Buchrezensionen

Sabine Poeschel: Starke Männer – schöne Frauen. Die Geschichte des Aktes, Philipp von Zabern 2014

Es ist fast eine komplette Geschichte der europäischen Kunst am Leitfaden des Aktes, die Sabine Poeschel mit ihrem Buch vorlegt. Zehn Kapitel führen fast lehrbuchartig durch die Geschichte des Aktes und illustrieren sie anhand zahlreicher Bildwerke. Stefan Diebitz hat das interessante Buch gelesen.

Welches Sujet eignet sich, an ihm die ganze (oder doch fast die ganze) Kunstgeschichte Revue passieren zu lassen? Bei den meisten Themen ist es unmöglich; die Landschaft zum Beispiel ist ein Thema der Neuzeit und der Moderne, aber keinesfalls der Antike oder des Mittelalters, und ähnliche Einschränkungen gelten auch für andere Gebiete. Wahrscheinlich ist es allein die Darstellung des Menschen, an der eine umfassende Kunstgeschichte demonstriert werden kann. Der nackte Mensch wiederum – wohl das vornehmste und schönste, ganz gewiss aber das anspruchsvollste Thema der Kunst – schließt mit dem prüden Rom und dem frühen Mittelalter einige Epochen aus, aber sonst ist der Akt ein Thema, das mit der allerältesten Kunst beginnt und noch in unseren späten Tagen aktuell ist.

Poeschel trägt in diesem Buch keine eigene Forschung vor, sondern hat eine Art Lehrbuch über ein eng begrenztes Thema der Kunstgeschichte geschrieben. Das Buch beginnt mit der berühmten »Venus von Willendorf«, der kleinen Kalksteinfigur einer übermäßig dicken Frau, die anstelle eines Gesichtes nur eingegrabene Punkte besitzt, und führt von diesem Relikt der Steinzeit über Antike, Mittelalter und Neuzeit fast bis in die Gegenwart. Dabei vermeidet es Sabine Poeschel, jede Darstellung eines nackten Menschen als Akt zu bezeichnen. Vielmehr möchte sie, wie es sich auch in der kunsthistorischen Literatur eingebürgert hat, diese Bezeichnung für künstlerische Darstellungen reserviert sehen, und folgt damit der Unterscheidung zwischen »nude« und »naked« im Englischen. Der Unterschied zwischen einem Akt und der bloßen Darstellung eines oder einer Nackten liege in der »dezidierten Absicht, das Sujet des nackten Körpers künstlerisch zu gestalten, es zu einem Thema der Kunst zu machen.«

In insgesamt zehn Kapiteln stellt Poeschel die Geschichte des Aktes dar. Sie beginnt mit den Plastiken der griechischen Antike und beschließt ihr Buch mit einem langen Kapitel über den modernen Akt (»Sexualität, Realismus und Form«), und damit berührt sie eigentlich alle Phasen der Kunst mit Ausnahme der römischen Antike. Denn obwohl das Mittelalter eigentlich erst an seinem Ausgang den Akt kennt, wurde auch diese Epoche unter dem zurückhaltenden Titel »Zwischen Nacktheit und Akt« aufgenommen.

Alle Kapitel sind in derselben Weise aufgebaut: einer Charakteristik des Zeitalters folgt die Vorstellung einiger weniger künstlerischer Hauptwerke, die von der Autorin sorgfältig beschrieben und kulturhistorisch, sozialgeschichtlich und künstlerisch eingeordnet werden. Ihre Werkbeschreibungen der abgebildeten Werke sind konzentriert, sachlich und genau und lenken die Aufmerksamkeit des Lesers auf die entscheidenden Punkte. Dazu wird jedes Kapitel von einer Zusammenfassung beschlossen – in gewisser Weise besitzt das Buch deshalb den Charakter eines Lehrwerks. Doch ist es keineswegs trocken, schon der Thematik wegen, denn die unglaubliche Vielfalt der Bildwerke und Plastiken korrespondiert mit ihrer (manchmal tatsächlich unfassbaren) Schönheit, und dazu sind immer wieder auch Einsichten zu gewinnen, die nicht an der Oberfläche liegen.

Als ein Beispiel mag Jean-Honoré Fragonards Gemälde »La Gimblette« von 1768 dienen, dessen obszönen Charakter man nur erkennen kann, wenn man um die Rolle kleiner Schoßhündchen weiß, die von Poeschel angedeutet wird; ein anderes, uns zeitlich näheres Beispiel kann Èduard Manets immer noch populäre »Olympia« vom 1863 sein. Der im letzten Jahr verstorbene Franz Siepe hat diesem Bild ein mokantes Feuilleton gewidmet, das sich nun allerdings nicht mit einem Hündchen, sondern mit einer schwarzen Katze beschäftigt. Sein Thema – »der negierte Schoß« nennt es Poeschel – kennt natürlich auch dieses Buch, aber es wird anlässlich der »Aphrodite von Knidos« angesprochen: »Mit der rechten Hand bedeckt die Göttin ihre Scham, die unorganisch als makelloses Dreieck gebildet ist. Diese Geste macht sie zu einer Venus pudica, einem überaus erfolgreichen und langlebigen Typus des weiblichen Aktes.«

Besonders gelungen scheint die Darstellung des Rokoko, und zwar zunächst wegen der künstlerischen Geschlossenheit, die den einheitlichen Charakter der Zeit widerspiegelt, der von Poeschel trotz der Kürze ihres Textes in sehr differenzierter Weise im Kapiteleingang angesprochen wird. Dass die allein technische Seite der Malerei im 18. Jahrhundert einen Höhepunkt im Werk großer Virtuosen wie Antoine Watteau oder Francois Boucher erlebte, dürfte ihr die Aufgabe erleichtert haben, wiewohl sie dem Geist des 18. Jahrhunderts doch wohl eher ablehnend gegenüberzustehen scheint.

Das Gegenbeispiel zu diesem Kapitel ist der letzte, sehr umfangreiche Abschnitt (das mit Abstand längste Kapitel des Buches), in dem Akte besprochen werden, denen eigentlich gar nichts mehr gemein ist. Was verbindet Gustave Courbets »Der Schlaf« von 1866 mit den bereits unmittelbar darauf besprochenen Werken Franz von Stucks, Edvard Munchs oder Gustav Klimts? Ihnen folgen Egon Schiele und Ernst Ludwig Kirchner, Auguste Rodin und Paul Cézanne; und so weiter. Es ist einfach nur eine bunte Aufeinanderfolge von teils schönen, teils mehr interessanten und größtenteils berühmten Bildern. Beschlossen wird die sonst lesenswerte Geschichte des Aktes mit einem Ölbild Lucian Freuds und dem Hochglanzfoto einer keck in die Kamera lächelnden Nackten der Französin Bettina Rheims.

Der letzte Absatz des Buches enthält eine Menge Fragezeichen, denn Sabine Poeschl hinterfragt eine Reihe von feuilletonistischen Gemeinplätzen. Ihr vorletzter Satz gilt der möglichen Erschöpfung des Themas – das ist die Befürchtung des Rezensenten, der von neuen Aktbildern im Augenblick wenig erwartet. Aber Poeschl ist da optimistischer: »Mit Sicherheit werden wir eine überraschende und aufregende Antwort bekommen.«

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