Ausstellungsbesprechungen

Suche nach der Sichtbarkeit eines reformierten Gesellschaftsgefühls: Der Kunstverein Speyer zeigt die Ausstellung RE_FORMATION_EN

Zahlreiche Ausstellungen, auch in der Kunst, widmeten und widmen sich in diesem Jahr der durch Martin Luther ausgelösten Reformation. Das hat unterschiedliche Dimensionen. Der Kunstverein Speyer setzt sich derzeit vor allem mit dem Aspekt des Bildersturms aus zeitgenössischer Sicht auseinander. Silke Weber findet das interessant, aber nicht unproblematisch.

Am 22. Oktober 2017, kurz vor dem groß jubilierten Reformationstag, eröffnete der Speyerer Kunstverein eine Ausstellung mit dem Titel »RE_FORMATION_EN«. Doch wer glaubt, dass es sich hierbei um einen vergleichbaren Beitrag zur zeitgenössischen Exegese der Reformationsgeschichte handelt, der wird enttäuscht werden. Denn Exegese ist keinesfalls das, was in dieser Ausstellung erfahrbar wird.

Schon beim ersten Blick in die Räume des Kunstvereins fällt eine völlige Verwandlung auf. Ein roter Perserteppich liegt auf dem Boden. Auf ihm steht ein taktiles Objekt, eine Maschine. Bei näherer Betrachtung schaudert man. Gebisse gleiten über einen Kranz aus Fell und reißen ihre Mäuler auf, dem Betrachter entgegen. Der Schrei bleibt stumm, das Öffnen der Mäuler wortlos. Nur das Quietschen wäre zu hören, wenn sich die Gebisse wieder schließen und an goldene Ketten gelegt, zurückgezogen werden, bis sie wieder aufs Neue nach vorne gleiten und ihre Mäuler dem Betrachter entgegenreißen. Es ist eine der wundersamen Arbeiten des Medienkünstlers Oskar Klinkhammer, deren Bilder wir gut aus unseren Träumen kennen.

Es wäre zu hören. Doch tatsächlich wird der Raum von ganz anderen Geräuschen dominiert. Die Stimmen von angehenden Pastorinnen und Pastoren drängen uns in die Ohren. Es ist der Ton zu einem Dokumentarfilm der Medienkünstlerin Lisa Bergmann, die junge Theologen in ihrer Ausbildung begleitete. Der Film zeigt, wie Schreib-, Gesangs- und Schauspielunterricht auf die spätere Aufgabe des Predigens vorbereiten und veranschaulicht damit auf unerbittlich desillusionierende Weise zwei scheinbar im christlichen Glauben nicht zu vereinbarende Begriffe als komplementär: »Performance« und »Grace«.

Hat man sich einmal dem Eingang zugewandt, kommt man nicht umhin vor den beeindruckenden Werken der Münchner Künstlerin Elisabeth Rößler zu stocken. Mit einer Höhe von rund zwei Metern wirken sie sehr imposant. Die Kraft ihrer Arbeiten zeugt von der intensiven Beschäftigung mit der islamischen Symbolik. Elisabeth Rößler setzt sich in ihren Arbeiten mit der dem Islam zugesprochenen Ästhetik auseinander. Dabei analysiert sie feinfühlig den schmalen Grat zwischen westlicher Orientalistik und östlicher Ästhetik. In der Ausstellung »RE_FORMATION_EN« begegnet der Betrachter einer malerischen Umsetzung ihrer Untersuchung des vormodernen islamischen Ornaments. Man spürt, dass hinter diesen Arbeiten eine tiefere Bedeutung steht. An ihrer exakten Entschlüsselung wird der durch westliche Sehgewohnheiten geschulte Betrachter jedoch scheitern. Es bleibt ihm die Möglichkeit, durch die Konfrontation mit den Arbeiten von Elisabeth Rößler die östlichen Formen, welche stark von einer Sprache der Ambiguität geprägt sind, etwas aufmerksamer zu betrachten, bevor er sie vorschnell mit der Schublade Massenproduktionen in »orientalistischer Dekoration« assoziieren würde. Äußerst unglücklich ist daher die Tatsache, dass diese Arbeiten, welche teilweise ihre Kraft aus alten islamischen Lehren der Lichtmythologie entlehnt haben, an der dunkelsten Ecke des Raumes und zu dicht bei einander platziert wurden.

Die Arbeiten Elisabeth Rößlers begleiten den Betrachter in den nächsten Raum. Dort werden sie einer Bildfolge des in Berlin lebenden Malers, Grafikers und Bühnenbildners Hagen Klennert gegenübergestellt, welche an einen Kreuzweg erinnert. An deren Ende entdeckt der Betrachter eine weitere Arbeit von Hagen Klennert. Er erkennt sie wieder, da sie prominent auf der Einladung und dem Plakat zur Ausstellung präsentiert war. Auf einem Print ist eine dunkelhäutige Person zu erkennen, welche, wie auf einer Totenbarre, unter einem weißen Tuch verborgen ist. Dabei ist der ganze Körper in strahlend weiße Kleider gehüllt, die nur die über einem Buch gefalteten Hände offenbaren. Über den Kopf wurde ein ebenso unbefleckt weißer Sack gestülpt. Dieses Bild wirkt im Vergleich zu den anderen Arbeiten der Ausstellungen völlig verstörend. Dabei ist weniger die Thematik, welche Assoziationen mit Gewalt und Tod in Verbindung mit Religion bringt, schockierend. Vielmehr ist es der plötzlich offensiv politische Aspekt, der hier im Kontext der Arbeiten von Elisabeth Rößler auftaucht. Die Arbeit ist Teil eines Bühnenbildes, welches Klennert für die Inszenierung von Helmut Oehrings »Die Wunde Heine« entwickelte, bevor sie als stellvertretend für diese Ausstellung bestimmt wurde.

Der hinterste Raum des Speyerer Kunstvereins ist gleichzeitig der hellste, mit einer wunderbaren Fensterfront. Für die Ausstellung RE_FORMATION_EN wurde der Raum großzügig in Dunkelheit gehüllt, um im vorderen Bereich einen Film von Tom Schön zu zeigen. Tom Schön ist ein Filmemacher aus der Klasse Birgit Hein, der auf ernste Weise die Welt lange ansieht und ihr dann mit einem Lächeln begegnet, um sie uns in ihrer Märchenhaftigkeit vor Augen zu führen. Seine Arbeiten zeugen von großem Sehvermögen. Sie sind intelligent, reflektiert, und auf humorvolle Weise sehr kritisch. In der Schau ist sein Film »Heimatfilm« zu sehen, der »fröhlich beweist, dass ein Land keine Heimat sein kann und dass man zu Nationalhymnen nicht gut tanzen kann.« Ein Film, der ohne ein gesprochenes Wort auskommt, um alles über das Thema Heimat zu sagen.

Welches Konzept einer Auswahl solch divergenter Positionen zugrunde liegt, bleibt genauso unklar, wie dessen kuratorische Umsetzung. In der Ausstellungsankündigung der Homepage des Speyerer Kunstvereins findet sich eine kurze Erläuterung des Ausstellungsvorhabens. Dort wird von einer »Zerstörung sichtbarer Bilder« durch (namenlose) »aktuelle Bilderstürmer« gesprochen und das Ziel formuliert, die »Identifikationsbilder« der »grundverschiedenen Teilnehmer unserer offenen Gesellschaft« sichtbar zu machen, um dann nach »reformierten Verbildlichungen« zu fragen. Ob sich dieses Ziel mit den Absichten der Künstlerinnen und Künstler deckt, ist fraglich. Naheliegender scheint, dass die hier gezeigten künstlerischen Positionen einen individuellen, kritischen Beitrag zu einer gesellschaftlichen Vielstimmigkeit nach den Grundsätzen der Gleichberechtigung leisten. Damit bleibt die Frage nach der verbindenden Thematik dieser Ausstellung allerdings gänzlich unberührt.

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