Ausstellungsbesprechungen

Seiichi Furuya - Hätte Wenn Warum, Museum für Photographie Braunschweig, bis 19. August 2012

Das Werk des in Österreich lebenden Fotografen Seiichi Furuya verbindet wie kein anderes individuelle Erinnerung und kollektives Gedächtnis. Seit Ende der 1980er Jahre stellt er in immer neuen Konstellationen Fotografien seiner früh verstorbenen Frau mit Aufnahmen von Orten zusammen, an denen sie als Familie lebten. Bettina Maria Brosowsky hat sich die Aufnahmen angeschaut.

Vielleicht ist es das Geheimnis seiner japanischen Seele: der Fotograf Seiichi Furuya scheint das zu sehen, was wenige Zeit später bereits nicht mehr existiert. So gibt er kraft seiner Fotos der Gegenwart, die kurz darauf Vergangenheit ist, eine Erweiterung, ein weiteres Leben, das allerdings gedeutet werden will.

Ein roter Faden in Seiichi Furuyas Fotografie ist seine eigene Existenz, verbunden mit dem frühen, selbst gewählten Tod seiner Frau. Furuya, 1950 in Japan geboren und dort in Architektur und Fotografie ausgebildet, kehrte 1973 seinem bedingungslos fortschrittsgläubigen, die eigene Geschichte verkennenden Heimatland den Rücken. Österreich, vorrangig Graz wurde sein neuer Lebensmittelpunkt. Hier lernte er seine Frau kennen, sie heirateten 1978, der gemeinsame Sohn kam 1981 zur Welt. Aber eine Familie bedeutet Verantwortung, und sei es nur als finanzielle Notwendigkeit, die nicht mehr nur die eigene Genügsamkeit zu befriedigen hat. Seiichi Furuya ging deshalb ab 1984 für einige Jahre als Dolmetscher zu einer japanischen Baufirma, die in der DDR Luxushotels erbaute. So lebte die Familie kurz in Dresden, anschließend in Ost-Berlin. Und hier entstanden wesentliche Teile aus Furuyas Fotokonvoluten, die bis heute seine Buch- und Ausstellungsprojekte speisen: einerseits Aufnahmen der verstörend schönen, vielleicht ja gerade in ihrer schwermütigen Zerbrechlichkeit so präsenten Ehefrau. Und anderseits Bilder aus dem trivialen Alltag am Ende der DDR, deren Zwiespalt Furuya sehr schnell und intuitiv erfasste. Diese beiden Stränge, den kleinen eigenen, tragischen Kosmos sowie den großen weltpolitischen Atem in Beziehung zu setzen und zu neuen Erzählungen zu verflechten, gelingt Furuya, ohne dass die Ergebnisse sentimental, gar kitschig geraten.

In seiner derzeitigen Ausstellung im Museum für Photographie Braunschweig – es erstreckt sich auf zwei, einander gegenüberliegende kleine klassizistische Torhäuser – hat Seiichi Furuya das räumliche Angebot für eine thematisch geteilte Komposition aufgegriffen. Ein Haus ist, als in sich geschlossener Part, den Porträtfotos seiner Frau gewidmet. Sie entstanden zwischen 1978 und ihrem Freitod 1985 in Ost-Berlin, das letzte am Vortag ihres Suizides. Seine Frau hatte nie Interesse an den Fotos gehabt, hätte sie wohl auch nie angeschaut, sagt Seiichi Furuya, es sei ohnehin viel zu wenig Zeit für einander gewesen. Diesem stillen, keines Kommentares nötigen Teil steht im anderen Haus eine humorvolle Auswahl seiner Fotografien aus der DDR gegenüber. Seiichi Furuya weist sofort auf die stereotypen Merkmale der Stasi-Mitarbeiter in vielen seiner Aufnahmen hin: leichtes Schuhwerk, unauffällige Kleidung, meist eine Tasche dabei und immer, wie gerade zufällig einander begegnend, zu zweit ins Gespräch vertieft. So hat Furuya nie die Berliner Mauer thematisiert, denn in diesen Grüppchen fand er eine ja ganz eigene Metapher für eine ihrer Freiheit beraubte Gesellschaft. Bei kritischen Situationen, wie beispielsweise dem Besuch Ronald Reagans am 12. Juni 1987 auf der Westseite der Berliner Mauer am Brandenburger Tor, als jener Michail Gorbatschow aufforderte, diese Mauer einzureißen, bildeten die biederen Stasi-Männer auf der Ostseite des Brandenburger Tores eine harmlos scheinende, jedoch undurchdringliche menschliche Barriere, die den Sicherheitsbereich für potenziell dissidente Besucher verstopfte: sie waren die eigentliche »Mauer« der DDR. Aber natürlich ist dies nicht die eine, die einzige Wahrheit. Wäre alles anders verlaufen, könnte alles auch etwas anderes bedeuten. Jeder Besucher mag deshalb anhand einer vierteiligen Diaschau aller ausgestellten Fotos seine ganz eigene Erzählung im Kopf erfinden.

Seit 1987 leben Seiichi Furuya und sein Sohn wieder in Graz, nach eigenem Bekunden hat Furuya seither wenig fotografiert. Gibt es denn kein Thema, das ihn im Augenblick interessiert? Er fotografiere nur, wenn er was »sehen« kann, so Furuya. Im Augenblick ist dies wohl sein Garten mit selbst gezogenem japanischem Gemüse. Und Schnecken, Würmern sowie zwei regelmäßig einfallenden roten Hähnen, die Seiichi Furuya allesamt am vegetabilen Angebot teilhaben lässt – das Leben geht also weiter.

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