Ausstellungsbesprechungen

Stephan Balkenhol

Wie schafft er es nur, dieser Gesellschaft von Menschen eine derart stoische Gelassenheit ins Gesicht zu zeichnen, wo man noch glaubt, die Späne fliegen zu sehen, die er mit Klöpfel und Stechbeitel aus dem blassgelben, leicht zu bearbeitenden Wawaholz herausschlägt?

Als Stephan Balkenhol (geb. 1957) noch »Das erste Figurenpaar« (1983) – man beachte die sprachliche Nuance: Figurenpaar, nicht Menschenpaar – als er noch die hölzernen Doubles von Adam und Eva und anderen mehr in all ihrer Nacktheit präsentierte, verriet schon mal der eine oder andere männliche Protagonist mit erigiertem Glied seine maximale emotionale Anspannung – nur aus der Fassung gerieten auch sie nicht. Mittlerweile sind Balkenhols Figuren ordentlich, modisch gesehen unauffällig bekleidet; »man begegnet normalerweise keinen nackten Menschen: Deshalb kleide ich meine Menschen in einfache, alltägliche Kleider«. Nur nicht auffallen.

 

Aber die Skulpturen sind nahezu allgegenwärtig – im öffentlichen Raum, in so gut wie jedem gut bestückten Museum mit einer Sammlung gegenwärtiger Kunst. Die Staatliche Kunsthalle in Baden-Baden zeigt bis Mitte September eine Retrospektive, die anschließend nach Duisburg weitergereicht wird (Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, 28.9.2006–28.1.2007), um in Salzburg letzte Station zu machen (Museum der Moderne, 17.2.–24.6.2007). Die Werkschau umfasst in Baden-Baden rund 150 Skulpturen, Reliefarbeiten, Siebdrucke und Zeichnungen und wird in Duisburg noch aufgestockt. Dem wäre zunächst nichts hinzuzufügen, zumal alle Facetten seines aktuellen Werks zum Genuss freigegeben ist: eben jene Menschen, die allein zu Vielen ihr Wesen treiben, darüber hinaus die Dauerserie der Köpfe und eine phantasievolle Palette von allerlei Getier, technisch atemberaubende Architekturbilder und anderes mehr. Der Erfindungsreichtum ist offensichtlich unerschöpflich, die Spielernatur nicht minder munter: Einmal sitzt ein Holzwicht, der wie die meisten seiner Geschöpfe Balkenhol ansatzweise ähnelt, unter einem Pilz, wohl drapiert, ein anderes Mal liegt ein fast 5 Meter messender Ikarus, von der Sonne zu Boden gerissen, im (gedachten) Staub des Museumssaals.

 

Doch damit nicht genug. Der Katalog, der die Schau quantitativ noch übertrifft, ist nicht nur ein vorzüglich bebildeter Begleiter der Ausstellung, sondern auch eine Fundgrube für spannende Verknüpfungen, die die Präsentation allein kaum leisten kann. So ist es schon kurios genug, dass Stephan Balkenhol bei Ulrich Rückriem studiert hat, der mit seinen hoch konzentrierten, minimalistischen Plastiken so ganz anders arbeitet wie sein Schüler. Und doch wirft gerade diese biographische Erkenntnis ein Licht auf die Machart der Skulpturen, die sich dem Erzählerischen widersetzen und in ihrer physiognomischen Reproduzierbarkeit auch dem Individualismus ein Schnippchen schlagen. Doch auch Balkenhols Inszenierungsfreude an kunsthistorischen Zitaten kommt man erst mit der Lektüre des Werkkatalogs auf die Spur: So hebt eine seiner Figuren mit leichtem Stand- und Spielbein seine Linke hinter sich, die Rechte lässig vor dem Bauch gelagert; und was erst der Titel, »Großer klassischer Mann« (1996), ahnen lässt, macht die Gegenüberstellung im Katalog deutlich: Als sei er seiner eigenen Handlung überdrüssig, wirft der Mann sich in die Pose von Michelangelos »Sterbendem Sklaven«. Die Akribie, einem Thema schier ins Unendliche zu folgen, verrät der ergänzende Blick in den Katalog: 1996 schnitzte Balkenhol zahllose »Tanzende Paare«, die in ihrer Reduktion auf die minimale Bewegung kaum zu über- bzw. zu unterbieten sind (man denke an die sprunghaften Tanzszenen bei Günter Grass, der sich dem Thema in Lithografien und Plastiken genähert hat) – zur Uniformität eingefrorene Unikate, das einzelne Männerpaar fällt kaum auf –, finden im Katalog ihre Entsprechung in der hinreißenden Pinguinserie, die in Frankfurt zu Hause ist. Das alles und noch viel mehr ist dem umfangreichen Bildteil und den kundigen Katalogbeiträgen von Matthias Winzen – dem scheidenden Kunsthallenchef – und von Harriet Zilch zu entnehmen.

 

Balkenhol scheint einen genau beobachteten Realismus zu pflegen. In der Tat ist es erstaunlich, wie treffsicher er die Figur aus dem Holz schlägt. Auch in der Farbigkeit folgt er der allgemeinen Wahrnehmung – hochinteressant wäre etwa eine Gegenüberstellung seines Werks mit Arbeiten des etwa gleichaltrigen Kollegen Wolfgang Thiel, der in der Farbigkeit einen vergleichsweise impressionistischen Stil verwendet. Nur hält auch Balkenhol sich einen delikaten Anteil Fiktion offen, der seinen Plastiken innewohnt und sie verrätselt. »Ich will alles auf einmal: Sinnlichkeit, Ausdruck, aber nicht zu viel, Lebendigkeit, aber keine oberflächliche Geschwätzigkeit, Momentaneität, aber keine Anekdote, Witz, aber keine Kalauer, Selbstironie, aber keinen Zynismus. Und in erster Linie eine schöne, stille, bewegte, viel- und nichts sagende Figur.« Selten war das Nichts so vieldeutig und anregend wie hier.

Weitere Informationen

Öffnungszeiten

Di–So 11–18, Mi 11–20 Uhr

Diese Seite teilen

Besuchen Sie uns