Ausstellungsbesprechungen

Reisen mit William Turner, Kunsthaus Apolda Avantgarde, bis 9. April 2012

William Turners herausragende Landschaftsgemälde wurden so manchem Impressionisten zum Vorbild. Aber auch in seinen Druckgrafiken brillierte er mit einer differenzierten Lichtführung und malerischen Effekten. Rowena Fuß hat sich für Sie auf eine Sehreise begeben.

Die Segel gebläht, leicht nach rechts oder links krängend, manövrieren vier Segler auf dem von einer Brise leicht aufgepeitschten Wasser vor einem Pier. Fast dramatisch bricht das Licht von schräg links aus der Wolkendecke und beleuchtet die Szene. Die Radierung mit Mezzotinto ist zweifellos eines der beeindruckendsten Seestücke der Ausstellung. Entgegen den meisten Touristen pilgerte Turner nicht zu den berühmtesten Sehenswürdigkeiten, sondern suchte schlichtere Orte auf, die er zum Motiv für seine Reiseskizzen und späteren Drucke im »Liber Studiorum« machte.

Das »Liber Studiorum« gilt als ein zentrales Werk in Turners Œuvre und als wegweisende Stellungnahme zur eminenten Bedeutung der Landschaft im kulturellen Bewusstsein Europas und den Gattungshierarchien in der Kunst. Sein Gespür für das Spiel des Lichts und seine außergewöhnliche Beherrschung der Aquarelltechnik versetzten ihn in die Lage, eine enorme Vielfalt feinster Nuancen und Stimmungen zu schaffen. Dies setzte er in Mezzotinto fort. Er reiste mit dem Ziel, die Natur in ihren großartigsten Erscheinungen zu studieren. Oft ließ er auch menschliche Tätigkeiten in seine Aufnahmen einfließen.

So hängt kaum drei Schritte weiter vom Manöver-Bild ein kleines, weniger dramatisches Aquarell. Es zeigt eine Menschentraube, die ein Schiff mit gerefften Segeln auf den Strand vor einer Steilküste ziehen. Die Konturen der Bildgegenstände sind leicht verwischt und aufgrund der geringen Größe der Zeichnung sind kaum Details auszumachen. Momente der Ruhe und Bewegung wechseln sich nicht nur in den Motiven, sondern auch in der Hängung ab.

Die tief über der Horizontlinie untergehende Sonne, um die sich die Wolkendecke langsam zuzieht, erschafft eine leichte Anspannung in »Vor aufkommendem Sturm bei Sonnenuntergang ans Land zurückkehrende Fischer«. Diese genial eingesetzte Lichtführung findet sich auch in anderen gezeigten Werken. So beispielsweise in einem Aquarell der Krypta in der ehemaligen Zisterzienserabtei Kirkstall bei Leeds. Diffuses Licht erfüllt das Gewölbe, dessen Fußboden ein kleiner Teich bedeckt. An dessen Ufer ruhen einige Kühe, die durch eine nicht näher definierte Öffnung in der Mauer von einem Lichtstrahl erhellt werden, der sich bis an eine gegenüberliegende Wandöffnung verlängert, in der weitere Teile der Bauruine sichtbar werden.

Diese Ruhe und Beschaulichkeit spiegeln auch einige pastorale Landschaften. Vor einer südlichen Landschaft mit einer Stadtarchitektur und einer zerstörten Brücke befindet sich eine Gruppe von Menschen. Dargestellt ist vermutlich eine mit Eros spielende Minerva. Das störrische Bürschchen versucht ihr zu entkommen und strebt zu einer nahen Tamburinspielerin, aber Minerva hält ihn fest.

Ganz anders dagegen der Blick auf eine scheinbare Geröllwüste. Tief blickt der Betrachter in das abfallende, steinreiche Tal am Ben Arthur in Schottland. Die spektakuläre ausgehöhlte Form des immer dunkler werdenden Tals verbindet sich zudem mit wirbelnden Wolkenmassen zu einem ehrfuchtsvollen Anblick.

Der reiselustige Engländer veröffentlichte bis 1819 insgesamt 71 Mezzotintoradierungen für sein Studienbuch. Es enthält seine bis dato gesammelten Eindrücke von zahlreichen Reisen in Großbritannien, Frankreich, Italien, der Schweiz und Deutschland. Da es als didaktische Handreiche für die Kunststudenten des frisch gebackenen Professors für Perspektive dienen sollte, gliederte Turner die Mappe in die Bereiche Naturlandschaft, historische Landschaft, Gebirgslandschaft, Pastorale, Seestück und Architekturvedute. Dieser Einteilung folgt auch die Apoldaer Schau. Im Untergeschoss sind die Architekturveduten, Gebirgslandschaften und Seestücke zusehen. Im Obergeschoss die pastoralen Landschaften. Alles in allem wird eine großartige Rundumschau der vielfältigen Turnerschen Stimmungslandschaften geboten. Ein Besuch lohnt sich also!

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