In den wissenschaftlichen Sammlungen von Universitäten, Instituten und Archiven lagern zahlreiche Objekte, deren Geschichte einen sensiblen Umgang verlangt. Ob Raubgut oder Propagandamaterial, ob ethnologische oder biologische Präparate – hier ist Feingefühl gefragt. Die Tagung an der Universität Mainz widmet sich diesen sensiblen Objekten und der Frage, wie mit ihnen umzugehen ist.
Zahlreiche Sammlungen an Museen und Universitäten bewahren Dinge, die aus ethischer Perspektive heute als „sensibel“ eingestuft werden und eines besonderen Umgangs bedürfen. Das sind zum einen Dinge, die selbst „sensibel“ sind, wie rituelle, nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Gegenstände, menschliche Überreste und inhaltlich problematische Objekte (z. B. rassistisches Propagandamaterial). Zum anderen werden Dinge als „sensibel“ kategorisiert, bei denen die Umstände der Herkunft, der Herstellung, des Erwerbs, der Aneignung und der Musealisierung fragwürdig sind. Dazu gehören ganz aktuell Kulturgüter, die illegal aus Krisengebieten ausgeführt werden, aber auch viele der Objekte, die um die Wende zum 20. Jahrhundert aus der kolonialisierten Welt nach Europa geschafft wurden, sowie Objekte, die in der NS-Zeit oder auch in der DDR durch Enteignungen und erzwungene Verkäufe die Besitzer wechselten. In diesen und weiteren Unrechtskontexten wurden neben menschlichen Überresten zudem auch Messdaten, Körperbeschreibungen, Zeichnungen, Fotografien, Gipsabgüsse, Film- und Tondokumente zu Menschen gesammelt, die oft in Zwangssituationen hergestellt wurden. Unter dem Aspekt des Artenschutzes werden in jüngeren Debatten nicht zuletzt auch naturhistorische Objekte als „sensibel“ gefasst und die Folgen eines umfassenden Dokumentations- und Bewahrungswillens kritisch beleuchtet.
Während die Frage des Umgangs mit „sensiblen“ Objekten in Museen in den vergangenen Jahren zunehmend in den Blick gerückt ist, wurde sie für die Universitätssammlungen bisher wenig diskutiert – und das, obwohl diese in jüngster Zeit (u.a. in Folge der Empfehlungen des Wissenschaftsrates von 2011) erhöhte Aufmerksamkeit finden. Die Tagung soll hier einen Impuls geben, indem sie Fachleute aus Universitäten und Museen in einen Erfahrungsaustausch bringt. Ausgehend von exemplarischen Objektbiografien werden mögliche Konsequenzen erörtert, die aus der Kategorisierung „sensibel“ für die Aufbewahrung, Dokumentation und Restaurierung, die Verwendung in Lehre und Forschung sowie die öffentliche Präsentation des betreffenden Gegenstands gezogen werden können.
Parallel zu solchen Fragen eher praktischer Natur wird eine wissenschaftshistorische und -theoretische Perspektive eingenommen: Wie verändern sich Dinge in verschiedenen Kontexten? Wie hat sich historisch der Blick auf die Herkunft und Beschaffenheit von Objekten gewandelt? Welches Verständnis von Wissenschaft steht dahinter? Wie unterscheidet sich der Umgang an Universitäten von dem an Museen?
Ausgehend von der Heterogenität und Vielfältigkeit der Universitätssammlungen deckt die Tagung ein breites Spektrum von Objekten ab – von anthropologischen, ethnologischen und archäologischen über kunsthistorische und historische bis hin zu naturhistorischen. Den skizzierten Fragen soll so erstmals quer zu Fächern und ausgewählten Themenfeldern nachgegangen werden, um Parallelen und Differenzen auszuloten und Disziplinen übergreifend Strategien zu diskutieren und weiterzuentwickeln.
Donnerstag, 21. Januar
14:00 Uhr Begrüßung
Vera Hierholzer, Zentrale Sammlungskoordinatorin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) & Anna-Maria Brandstetter, Institut für Ethnologie und Afrikastudien, JGU
14:15 Uhr Impulsreferate
Bénédicte Savoy, Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik, Technische Universität Berlin: Historizität von Wertsystemen und Perspektiven auf sensible Objekte (Arbeitstitel)
Cornelia Weber, Koordinierungsstelle für wissenschaftliche Universitätssammlungen, Humboldt-Universität zu Berlin: Sensible Objekte in Universitätssammlungen. Stand der Diskussion
Michael Pickering, National Museum of Australia, Canberra (angefragt): Sensitive objects between ethical, cultural and political implications. Australian perspectives (Arbeitstitel)
16:00 Uhr Kaffeepause
16:30 Uhr
Themengruppe 1: NS-Raubgut
Beate Herrmann, Ethnologische Sammlung, Georg-August-Universität Göttingen
Miriam Merz, Zentrale Stelle für Provenienzforschung Hessen, Museum Wiesbaden
17:30 Uhr
Themengruppe 2: Raubgrabungen
Alexander Pruß, Institut für Altertumswissenschaften, JGU Mainz
Michael Müller-Karpe, Römisch-Germanisches Zentralmuseum, Leibniz-Forschungsinstitut für Archäologie, Mainz
19:00 Uhr
Öffentliche Podiumsdiskussion im Landesmuseum Mainz: Nicht nur Raubkunst! Sensible Dinge in Museen und wissenschaftlichen Sammlungen
Freitag, 22. Januar
9:00 Uhr
Themengruppe 3: Sacred-secret objects und koloniales Sammeln
Anna-Maria Brandstetter, Institut für Ethnologie und Afrikastudien, JGU Mainz
Eva Raabe, Weltkulturen Museum Frankfurt am Main
10:00 Uhr
Themengruppe 4: Fotos/ Tonaufnahmen/ Messdaten
Irene Hilden, Lautarchiv, Humboldt-Universität zu Berlin
Benedikt Burkard, Freier Ausstellungskurator, Frankfurt am Main
11:00 Uhr Kaffeepause
11:30 Uhr
Themengruppe 5: Human Remains
Robin Leipold, Karl-May-Museum Radebeul
Andreas Winkelmann, Institut für Anatomie, Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane
12:30 Uhr Mittagessen
14:00 Uhr
Themengruppe 6: Artenschutz
Frank Steinheimer, Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Norbert Niedernostheide, Museum am Schölerberg, Osnabrück
15:00 Uhr
Themengruppe 7: Propagandamaterial
Hermann Rösch, Institut für Informationswissenschaft, Fachhochschule Köln
Arnulf Scriba, Deutsches Historisches Museum, Berlin
16:00 Uhr Wrap Up bei Kaffee und Tee
Veranstaltungsort
Johannes Gutenberg-Universität, Universitätsbibliothek – Zentralbibliothek, Jakob Welder-Weg 6, 55128 Mainz
Veranstaltungsort Podiumsdiskussion
Landesmuseum Mainz, Große Bleiche 49-51, 55116 Mainz
Anmeldung bis zum 8. Januar 2016 unter: info@sammlungen.uni-mainz.de
Organisatorinnen
Dr. Vera Hierholzer | Sammlungskoordinatorin der JGU an der Universitätsbibliothek Mainz
Dr. Anna-Maria Brandstetter | Kuratorin der Ethnografischen Studiensammlung am Institut für Ethnologie und Afrikastudien, JGU