photos, 500 teilnehmende und ausgestellte Künstlerinnen und Künstler und damit, so Kurator Krzysztof Candrowicz, eine Gesamtübersicht der Generation netzsozialisierter Fotografen. Die wichtigsten acht Hamburger Museen bilden »the core«, das Herz der Ausstellung. Dazu laufen 39 Satelliten Schauen, vier Special Shows und im Containerdorf zeigen Fotografie-Studierende von zehn Hochschulen und Ausstellende von zehn europäischen Festivals von Lodz bis Paris ihre Arbeiten.

Unter dem amüsierten Blick von Fat Phil, einem Porträt des New Yorker Fotografen Phillip Toledano, eröffnete die Triennale. Nicht nur die medienwirksam inszenierte massige Galionsfigur erinnert mit fünf mal fünf Metern in ihren Dimensionen an das amerikanische »the bigger, the better«. Die Kuratoren der Triennale haben sich in vier Jahren Vorbereitung hehre Ziele gesetzt. Nicht nur der Umfang der Veranstaltung ist atemberaubend, auch der inhaltliche Ansatz – vielleicht ist der ein klein wenig größenwahnsinnig. Es geht nicht etwa um eine aktuelle Positionsbestimmung, nein, es geht um die Zukunft der Fotografie.

Der 1968 in London geborene Phillip Toledano beantwortet die Frage auf eine sehr persönliche Art und Weise. Ausgehend von einer Serie mit dem Titel »With my father« einer Arbeit, für die er vier Jahre lang den sterbenden Vater mit der Kamera begleitete, fotografierte er seine eigenen Dystopien. Getrieben von der Angst, eines Tages wie er an Demenz zu erkranken und pflegebedürftig zu sein, entwickelte Toledano verschiedene Zukunfts-Szenarien, Masken und Settings. Für die Werkreihe »Maybe« ließ er sich im Rollstuhl durch New York schieben, oder – sein schlimmster Albtraum - inszenierte sich als gescheiterten Künstler in einem langweiligen Bürojob. Die hoch artifiziell inszenierten Charaktere Toledanos schaffen emotionale Distanz und wirken gleichzeitig verstörend in ihrer perfekten Künstlichkeit.

Mehrere Millionen Bilder werden täglich ins Netz gestellt. Die Bedeutung der massenhaften Generierung digitaler Bilddateien für die Sammlung wird im Museum für Kunst und Gewerbe untersucht. Digitale Revolution oder Kontinuum? Dieser theoretischen Fragestellung gehen die Kuratorinnen mit einem forschenden, vergleichenden Ansatz nach. Aus den 75.000 Fotografien, die die Sammlung des MKG ausmachen, haben sie zehn Kapitel entwickelt, zehn Ordnungen, denen je eine zeitgenössische fotografische Position zur Seite oder entgegen gestellt ist. Unter dem Titel »sharing the world« kontrastieren analoge Reisefotografien des 19. und 20. Jahrhunderts mit Aufnahmen des Dortmunder Fotografen Jens Sundheim, der Bilder von Webcams sammelt, aus dem Netz herunterlädt, ausdruckt und in Serie hängt. In »100 100 Views of Mount Fuji« sind sechs Webcam-Aufnahmen des Mount Fuji zu sehen, formatfüllend, auschnittsgleich, zu unterscheiden anhand der Wolkenformationen und der Lichtstimmung, bei einsetzender Dunkelheit auch Störmomente in der digitalen Bildübertragung. Dem gegenüber stehen schwarzweiße Reisefotografien von Kajima Seibei eben jenes Berges aus den Jahren 1880-1890, als ferne Kulisse am Horizont, im Vordergrund dörfliche Szenen aus Sattatoge, ein kleiner Ort am Fuße des Berges. Die Ausstellung »When we share more than ever« zeigt in aktuellen fotografischen Positionen auch die Reanalogisierung digitaler Bilder mit dem Ziel, sie heraus zu lösen aus dem stetig in Bewegung befindlichen Bilderstrom und ihnen mit künstlerischen Mitteln Materialität und Dauer zu verleihen.

Die Kunsthalle wagt unter dem Titel »When there is hope« das beinahe Unmögliche: Die Zukunft abzubilden. Da Künftiges technikbedingt nicht fotografisch wieder gegeben werden kann, bedient sich die Ausstellung der Hoffnungsträger, oder auch der Hoffnungslosen, zeigt in 100 Fotografien Utopien, Sehnsuchtsorte, Migrationsbewegungen. Arbeiten von 19 Fotografinnen und Fotografen, darunter Yto Barrada, Nan Goldin, Shilpa Gupta und Eva Leitolf reflektieren die Suche nach einer neuen Identität derer, die auf der Flucht vor ihrem alten Leben sind.

In der Ausstellung »snapshot« geht es schließlich um die Veränderungen der Fotografie im Zeitalter des Internet, der Smartphones, von Social Media, Flickr, Facebook und Instagram. Eindrücklich die Bilderberge, die Erik Kessels aus hunderttausenden Fotoabzügen aufgehäuft hat oder die Fotografien von Catherine Balet, die Smartphones, Notebooks und Tablets als einzige Lichtquellen nutzt und damit ihren Bildern etwas Magisches verleiht.

Die Frage nach der kulturellen Bedeutung aktueller Entwicklungen in der Fotografie wird auf der Triennale aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet, oft präzise, manchmal vordergründig, auf jeden Fall sehr umfassend und erhellend, vielleicht sogar zukunftsweisend.

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