Ausstellungsbesprechungen

Turner, Monet, Twombly: Later Paintings, Staatsgalerie Stuttgart, bis 28. Mai 2012

Sean Rainbird lässt sich nicht lumpen. Bevor der Staatsgalerie-Direktor zu irischen Ufern aufbricht, um die Geschicke der Nationalgalerie in Dublin zu lenken, feiert er seinen Ausstand mit einem überwältigenden Farbenreigen. Rainbird gelang es, die vom Moderna Museet in Stockholm organisierte Schau zum Spätwerk Turners, Monets und Twomblys für Stuttgart zu gewinnen. Ein Farewell von Sebastian Borkhardt.

Wer schon einmal in den Genuss kam, einen Intelligenztest auszufüllen, wird folgende Aufgabenstellung kennen: »Welcher Begriff passt nicht zu den anderen?« Würde diese Frage auf die drei Künstler William Turner, Claude Monet und Cy Twombly übertragen, so bräuchte man nicht lange zu überlegen, wer hier der »odd man out« ist. Turner und Monet gehören zum kunsthistorischen Propädeutikum, zu jenen Malern, deren Werke man sich in Form von Kunstdrucken über die Biedermeierkommode hängt (wenn der Platz über dem Sofa bereits vergeben ist). Turner gilt als ein Wegbereiter, Monet als die zentrale Figur des Impressionismus.

Während die stimmungsvolle Lichtregie auf den Leinwänden Turners und Monets das Publikum in andächtiges Staunen versetzt, rufen Twomblys Arbeiten regelmäßig Stirnrunzeln hervor. Ähneln sie mit ihren Kritzeleien und Spiralformen doch stark dem Schmierpapier, auf dem man in Schreibwarengeschäften Kulis ausprobiert. Selbst für manchen Vertreter des sophistizierten Kunstgeschmacks ist Twombly eine Zumutung, wenn auch nur insgeheim. Dies kann sich im Gefolge neuer Sehgewohnheiten, wie sie die Stuttgarter Ausstellung produziert, jedoch ändern. Schließlich verliefen auch die Rezeptionsgeschichten Turners und Monets keineswegs geradlinig.

William Turner (1775-1851) konnte auf eine erfolgreiche Laufbahn an der Royal Academy in London zurückblicken, als er in den 1830er Jahren einen zunehmend freien, ›malerischen‹ Pinselduktus entwickelte. Seine Landschaftsbilder aus dieser Zeit, vornehmlich Seestücke, verraten ein Interesse für diffuse Naturphänomene: die Abendsonne, die vor dem Verlöschen ihr Gold und ihre Glut über den Himmel ergießt; der Sturm, dessen Brausen die Konturen der Gegenstände verwischt. Turner nahm diese Situationen zum Anlass, um die Wirkungen des Lichts und der Farbe zu untersuchen. Sie erhalten in seinen Werken eine sinnbildliche, zutiefst emotional geprägte Note. Einen Höhepunkt in dieser Hinsicht markiert das Gemälde »Licht und Farbe – Der Morgen nach der Sintflut – Moses schreibt das Buch der Genesis« (ausgestellt 1843). Noch bevor man das Motiv zu erfassen vermag, wird man von einem schillernden Farbstrudel in den Bildraum gezogen. Allein für diese Seherfahrung lohnt der Ausstellungsbesuch.

»Licht und Farbe« gehört zu einem Konvolut von fast 300 Gemälden und etwa 30.000 Zeichnungen und Aquarellen, die Turner dem englischen Staat vermachte. Sein Nachlass gelangte so in die öffentlichen Kunstsammlungen Londons, wo ihn Claude Monet (1840-1926) erstmals 1871 sah. Zwei Jahre später schuf er seine legendäre »Impression, soleil levant«. Monet erklärte einmal, er wolle »die Schönheit der Luft« malen, in der sich die Dinge befinden, und damit »nichts anderes als das Unmögliche«. Denkbar nahe kam er dem Unmöglichen in seiner Serie der Kathedrale von Rouen, aus der die Fondation Beyeler ihre grandiose »Morgenstimmung« (1894) an Stuttgart verlieh. Oder in den »Seerosen«-Bildern, deren Spiegelungen den Blick zwischen den Sphären des Himmels und des Wassers zerstreuen. Schon Monets Zeitgenossen erkannten seine Nähe zu William Turner, dessen Spätwerk mit dem Siegeszug des Impressionismus eine Neubewertung erfuhr. Einst als Symptom für Turners Altersdegeneration belächelt, feierte man es zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Fanal einer modernen Bildauffassung.

Selbst wenn ein Vergleich zwischen Monet und Turner stets reizvoll sein wird – er ist nicht eben neu. Ein solcher Vergleich kann das Bild, das wir von »unserem« William und »unserem« Claude haben, nicht sonderlich verrücken. Hierfür bedarf es eines Dritten. Ohne Zweifel steht Cy Twombly (1928-2011) im konzeptuellen Mittelpunkt der Schau. Für viele Besucher sicherlich eine Neuentdeckung, gehört Twombly in Fachkreisen seit langem zur Spitze der amerikanischen Nachkriegskunst. Ihr Flaggschiff war der Abstrakte Expressionismus, in dessen Gefolge der kühne Farbauftrag in Monets späten Arbeiten eine gesteigerte Aufmerksamkeit zuteil wurde. Auch Twombly brachte man in Verbindung mit dem Franzosen. Doch anders als Monet und die Hauptvertreter des Abstrakten Expressionismus maß er der Historie einen gewichtigen Stellenwert bei – der verschütteten, unleserlich gewordenen Historie freilich. Wenn Twombly seinem monumentalen »Orpheus« (1979) in krakeligen Buchstaben die Namen antiker Sagengestalten einschreibt und sie wie ein Palimpsest mit weißen Farbschichten bedeckt, dann überliefert er den Mythos nicht in unsere Gegenwart, sondern visualisiert den Prozess des Verschwindens und die Bedeutungsruinen, die er hinterlässt.

Im Kontext von Monet und Turner wird Twombly in dieser Ausstellung auf den Gipfel des Parnass erhoben. Die gegenüberstellende Hängung fordert dazu auf, seine Werke anhand jener Kriterien zu beurteilen, die von Künstlern seit der Romantik erarbeitet wurden. Umgekehrt ›erdet‹ Twomblys Zeitgenossenschaft den Blick auf zwei Schutzheilige der Kunst, deren Nimbus das Auge dessen blendet, der sich ihrem Werk nähert. Die wohltuende Wirkung dieser Gegenüberstellung darf jedoch eine Problematik nicht vergessen machen, die sich bei Ausstellungen dieser Art beinahe zwangsläufig ergibt: Aufgrund visueller Evidenzen können allzu leicht Schlussfolgerungen gezogen werden, die einer kritischen Überprüfung nicht standhalten. So ist der hohe Abstraktionsgrad von Turners »Sonnenuntergang über einem See« (um 1840) nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass er unvollendet blieb. Das Werk verkörpert historisch gesehen nicht denselben Anspruch wie Twomblys »Untitled (Sunset)« (1986), von dem es 150 Jahre trennen. Denn erst innerhalb dieses Zeitraums vollzog sich jener Wandel, der uns heute die künstlerische Eigenwertigkeit abstrakter Farbkompositionen wertschätzen lässt.

Entsprechend verfolgt die Ausstellung nicht die Absicht, eine Geschichte der Abstraktion in drei Etappen zu erzählen. Die Mottos, die über den einzelnen Bereichen stehen, sind mit Begriffen wie »Atmosphäre«, »Feuer und Wasser« oder »Süßeste Lust Melancholie« bewusst offen (darf man sagen: unverbindlich?) formuliert. Sie regen dazu an, den Dialog der drei Künstler unter formalen wie auch inhaltlichen Gesichtspunkten zu verfolgen. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf den »later paintings«, dem Spätwerk. Abseits der Diskussion um die Existenz eines »Altersstils« fragt die Ausstellung danach, was William Turner, Claude Monet und Cy Twombly in ihren fortgeschrittenen Lebensphasen umtrieb. Neben der zu erwartenden Vergänglichkeitsthematik offenbaren die gezeigten Werke einen ungebrochenen Gestaltungswillen, der in Monets »Japanischer Brücke« (nach 1918) und in Twomblys »Camino Real (II)« (2010) eine vitale und überaus sinnliche Qualität erlangt. Der »Mehrwert« der Ausstellung besteht gerade darin, im gewagten, aber gut begründeten Zusammenspiel dreier Kunsterneuerer ungeahnte Parallelen sichtbar werden zu lassen.

Ob der Kurator Jeremy Lewison mit seiner Überzeugung Recht behält, dass die Arbeiten Twomblys »in der Geschichte der Malerei den gleichen Nachhall finden werden wie die Werke von Turner und Monet«, muss offen bleiben. Unstrittig ist hingegen, dass Lewison mit dieser Schau seinen Beitrag dazu geleistet hat.

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