Ausstellungsbesprechungen

Segantini, Fondation Beyeler in Riehen/Basel, bis 25. April 2011

»Am meisten liebe ich die Sonne, nach der Sonne den Frühling, dann die Quellen, die in den Alpen kristallklar aus dem Felsen sprudeln«, schrieb der Maler Giovanni Segantini Anfang 1890 in sein Tagebuch. Diese Liebe bestimmte seine künstlerische Arbeit, Segantini ist als großer Maler der reinen Natur bekannt. Günter Baumann hat die kleine Ausstellung im Fondation Beyeler besucht und berichtet von dem Naturerlebnis, zu dem Segantinis Werken den Betrachter einlädt.

Im 20. Jahrhundert hätte man eine Ausstellung zum Werk Giovanni Segantinis (1858–1899) wohl recht knapp in den Medien kommentiert (die Züricher Retrospektive 1990 hatte nur wenig Nachhall) – oder sie hätte in einem abgelegenen Museumswinkel dahingedämmert. Da hat es schon Signalwirkung, wenn ein so renommiertes Haus wie die Fondation Beyeler sich des aus dem Trentino stammenden Malers annimmt. Mit feinem Gespür übrigens, denn der Zulauf ist gewaltig und die Stimmen sind alles andere als verhalten, die den Meister des Lichts über der Engadiner Bergwelt als einen der Väter der modernen Landschaftsmalerei feiern. Seine hochalpinen Naturporträts sind einerseits naturalistisch erfasst, wie sie sich andrerseits konzeptionell mit der Kunst auseinandersetzen. Der sogenannte Divisionismus, der italienischen Spielart des Neoimpressionismus, ist eng mit Segantinis Namen verbunden, doch wird man der Leuchtkraft, der wörtlich zu nehmenden Lichthaltigkeit seiner Bilder nicht gerecht, wenn man sie auf ein pointilistisches Moment reduzieren würde. Neben dem analytischen Interesse, das sich in der Farbpalette niederschlägt, begegnet Segantini der Natur mit einer Leidenschaft, die noch näher, intensiver an die (motivliche) Quelle reicht. Segantini notiert 1890 in seinem Tagebuch: »Ja, ich bin ein leidenschaftlicher Liebhaber der Natur. An einem schönen sonnigen Frühlingstage in diesen mir zur Heimat gewordenen Bergen, wenn die blühenden Alpenrosen aus dem Grau der Granitfelsen oder dem weichen Grün der Triften zart hervortreten, wenn der blaue Himmelsbogen sich in den klaren Augen der Erde spiegelt, da fühle ich einen unendlichen Jubel.«

Die Strahlkraft seiner Arbeiten lässt den Betrachter teilhaben an dem Naturerlebnis, das einen intensiver atmen lässt: kein großspuriger Auftritt der Menschen, die hier leben, aber ein unendliches Pathos der Weite oder auch der inneren Einkehrtiefe – so zeigt das Gemälde »Frühmesse« (1885/86) einen Pastor, der gedankenverloren eine breite, ausgetretene Treppe zu einer nur ausschnitthaft angedeuteten Barockkirche emporsteigen; das Blickfeld ist klein, obwohl sich der Himmel ins Unendliche öffnet. Die steinerne Umgebung zeugt von der Großartigkeit des Christentums, doch so wie der Stein seine Brüchigkeit und Abnutzung zur Schau stellt – gegenüber der landschaftlichen Natur, die ewig zu sein scheint – ist der Mensch bei Segantini seiner Zeitlichkeit bewusst. Auch wenn im Einzelfall die Grenze zum Kitsch als einem verklärten Idyll überschritten wird, besticht die kompositionelle und farbliche Souveränität. Als könne er sich nicht satt sehen, muss es Tag sein über Graubünden, das Licht will förmlich aus dem blauen Himmel gefiltert werden. Und mit dem Pinsel lässt Segantini die Dinge, die Pflanzen und Bäume, die Menschen vom Licht umkreisen, in ein Farbenspiel verwandeln, um sie desto plastischer in die subjektive Welt zu entlassen. Dieser hat Segantini seinen Stempel aufgedrückt – sinnbildhaft etwa im Stein, der im Vordergrund seines Gemäldes »Mittag in den Alpen« (1891) den Weg markiert: mit seinem Signet, einmal in roter Farbe, die den Schöpfer des Kunstwerks benennt, und darüber im Moosbewuchs angedeutet als Zeichen, dass auch er nur Teil der Natur ist. Inhaltlich ist Segantini ein Symbolist unter den späten Naturalisten, vom energiegeladenen Duktus seines Farbauftrags ist er dagegen eher der Naturfetischist unter den stadt- und motorenhörigen Futuristen (was deren disparates Verhältnis zu seiner Kunst erklärt). Insgesamt hat die Fondation Beyeler 75, zum Teil wenig bekannte, da aus Privatsammlungen stammende Arbeiten versammelt – darunter ein Drittel Zeichnungen – , die ein neues Licht auf den Maler werfen, der bereits 41jährig, man glaubt es kaum: noch im 19. Jahrhundert starb. Seine Spuren wirkten weiter.

Am Montag, 11. April 2011, findet eine Lesung mit Asta Scheib statt, die eine einfühlsame Biografie Giovanni Segantinis geschrieben hat.

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