Ausstellungsbesprechungen

R. B. Kitaj – Obsessionen, Jüdisches Museum, Berlin, bis 27. Januar 2013

Beinah zwei Jahrzehnte lang war er verkannt in Vergessenheit geraten. Jetzt lässt das Jüdische Museum in Berlin das Leben und die Werke von R.B. Kitaj in einer umfassenden Retrospektive wieder auferstehen. Günter Baumann hat sich auf Entdeckungsreise begeben.

Als 1998 die letzte Retrospektive für R. B. Kitaj in Oslo, Madrid, Wien und Hannover gezeigt wurde, war die Zeit für die figurative Kunst möglicherweise noch nicht so weit – die Aufmerksamkeit verlor sich schnell, der Künstler geriet in Vergessenheit und das Werk in den Schatten einer Pop Art, der Kitaj nie so recht zugehörte. Ob das tragische Ende dieses Einzelgängers der Kunst – er wählte 2007, von persönlichen Schicksalsschlägen gepeinigt, den Freitod – das Augenmerk wieder auf ihn lenkte oder die zwischenzeitlich hochgejubelte Neue Figuration, lässt sich kaum beurteilen. Jedenfalls schaut man heute auf ein fulminantes Schaffen, das im Zeichen der jüdischen Religion, autobiographischer Erlebnisse und einer linksintellektuellen Gesinnung entstand. Die Berliner Ausstellung geht zwar nun zu Ende, aber die weiteren Stationen in London, Chichester und Hamburg im laufenden Jahr machen die Megaschau mit rund 130 Arbeiten zur Gedenkausstellung über den 80. Geburtstag und den 5. Todestag hinaus.

Seinen Namen Kitaj – der kurioserweise auf Russisch »China« heißt – übernahm der 1932 in Ohio (Cleveland) geborene Ronald Brooks von seinem Stiefvater, der vor den Nazis aus Wien in die USA geflohen war, wo er die Mutter des Künstlers – selbst Tochter russisch-jüdischer Einwanderer – kennenlernte. Zeitlebens beschäftigte sich der bibliophile Kitaj mit seiner jüdischen Identität, orientierte sich dabei an den geistigen Werken Franz Kafkas, Walter Benjamins, Hannah Arendts oder Sigmund Freuds. Mit deren Hilfe strebte er nichts weniger an als ein Fundament für eine »jüdische« Kunst.

Seine Malerei hat etwas vom Furor des entfesselten Künstlers: emotional, intellektuell-anarchisch, intensiv, persönlich, rätselhaft und provokant. Mit guten Gründen haben die Ausstellungsmacher der Berliner Retrospektive den Titel »Obsessionen« gegeben. Neben seinen Malerfreunden David Hockney, Lucian Freud und Frank Auerbach gehört er international zu den wichtigsten Vertretern der figurativen Kunst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Unter ihnen war er sicher der eigenwilligste Künstler, der die Grenzen zur Zeichnung und mithin zur Karikatur aufhob. Auch in seinen politischen und intimen Statements ging Kitaj weiter als diese, was womöglich die Rezeption erschwerte. Das Übermaß an Nähe, das er provozierte, war nicht für jeden Betrachter erträglich, wenn dieser nicht auch den Rückgriff auf den (etwa Berliner) Verismus der 1920er Jahre erkannte: Zitathaft verweben sich Bordelle, Theater und die Fragilität des Individuums in das eigene Leben. Eine Faszination für das Verruchte gab Kitaj stets zu erkennen, dafür schlüpfte er auch mal in das Alter Ego seines Stiefvaters (um sich vehement von der Norm des Idyllisch-Familiären und von seinem leiblichen Vater zu distanzieren) und noch deutlicher in die nahezu pseudonyme Person Joe Singers, eines Liebhabers seiner Mutter.

Die Betonung des Jüdischen und der Diaspora sind bei Kitaj trotz aller Manifestationsversuche allein religiös verengt zu sehen. Vor Augen hatte er vielmehr die Exilsituation an sich und die Verfolgung von Minderheiten: Schwule, Afroamerikaner, Künstler und andere mehr. Ihnen allen gibt er Raum auf der Leinwand, in kühner Verrätselung und großer Assoziationsbreite. Darüber hinaus umfasst Kitajs collagenhafter Bildkosmos auch die Kritik an der Verrohung der Sitten, der gängigen Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft. Dabei muss man weder die religiöse noch die weltliche Fachliteratur unter dem Arm tragen, um diese Ausstellung genießen zu können – es reicht fast, sie in den Bibliotheksmotiven aufbewahrt zu wissen (oder zu vermuten). Allein die Chiffren zwischen Van Gogh und Vietnamkrieg sind kaum aufzulösen, vermitteln jedoch Bedeutungsschwingungen, vergleichbar etwa den kafkaesken Grundmustern, die einem einerseits vertraut scheinen, andrerseits jedoch mit Einzelinterpretationen kaum erschöpfend erklärt werden können.

Zudem sprechen die Farben eine eigene Sprache, die Kitajs Werk tatsächlich der Pop Art anverwandelt: knallig in großen Zügen, dann wieder auf zeichnerische Elemente reduziert, darf man sich, rein ästhetisch – frei nach Immanuel Kant: im interesselosen Wohlgefallen –, an den Arbeiten ergötzen. Man denke nur an das erstmals öffentlich gezeigte Werk »Notre Dame de Paris«, das als allegorisches Traumbild, als Referenz an ein Altargemälde von Fra Angelico, als exemplarische Heiligenlegende und geometrisch komponierte, freie Bilderfindung betrachtet werden kann. Die historischen, zeitgenössischen und privaten Details gehen ineinander über, verschmelzen sich zu Bildgeschichten, die wiederum wie Comics zu lesen sind (wenn auch nicht in fortlaufenden Strips, sondern in synchronen, quasi collagierten Gesamtbildern). Manchmal lässt der Bildaufbau an Neo Rauchs erzählerisches Werk denken, das – so gesehen – wie eine Light-Version der obsessiven Arbeiten von Kitaj zu lesen wäre. Es gibt viele Zugänge zu Kitajs Kunst, die die Retrospektivschau gleich mit mehreren Türen aufstößt: Das zutiefst beeindruckende Werk kann (wieder)entdeckt werden.

Weitere Informationen zur Ausstellung

Von Berlin aus wandert die Schau »R. B. Kitaj – Obsessionen« weiter nach Großbritannien ins Jewish Museum London sowie ins Pallant House Chichester, wo sie vom 24. Februar bis 16. Juni 2013 verweilt, und zieht dann vom 18. Juli bis 10. November 2013 in die Hamburger Kunsthalle.

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