Buchrezensionen

Robert Fleck: Die Biennale von Venedig. Eine Geschichte des 20. Jahrhunderts, Philo Fine Arts 2012

Sie ist die älteste und wichtigste Kunstausstellung der Welt: Die Biennale von Venedig. Und doch gab es bis 2009 keinen Überblick über ihre Geschichte. Schon allein deswegen hat Robert Flecks dichte und kurzweilige Darstellung das Zeug zum Klassiker, findet Cornelia Lütkemeier. Das Buch ist nun in zweiter Auflage erschienen.

Den ersten überraschenden Fakt zur Biennale präsentiert Robert Fleck direkt im Vorwort: »Ich war verblüfft nicht nur über das spärliche Material, das in gedruckter Form zugänglich ist, sondern auch darüber, wie wenig in den Archiven der Biennale und der einzelnen Länder von diesen Ausstellungen aufbewahrt wird«, so der ehemalige Intendant der Bundeskunsthalle, der 2007 Kommissar des österreichischen Pavillons war. »Die entscheidenden Bestände zur Geschichte der Biennale von Venedig befinden sich in den Ateliers der Künstler und in ihren Nachlässen.« Unter diesen Umständen sei sein Buch eher als Essay zu verstehen. Und als »nachdrücklicher Appell, so viele Doktoranden wie möglich auf die Geschichte der Biennale loszulassen.«

Lust auf Nachforschungen wecken - das ist Robert Fleck mit seinem Buch in jeden Fall gelungen. In 13 Kapiteln beleuchtet der Kunsthistoriker die Höhe- und Tiefpunkte der ,Biennale d’Arte di Venezia‘: Von der Gründungsveranstaltung im Jahr 1895 bis ins Jahr 2009. Dabei wartet er mit vielen erstaunlichen Fakten auf: Zum Beispiel, warum ausgerechnet das kleine Belgien 1907 den ersten Nationalpavillon präsentierte, wieso die Pavillons in den Giardini den Status von Botschaften haben, dass Gustav Klimt seine Bilder auf der Biennale 1910 im weltweit ersten „White Cube“ präsentierte und damit Museumsgeschichte schrieb und im selben Jahr ausgerechnet ein Bild von Picasso aus der spanischen Abteilung des „Palazzo dell‘esposizione“ verbannt wurde.

In jedem der 13 Kapitel, die mal fünf, mal zwanzig Jahre Geschichte abhandeln, stellt Robert Fleck ein wegweisendes Ereignis in den Mittelpunkt. Das verleiht seinem historischen Überblick oft etwas Schlaglichtartiges - lässt in der Kürze dafür aber verhältnismäßig viel Raum für spannende Anekdoten. Oft sind sie Zeugnisse großen künstlerischen und kuratorischen Muts.
Da wäre etwa der erste Skandal zur Biennalen-Premiere 1895: Giacomo Grossos gesellschaftskritisches Gemälde »Il supremo convegno« zeigte einen Patrizierjüngling beim Gruppensex. Die Ausstellungskommission ließ es hängen - trotz des erbitterten Widerstands der katholischen Kirche.

Ähnlich couragiert: Robert Rauschenberg, der seine meterbreiten Leinwände 1964 per Motorboot in die Giardini transportierte, um sie noch kurzfristig unter freiem Himmel vor dem US-Pavillon aufzuhängen. Oder die Künstler der neuen Leipziger Schule: Sie stellten sich 1990 einfach vor dem Pavillon der DDR auf, um das internationale Publikum auf sich aufmerksam zu machen, das ihnen plötzlich offen stand.

Tragisch dagegen: Die Geschichte des Franzosen Raymond Hains. Er sollte 1968 im französischen Pavillon der Biennale und auf der documenta 4 in Kassel ausstellen - hing wegen der chaotischen Proteste jedoch in Venedig fest. Seinen Plan, Kassel nach Venedig und Venedig nach Kassel zu bringen, konnte er darum nie realisieren. Seinen Frust darüber brachte er später mit einer Werkreihe aus zerrissenen Biennale-Plakaten zum Ausdruck: »La Biennale déformée«.

Neben solchen künstlerischen Anekdoten widmet sich Robert Fleck in seinem Buch aber auch der politischen Vereinnahmung der Biennale durch den Faschismus. Dabei skizziert er nicht nur, wie Mussolini und Hitler die Kunstschau als Propaganda-Instrument nutzten, sondern auch, wie dies bis in die 60er Jahre nachwirkte. So »dass just während der Biennale von 1968 mit Alfred Hentzen ein Museumsmann für die Ausstellung der Bundesrepublik Deutschland verantwortlich war, der 1933 bis 1937 der Mitarbeiter an der Nationalgalerie in Berlin gewesen war.«

Fazit: Leider enthält das Buch keine Fußnoten und auch das Literaturverzeichnis fällt mit 5 Seiten nicht eben üppig aus. Dennoch: In seinem Buch ist Robert Fleck das Kunststück gelungen, wegweisende Ereignisse aus mehr als hundert Jahren Biennale-Geschichte kurz aber anschaulich zu skizzieren. Die perfekte Einstimmung für einen Biennale-Besuch. Und für den einen oder anderen Wissenschaftler hoffentlich tatsächlich Anstoß, die Geschichte der Biennale noch ausführlicher zu porträtieren.

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