Ausstellungsbesprechungen

The Iraqi Equation, Kunst aus einem verwundeten Land

„The Iraqi Equation“ ist Teil eines Langzeitprojektes von Catherine David (Leiterin der documenta 10, 1997 in Kassel), die sich seit 2001 durch die „Contemporary Arab Representations“ der irakischen Kunstszene angenommen hat. Zu „The Iraqi Equation“ gehören neben der zentralen Ausstellung im KW Insitute for Contemporary Art Vorträge, Seminare, Filmvorführungen und Performances.

Die Berichte und die Nachrichten, die bereits seit dem Golfkrieg und jüngst seit der  Besatzung des Iraks zu uns gelangen, schildern in äußerst komplexer Form die politische, kulturelle und soziale Situation des Landes. Die wahren inneren Auseinandersetzungen und Gedanken der Irakis erreichen uns aber nur in stark vereinfachter Form.

 

Die Auswirkungen des Kriegsdramas, das das Land derzeit durchlebt, sollten jedoch kein Grund sein, die künstlerischen Leistungen, die Ideen und die Schwierigkeiten der irakischen Kultur zu ignorieren. Die Revolution, die politische Diktatur und die Konsolidierung des Landes haben den Staat geprägt. Selten hat ein Land in einer solch kurzen Zeit so dramatische Veränderungen und rasante Entwicklungen erlebt wie der Irak in den letzten Jahrzehnten. Neben den positiven Auswirkungen der Herausbildung einer modernen Gesellschaft und Wirtschaft ermöglicht durch die hohen Gewinne der Erdölindustrie, wurde der Irak zu einer riesigen Baustelle politischer und geistiger Umwälzungen, auf die die Künstler des Landes oft nur mit der Flucht ins Exil reagieren konnten, da ein objektives künstlerisches Schaffen nur noch eingeschränkt im eigenen Land möglich war.

 

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Ein weit verbreitetes Vorurteil besteht in der Vorstellung, der Irak sei rückständig und habe sich künstlerisch nicht weiter entwickelt; eine zeitgenössische Moderne hat folglich nie stattgefunden!? Diese Meinung reduziert den Irak auf die klassische islamische Kunst, die Kunst der Arabeske, der Miniaturen und Kalligrafien. Diesen aktuellen Vorurteilen stellen sich im KW Insitute for Contemporary Art 22 irakische Kulturschaffende und die Arab Image Foundation, die im Land selbst oder im Exil aktiv waren und sind: Schriftsteller und Dichter, Filmemacher, Fotografen und Künstler, Experten und politische Analytiker, aber auch einige ausländische Irak-Spezialisten, deren Analysen zu einem besseren Verständnis der Probleme beitragen sollen, die zu der heutigen Situation geführt haben.

 

Ein Kunstwerk sollte, wie der französische impressionistische Maler Pierre Bonnard es ausdrückte, eine autonome Welt darstellen, wobei es entscheidend ist, wie ein Umstand dargestellt ist und nicht so sehr was dargestellt wird. Bei der Wahl der Mittel, bei der Komposition eines Bildes, bei der Gestaltung eines Videos, einer Skulptur, einer Installation finden wir weit über patriotische und politische Bindungen hinaus ein historisch verwurzeltes Identitätsgefühl, das der zeitgenössischen irakischen Kunst einen starken Ausdruck verleiht. Das Gemälde „Coffee Shop in Baghdad“ (1984) von Faisel Laibi zeigt in einer fast surrealistischen Darstellung die irakische Gesellschaft in einer Zeit relativer Stabilisierung. Während der Filmemacher Baz Shamoun in seinem Film „Where is Iraq“ (2003) seine eigene Rückkehr in den Irak nach 27 Jahren Zwangsexil dokumentarisch filmt und auf von den Jahres des Krieges zermürbte, von Sanktionen und Festnahmen und von Folter und Angst gequälte Menschen trifft. Hana Al-Bayaty spezialisierte sich an der Pariser Sorbonne auf Internationale Beziehungen und Militärstrategie und gibt mit ihrem Dokumentarfilm „On Democracy in Iraq“ (2003) einen Einblick in ein Treffen von Vertretern der Hauptströmungen der irakischen Opposition, das drei Wochen vor dem Einmarsch in den Irak in London stattfand. Nedim Kufi entwickelte in den letzten Jahre eine enge Beziehung in seinen künstlerischen Disziplinen. Er zeigt 16 Ausgaben des Online-Kulturtagebuches „Daftar“, das auf Arabisch Essays, übersetzte Artikel und andere Projekte von Künstlern enthält. (www.daftar.nl) Als Regisseurin und Produzentin porträtiert Sawsan Darwaza im Rahmen der Ausstellung wichtige kulturelle Schlüsselfiguren der arabischen Welt u.a. den umtriebigen Oud-Musiker Naseer Shamma, den irakischen Filmemacher Sa´ad Salman, die irakisch-französische Kostümbildnerin und Schmuckdesignerin Hana Sadek, den irakischen Dichter Shawki Abdul Amir und einen der führenden irakischen Theaterintendanten Jawad Assadi. Talal Refit lehrt seit 1990 in Deutschland Malerei und Grafik, seine Arbeit „Democracy“ (2005) zeigt eine traditionelle Bank wie aus einem Bagdader Café, vergrößert zu ihrer maximal möglichen Breite. Sie fungiert als greifbare Erweiterung des politischen Begriffs von Demokratie. Sinan Antoon veröffentlichte zahlreiche Bücher und Gedichte, 2003 kehrte er in den Irak zurück, um den Dokumentarfilm „About Baghdad“ (2004) über das Leben von Irakern im besetzten Irak nach dem Sturz von Saddam Hussein zu drehen. Saadi Yussef ist Dichter, Romanautor und Übersetzer, der 30 Gedichtbände und sieben Prosabände veröffentlichte. Er übersetzte bedeutende Werke von Autoren wie Whiteman, Cavafy, Orwell und anderen ins Arabische.      

 

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Nicht zu letzt teilt sich ein Kunstwerk durch eine universelle Sprache mit. In diesem Sinn arbeiten die Künstler der arabischen Staaten. Dabei setzen sie sich stark mit der besonderen Situation ihrer Länder auseinander, deren aller Merkmal andauernde, rasche Veränderungen sind. In einem kurzen Zeitraum entstand im Orient eine Welt der Kontraste und Widersprüche, der Extreme und Superlative, eine Welt, die in die Moderne katapultiert wurde.

 

Die Irakis haben die gleichen Probleme und Bedürfnisse wie alle Menschen auf der Erde: sie brauchen Freiheit, Demokratie und das Recht auf Leben. Die Verbindung dieser drei Menschenrechte sollte zunehmend zur Aufgabe der irakischen Intellektuellen avancieren. Ein wichtiger Aspekt ist bei den weltweiten Demonstrationen gegen den Krieg im Irak sichtbar geworden. Der Kampf findet nicht zwischen den Zivilisationen und Kulturen, zwischen Ost und West statt, es ist ein Kampf zwischen pazifistischen und kriegerischen Denkvorstellungen. Man behauptet zwar, dass die himmlischen Religionen verzeihend sind, doch wenn man sie ideologisiert, werden sie zu den blutigsten und zerstörerischsten Mächten der Geschichte.

 

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Vision (1997)

Saadi Yussef

 

Dieser Irak, er wird bis an Ende des Friedhofs gehen

Er wird seine Söhne in den Steppen begragen,

Geschlecht um Geschlecht

Und er wird seinem Schlächter vergeben ...

Der Irak wird nie mehr wiederkehren

Und die Lerche wird nie mehr singen ...

Geh - wenn du willst - für lange Zeit

Und lade - wenn du willst - alle Engel

des Universums ein

All seine Teufel

Lade Assurs Stiere ein

Die vergangene Sphinx

Lade sie ein

Und warte im Rauch der Übertreibung

Auf das Wunder des Weihrauchgefäßes.

 

(aus dem Arabischen übersetzt von Khalid Al-Maaly und Heribert Becker, © Verlag Hans Schiler, Berlin)

 

 

 

 

Öffnungszeiten

Di-So 12-19 Uhr, Do 12-21 Uhr, Mo geschlossen

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