Ausstellungsbesprechungen

Teure Köpfe. Lisiewsky, Hofmaler in Anhalt und Mecklenburg, Staatliches Museum Schwerin, bis 6. März 2011

Man glaubt es nicht, aber auch heute können noch Entdeckungen in der Kunstgeschichte gemacht werden. Ende August bis Ende Oktober wurde zuerst im Schloss Mosigkau bei Dessau ein Maler vorgestellt, den weder die Kunsthistoriker noch die Öffentlichkeit bis heute so recht zur Kenntnis genommen haben: Christoph Friedrich Reinhold Lisiewsky (1725 – 1794), von dem man zunächst nicht einmal sicher wusste, ob er denn nun „Christoph“ oder „Christian“ hieß. Erst Hofmaler eines aufgeklärten Duodez-Fürsten, dann freischaffender Künstler in Berlin und endlich wieder in höfischen Diensten, entpuppt er sich als großartiger Porträtist, dessen Werk man nun in Schwerin bewundern kann. Stefan Diebitz war von seinen Bildern beeindruckt.

Helmut Börsch-Supan und Wolfgang Savelsberg ist die Entdeckung eines bis heute fast ganz unbekannten Künstlers zu danken. Von einem Vergessenen zu sprechen, ist eigentlich nicht ganz korrekt, denn so recht wurden die Qualitäten Lisiewskys auch in der Vergangenheit nicht gewürdigt. Nachdem die beiden renommierten Kunsthistoriker erst einmal die Bedeutung seiner Bilder erkannt hatten, begannen sie systematisch nach seinem Werk zu suchen und einzelne Stücke zu erwerben. Noch ist er ja bezahlbar.

Vor dieser Ausstellung war Lisiewsky gänzlich unerforscht, und es gab nicht einmal einen Aufsatz, geschweige denn eine Dissertation. Der Katalog aber schafft mit seinen Abhandlungen zur Biografie und zu Teilaspekten seines Werkes eine solide Grundlage. Börsch-Supan schreibt über das Leben Lisiewskys und seine Familie (bereits der Vater war Künstler, zwei seiner Schwestern waren es auch, und zuletzt ist noch eine Tochter zu nennen), Gerd Bartoschek, Gerhard Graulich und Bärbel Kovalevski stellen Lebensabschnitte bzw. die Schwestern vor, und endlich finden sich auch Arbeiten zur Maltechnik und zu kulturgeschichtlichen Aspekten.

Die Ausstellung »Teure Köpfe«, die zuerst in Mosigkau in der Nähe Dessaus gezeigt wurde und nun nach Schwerin kam, wurde in ungefähr drei Jahren vorbereitet – sie macht den Besucher mit einem Künstler bekannt, der seine Bilder mit erstaunlicher Akkuratesse und fast unendlicher Geduld fertig stellte. Das große Arbeitsethos des Meisters wurde von den Kuratoren in ihrer Einführung immer wieder beschworen. Mit seiner enorm zeitaufwändigen Arbeitsweise konnte er nur ein wenig umfangreiches Werk erstellen, und dass er so abgeschieden lebte, dürfte ebenfalls dazu beigetragen haben, dass ihn heute kaum jemand kennt.

Lisiewsky wirkte meist in der Provinz, aber zunächst an einem aufgeklärten Hof (dem vielleicht aufgeklärtesten und fortschrittlichsten seiner Zeit in Deutschland), dessen Fürst das wunderbare Gartenreich Dessau-Wörlitz schuf, das bis in unsere Tage ein Touristenmagnet geblieben ist. Bereits zu der damaligen Zeit stand der Park jedem offen – ein Hinweis auf Modernität und Liberalität des Fürsten Leopold III., dessen Hofmaler Lisiewsky war. Seine Anregungen für den Park hatte der junge Fürst auf seiner Grand Tour durch England erfahren, nach der das Verhältnis zu seinem Hofmaler abkühlte – Leopold wünschte jetzt eine andere Malweise, eben jene, die er in England kennen gelernt hatte und zu der sich Lisiewsky nicht so recht verstehen wollte.

Nach seiner Dessauer Zeit wirkte Lisiewsky als freischaffender Künstler in Berlin und porträtierte auch Bürgerliche, später dann kam er als Hofmaler zum Herzog von Mecklenburg, der gerade erst nach Ludwigslust umgezogen war. Das Bewerbungsschreiben ist erhalten geblieben und wird im Katalog zitiert. Es ist von großem sozialgeschichtlichem Interesse, weil es sehr realistisch die nicht immer leichte ökonomische Situation eines Künstlers beschreibt. Lisiewsky war nach Börsch-Supans Urteil ein in sich gekehrter und ernster, aber eben auch sehr fleißiger und sorgfältiger Mensch. In verschiedenen Bildern lassen sich Symbole der Freimaurer nachweisen, besonders in den Selbstporträts.

Im Werk Lisiewskys spiegelt sich der Übergang von der bloß repräsentativen Hofmalerei zu einer Porträtkunst, die den Menschen selbst ins Bild bringt. Lange Zeit war den Bildern regierender Fürsten eine Stellvertreterfunktion eigen – die Regenten konnten schließlich nicht überall sein, und so bestand die Notwendigkeit eines repräsentativen Bildes, bei dem es mehr auf die zeremonielle Bedeutung ankam und die Individualität des Porträtierten deshalb eine ganz untergeordnete Rolle spielte. Aber im Verlauf des 18. Jahrhunderts begannen die Maler die Persönlichkeit des Abgebildeten mehr und mehr in den Mittelpunkt zu rücken, was in diesem Jahr bereits im Gleimhaus in Halberstadt deutlich wurde, wo unter dem Titel »Von Mensch zu Mensch. Porträtkunst der Aufklärung« die Bildersammlung Johann Wilhelm Ludwig Gleims ausgestellt wurde. Im Katalog zu dieser Ausstellung findet sich übrigens ebenso ein Beitrag von Börsch-Supan wie in jenem zu Lisiewsky.

Es gibt einige Bilder, an denen dieser Prozess besonders deutlich hervortritt, so etwa zwei Porträts von Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740 – 1817). Das erste zeigt einen noch jugendlichen Leopold in soldatischer Montur mit einem Brustharnisch, das zweite, nur zwei Jahre später gemalt, in einer blauen Jacke vor einem dunklen Hintergrund – unter Verzicht auf sämtliche Rangabzeichen. Savelsberg nannte dieses Bild „das erste aufgeklärte Porträt“. In ähnlicher Weise wird Prinz Albert von Anhalt-Dessau im Alter von 13 Jahren vorgestellt, ein ganz normaler, allerdings ausnehmend fein gekleideter Junge, der seine Jacke in einen Plüschsessel knüllte und nun etwas spitzbübisch hinter dessen Lehne steht. Das vielleicht wichtigste Moment in diesem Bild ist die Körperhaltung, über die sich der Betrachter wegen der verschobenen Kleidung zunächst täuscht. Möglicherweise liegt darin sogar eine Absicht des Künstlers. In jedem Fall wird der Körper des Porträtierten nicht in einer schematischen, vielleicht gar bereits zuvor gemalten Stellung gezeigt, auf die dann nur noch der Kopf gesetzt werden musste, sondern die Körperhaltung ist Teil des Porträts und Ausdruck der Persönlichkeit. Immer wieder wird bei Lisiewskys Bildern die enorme physische Präsenz der Porträtierten hervorgehoben; seine sehr plastische Malweise hat deren Bedeutung wesentlich unterstützt.

Die Hinwendung zu einer Darstellung der Individualität ist der eine Aspekt, auf den es bei dieser Ausstellung ankommt, der andere ist die hohe malerische Qualität der Bilder, die sich besonders in der Farbgebung zeigt. Seinen Katalogbeitrag überschrieb Gerhard Graulich, der Schweriner Kurator, mit dem Urteil, das ein zeitgenössischer Kunstschriftsteller über Lisiewsky abgab, als er seinen Bildern „eine vorzügliche Stärke in der Auswahl der Gesichtsfarben“ attestierte. Mit einem äußerst feinen Pinsel trug Lisiewsky eine Schicht nach der anderen auf (gelegentlich zu früh, nämlich bevor die untere Schicht getrocknet war, was noch heute unschöne Runzeln in den oberen Schichten zur Folge hat) – so fein und so zart, dass die Übergänge selbst unter der Lupe kaum zu sehen sein sollen. Auch experimentierte er viel mit den Farben. Es versteht sich von selbst, dass die Sitzungen für die Porträtieren unter diesen Umständen oft quälend lange dauerten. Und Lisiewsky brauchte im Schnitt deren vierundzwanzig! Wolfgang Savelsberg erzählte bei der Eröffnung die Anekdote von der Entstehung eines (1945 leider zerstörten) Porträts des Prinzen Eugen zu Pferde, eigentlich das Hauptwerk des Malers, bei dem eigens ein Trommler engagiert wurde, der das Tier für die überlange Sitzung unter Spannung halten sollte; das Bild gelang, aber das Pferd war tot.

An Lisiewskys Bildern wurde also schon zu seinen Lebzeiten das schöne Inkarnat gerühmt, aber der meisterhafte Umgang mit den Farben zeigt sich fast noch mehr bei den rötlich schimmernden Kerzenlichtbildern, deren mehrere zu bestaunen sind; für mich sind es die schönsten der Ausstellung. Ein besonders anziehendes (und wohl auch ein besonders schwer zu malendes) ist das Selbstporträt des Künstlers im Kerzenlicht, ein anderes zeigt ein Mädchen mit einer verrutschten Bluse.

Die Bedeutung, die die Farbe für diesen Maler besaß, spricht auch sein spätes Selbstporträt aus, auf das seine Tochter ihr eigenes Bild geschmuggelt hat – man sieht es rechts unten, wo es das Gleichgewicht des Gemäldes empfindlich stört. Hier hat Lisiewsky sich selbst mit einer Farbpalette gemalt, auf der sich 50 Farben befinden! Lisiewskys linke Hand, so beschreibt Börsch-Supan dieses Bild, „hält ein Bündel Pinsel und die auffällig nach vorn geklappte Palette mit dem kleinen Metallgefäß für das Öl sowie über fünfzig kleine Portionen von Farbe in fein abgestuften Rot-, Rosa-, Grau- und Ockertönen sowie Weiß und Schwarz. Grün und Blau fehlen, auch ein leuchtendes Gelb. Man wird an einen Kasten mit Pastellstiften erinnert. Glanzlichter verleihen jedem dieser Farbkleckse einen täuschenden Eindruck von ihrer materiellen Beschaffenheit, wie bei einem Trompe l’œuil-Stillleben, das die Meisterschaft eines Malers vorführt. Entsprechend ist die Holzmaserung der Palette behandelt“.

Eine ebenso große Meisterschaft, verbunden mit der Leidenschaft für das Detail, lässt sich an den Kleidern ablesen; Kristina Schlansky hat im Katalog diesem Thema einen eigenen Beitrag gewidmet. Besonders auffällig ist die Voluminösität der Spitzen und die Plastizität der Knöpfe, nach denen man fast greifen möchte, weil sie auf der Oberfläche des Bildes zu sitzen scheinen. Mich erinnern diese Knöpfe an eine witzsprühende, temperamentvolle und überaus hintergründige Erzählung Clemens Brentanos, an »Die mehreren Wehmüller«, in der die Abenteuer eines reisenden Malers geschildert werden. In seinem Gepäck finden sich „nicht weniger als 39 Porträts von Ungarn, welche Herr Wehmüller gemalt hatte, ehe er sie gesehen“. Keine geringe Rolle spielt in den Bildern dieses umherwandernden Porträtisten die Anzahl der Knöpfe – davon hängt sogar der Preis seiner Bilder ab, denn Wehmüller ist in seiner malerischen Praxis noch ganz dem 18. Jahrhundert und dessen Auffassung vom Porträt verpflichtet, das zunächst und vor allem den Stand abzubilden und weniger der Persönlichkeit des Abgebildeten gerecht zu werden hatte. Eigentlich war Wehmüller, Held einer Erzählung des Jahres 1817, eine Art „Prälisiewskyt“.

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