Ausstellungsbesprechungen

Sabine & Oliver Christmann: Im Dialog – Von Tag zu Tag, Städtische Galerie Neunkirchen, bis 3. November 2013

In der Ausstellung tauschen sich zwei gegensätzliche künstlerische Positionen intensiv miteinander aus, wobei die Grenzen zwischen Realismus und Abstraktion sukzessiv verschwimmen. Dergestalt finden in Sabine Christmanns poetischen Arrangements abstrakte Elemente Eingang und in Oliver Christmanns dynamischen Farbräumen haben sich Spuren der Wirklichkeit eingeschlichen. Verena Paul hat es sich angeschaut.

Bereits bei Betreten des ersten Ausstellungsraumes empfängt uns das lebhafte grün-rote Farbenspiel Oliver Christmanns, das den Auftakt für den Dialog mit den fragilen, behutsam inszenierten Werken Sabine Christmanns gibt. Obwohl sich in der Begegnung der beiden malerischen Positionen die Unterschiede deutlich abzeichnen, gelingt dem Künstlerpaar zugleich eine beeindruckende Synthese ihrer scheinbar weit auseinander liegenden Denkansätze. Insofern oszillieren die Bilder – »bei allen Differenzen in der malerischen Umsetzung – zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit, Spontaneität und Reflexion, Emotion und Rationalität«, wie Heiderose Langer in ihrem Katalogbeitrag treffend formuliert. Allerdings ist die symbiotische Wirkung bei unserer ersten Betrachtung mehr spür- denn erklärbar. Und so nehmen wir diesen nachhaltigen Eindruck mit ins erste Obergeschoss, wo die Arbeiten von Sabine und Oliver Christmann separiert gezeigt werden.

Zunächst treffen wir auf die von Gelb, Blau, Rot, Grün und all den dazwischen liegenden Farbnuancen dominierte Serie kleiner Querformate von Oliver Christmann. »Ausgangspunkt meiner Arbeit«, erklärt der Künstler, »ist der unmittelbare sinnliche Reiz der Farbsubstanz, der Reiz des Farbtons in Verbindung mit der saftigen Materialität der Malfarbe. Entsprechend offen und unmittelbar ist auch der Malprozess«. Während jeweils die eine Bildhälfte von ruhiger Monochromie bestimmt ist, die nur partiell von kleinen untergelagerten Farbschichten durchbrochen wird, artikuliert sich im zweiten Bildteil ein ungezügelter Farbenrausch. Die übereinander liegenden Farbbahnen öffnen uns die Pforte zu einer bizarren, assoziationsreichen Zauberwelt, die entdeckt, jedoch nicht entschlüsselt werden möchte. Für Oliver Christmann ist das Widersprüchliche des Lebens Antriebskraft: das Prozessuale ebenso wie die Flüchtigkeit eines Augenblicks, das kontrolliert Rationale ebenso wie das eruptiv Emotionale. Allerdings zeugt jedes der in diesem Raum gezeigten Werke von innerer Geschlossenheit.

Harmonie kennzeichnet auch die Arbeiten Sabine Christmanns, die uns im nachfolgenden Raum begegnen. Möglicherweise ist es zunächst die einheitliche Wirkung der Werke und die ihres Kontextes, doch bei näherer Betrachtung erschließt sich uns zudem eine Harmonie in den kleinen, mittelgroßen und großen Formaten. Dabei reichen die Motive von Schnapsfläschchen, Teebeutelverpackungen, die mit Slogans wie »Hol Dir Kraft«, »Freu Dich«, »Muntermacher« oder »Sunny Spirit« versehen sind, über Plastiktragetaschen oder zerknitterte, transparente Bonbon- respektive Gummibärchentüten und Taschentuchpäckchen. »Als Malanlass bevorzuge ich Gegensätze der Alltags- und Konsumwelt, die, befreit von ihrem Zweck und herausgelöst aus ihrem Sinnzusammenhang neu gesehen werden und als Protagonisten wie auf einer Bühne auftreten. Für mich sind sie wie Personen, die in Beziehungen zueinander treten, sich annähern oder absondern und eine Art Stück aufführen, wobei mir wichtig ist, dass nicht nur eine einzige Geschichte entsteht.

Das Geschehen auf der Bühne soll rätselhaft bleiben, mit unsicher spiegelblankem Boden«, erklärt Sabine Christmann und nimmt dergestalt eine überraschend prägnante Charakterisierung der eigenen Kunst vor. Denn jedes noch so kleine Fältchen einer Plastiktüte wird zum großen Erlebnis vor der planen weißen Wand, vor welcher die Objekte ein überraschend intensives Eigenleben entwickeln. Als Bühnenakteure streifen sie die ihnen ursprünglich zugedachte Rolle des wenig beachteten Konsumgutes ab und erzählen voll körperlicher Präsenz und Energie ihre Geschichte neu. In dieser Objektwelt menschelt es ganz unerhört und die Betrachter werden staunen, welch illustrer Charakter sich etwa in einer Taschentuchpackung verstecken kann.

Wunderbares Beispiel einer poetischen Bühneninszenierung ist das große Querformat, das – so zumindest die in Klammern hinzugefügte Erklärung – eine »Impressionistin mit Hase und Hund« zeigt. Sieben Einkaufstüten – sieben Persönlichkeiten. Da wäre zur Linken der Hatje-Cantz-Bücherfreund, der sich Pablo Picassos Aphorismus »Kunst wäscht den Staub des Alltags von der Seele« auf die Stirn geschrieben hat, oder der rechts daneben tänzelnde Poet, der auf seinem weißen Kunststoffleib in schön geschwungener Handschrift den bekannten Vierzeiler Joseph von Eichendorffs trägt: »Schläft ein Lied in allen Dingen, / Die da träumen fort und fort, / Und die Welt hebt an zu singen, / Triffst du nur das Zauberwort.« Beiden Protagonisten fehlt es an Bodenhaftung – wie auch der am rechten Bildrand positionierten schwarzen HMV-Tragetasche, die in Magenta nicht nur die großen Lettern, sondern auch den vor einem Grammophon sitzenden Hund erstrahlen lässt. Im Bildzentrum finden sich schließlich eine elegante, Köstlichkeiten verheißende Schubeck-Tüte sowie eine rosafarbene Papiertasche des Designers Andreas Bloy, die mit einem springenden Hasen als Emblem für home und fashion wirbt. Dahinter dann eine zerknitterte und etwas in Mitleidenschaft gezogene Plastiktüte mit Zebramuster sowie eine Tragetasche, die mit Berthe Morisots Gemälde »Jeune femme au divan« (1885) für die in der Frankfurter Schirn präsentierte Ausstellung »Impressionistinnen« wirbt. Diese Darstellerin ist nicht nur formaler und farblicher Mittelpunkt von Sabine Christmanns Werk, sondern auch mit Blick auf das Dargestellte. Eine junge Frau lächelt uns entgegen und gibt zu erkennen, dass die sie umgebenden Akteure einzig dazu bestimmt sind, sie zu erfreuen: mit feingeistiger Lektüre, Musik, Dekor und Einrichtung, Kleidung sowie mit Gaumenfreuden.

Im Dachgeschoss der Städtischen Galerie können wir schließlich einem fulminanten Crescendo beiwohnen: Durch die Gegenüberstellung der divergierenden künstlerischen Positionen treten die Spannungen hier nämlich besonders stark hervor. Gleichzeitig aber sind die Werke mittels Mohnblütenmotiv miteinander verbunden, verschmelzen miteinander und feiern in der lichtdurchfluteten Architektur der Galerie eine grandiose Vereinigung. Oder mit Heiderose Langer gesprochen: Jeder der beiden Künstler »formuliert in seinen Bildern eine Welt für sich und zusammen ergibt sich ein offenes Ganzes.« '

Die Plastiktüten und Fläschchen Sabine Christmanns betreten in vollkommen lebendiger Manier das Podium und scheinen zu schweben wie es auch die roten Farbfelder in Oliver Christmanns Werken tun. Und so antworten die flirrenden, sinnlich reizvollen Farbtupfer den mit Mohnblüten versehenen Tüten. Die von grünen und roten Farbschlieren überzogenen Leinwände finden in filigranen Flaschen ihre Fortsetzung. Die Betrachter werden hier tief beeindruckt, in welch unangestrengter Perfektion gläserne Transparenz und Vielfalt der Weißabstufungen von der Künstlerin durchbuchstabiert werden, sodass die Gemälde den energiegeladenen Farbräumen ihres Partners standhalten.

Resümee: Der Städtischen Galerie Neunkirchen ist eine wunderbar facettenreiche Ausstellung gelungen, die durch klare Struktur, geniale Werkpräsentation und besonders durch die ästhetisch hochwertigen Arbeiten Sabine und Oliver Christmanns zu überzeugen versteht. Wohl selten haben zwei konträre künstlerische Positionen in ihrer Unterschiedlichkeit das Gemeinsame so präzise definiert und wohl selten hat sich eine derart aufregend unaufgeregte Balance zwischen emotional überbordendem, kraftvollem Farbenspiel und geistreichen, berührenden Traumszenerien herstellen lassen wie in dieser Gegenüberstellung. Ein bereichernder Dialog, dem zu lauschen mir große Freude bereitet hat!

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