Situationsphänomene sind das Thema des interdisziplinären Symposiums, das vom Institut für Kunst-, Design- und Medienwissenschaften der Muthesius Kunsthochschule Kiel veranstaltet wird. Sie fragt nach dem Erkenntnispotenzial von Situationen vor allem für die Kunst. Wie verarbeitet sie das Phänomen Situation und welche theoretischen und praktischen Zugänge gibt es? Diese und andere Fragen sollen diskutiert werden.
Die Situation ist konstituierendes Grundelement von Geschehnissen und Handlungen im Alltag sowie in den Künsten. Existenz, Sozial- und Weltverhältnisse des Menschen sind jedoch nicht nur durch Situationen geprägt. Situationen drücken diese Verhältnisse zugleich aus, machen sie kenntlich. Dieses implizite erkenntnisgenerierende Potential von Situationen vermögen die Künste besonders zu nutzen. Künstler arbeiten medienübergreifend mit Situationen, um Verkanntes oder Unerkanntes erfahrbar zu machen und derart „Wissen“ zu generieren. Das mag auch daran liegen, dass man der Situation als Phänomen nicht einfach gegenüber steht. Man kann sie nicht objektiv beschreiben. Vielmehr ist der Mensch immer schon in diesem Phänomen situiert. Er lebt in Situationen, die sich vom Erleben her erschließen.
Situationsphänomene liegen im Schwellenbereich zwischen Theorie und Praxis, theoretischer Vernunft und praktischem Handeln. Sie sind untrennbar von subjektiven Situationseinschätzungen, somit an Selbständigkeit und Verantwortlichkeit des Menschen gebunden. Gerade dieses „Wechselwirkungsgeschehen“ (John Dewey) soll von besonderem Interesse sein, denn es wird insbesondere durch Erwartungen, Ängste, verschiedene Empfindungen, die affektiv einstimmen, und Wertungen bedingt. Dadurch sind sowohl aisthetische, psychologische als auch ethische Aspekte impliziert.
Die Zusammenkunft zielt darauf, dieses interdisziplinär grundlegende Phänomen insbesondere aus fünf Perspektiven zu betrachten: einer existentiellen, einer phänomenologischen, einer ästhetischen und einer medientheoretischen bzw. medienethischen sowie eine kulturpolitischen Perspektive. Im existenziellen Themenfeld wird der Begriff der „Grenzsituation“ (Karl Jaspers) entscheidend. Aus phänomenologischer Perspektive sind es die Bedingungen der Wahrnehmung von Situationen und das grundlegende Mensch-Welt-Verhältnis (Heinrich Rombach), aber auch die Situationen, die als „Gefühlsraum“ (Hermann Schmitz) affizieren, die u.a. von Interesse sind. Da Situationen auf der Ebene der Erscheinungsformen in der Art und Weise des Gegebenseins erfahrbar werden, sind bei diesem „Wechselwirkungsgeschehen“ immer schon die sinnlich wahrnehmbare, aisthetische Ebene und die mediale Ebene zentral. Wahrnehmung und leibliches Verhalten, ermöglichte oder verunmöglichte Hör- und Sichtweisen, d.h. medienspezifische Konstruktionsweisen von Situationen, sollen mit Bezug auf konkrete Fallbeispiele Berücksichtigung finden. Szenographien (Theater, Tanz, Museumskonzepte etc.), bildkünstlerische Installationen, Photographien, Filme etc., gilt es, hinsichtlich situationsspezifischer Eigenarten und des jeweiligen Erkenntnispotentials von Situationen zu befragen. Da sich auch für Theorie und Praxis die Bedingungen ihrer Möglichkeiten aus der jeweiligen Kultursituation ergeben, ist auch die heutige Situation zu befragen. Zwar wird bereits seit der „Postmoderne“ von Pluralität als Grundverfassung der Kultur und Gesellschaft (Wolfgang Welsch) ausgegangen, aktuell erscheint jedoch eine weitere Zunahme pluraler Ethnien und Religionen gegeben. Diese gibt Anlass, die dadurch ermöglichte Vielfalt an Situationen zu reflektieren, die Andersartigkeit differenzlogisch (Theodor W. Adorno) und bereichernd erfahrbar machen. Situative Theorie und künstlerische Praxis erlauben auch die Differenz von „Welt und Gegenwelt“ (Heinrich Rombach) fruchtbar zu machen, um neue Bedeutungshorizonte zu eröffnen.
Das interdisziplinäre Symposion geht diesen Fragen, Thesen und Hoffnungen im Austausch von Theoretikern und Praktikern nach. Die Zusammenkunft zielt zugleich darauf, ein erweitertes Verständnis von „Situation“ zu gewinnen, das über vorliegende, kunsttheoretisch genutzte Definitionen mit Rekurs auf philosophische und sozio-politische Theorien hinausgeht.
Donnerstag, 2. Juli
14.00 Uhr
Grußwort von Arne Zerbst, Präsident der Muthesius Kunsthochschule
14.15 Uhr
Situationen. Einführung in die Thematik und Programmgestaltung des Symposiums
Petra Maria Meyer
15.00 Uhr
»Der Teppich des Lebens« Über die philosophische Wieder-Entdeckgung der Situationen
Michael Großheim
16.30 Uhr Kaffeepause
17.00 Uhr
Geleitete Emotionen. Szenografie zwischen Ethik und Manipulation
Ludwig Fromm
18.30 Uhr
Unbehagliche Situationen. Betrachtungen zu einer Befindlichkeit im Kunstwerk
Stefanie Klick
Freitag, 3. Juli
10.00 Uhr
Keep your Distance? Zum gegenwärtigen Inszenieren von Hörsituationen
Matthias Rebstock
11.30 Uhr
Versuche über Konkreativität
Petra Reinhartz
13.00 Uhr Mittagspause
14.30 Uhr
Ästhetik des Situativen
Hans Dieter Huber
16.00 Uhr
Über die Intention, ein Objekt in seiner Welt zu lokalisieren
Maike Denkert
17.30 Uhr Kaffeepause
18.00 Uhr
Situative Photographie von Klaus Mettig
Klais Mettig
Samstag, 4. Juli
10.00 Uhr
In der Schwebe. Transformationen der Schwerkraft in der Skulptur
Sara Hornäk
11.30 Uhr
Im Netz der Perspektiven: Gespenstische Situationen in »Situation Rooms« von Rimini Protokoll
Gerald Siegmund
13.00 Uhr Mittagspause
14.30 Uhr
Begegnungen – das WWW im Film: »Digital Natives« und die Situation des anderen – Medienethische Perspektiven
Ingrid Scheffler
16.00 Uhr
Hier und Jetzt. Anmerkungen zur gegenwärtigen Diskussion des Präsentischen
Marie-Luise Angerer
17.30 Uhr Kaffeepause
18.00 Uhr Situationen
Anna Kohler
Tagungsort: Aula im Kesselhaus der Muthesius Kunsthochschule, Kiel, Legienstraße 35
Veranstalter
Forum für Interdisziplinäre Studien
Institut für Kunst-, Design- und Medienwissenschaften der Muthesius Kunsthochschuleforum@muthesius.de,
Tel: 0431-5198448
Konzeption: Prof. Dr. habil. Petra Maria Meyer
Organisation: Petra Maria Meyer, Maike Schulken, Ulrike Meier