Ausstellungsbesprechungen

Typism: Biester, Galerie im Kunsthof Jena, bis 29. Juli 2011

Typism räumt mit sämtlichen Klischees über Street-Art als Schmiererei im öffentlichen Raum auf. Rowena Fuß hat sich mit Begeisterung die eigens für den Kunsthof Jena entworfenen überaus gehaltvollen Werke angesehen.

Gleich links von der Tür in den großen Ausstellungsraum wird man mit George Orwells »Animal Farm« (1945) in Form eines fies dreinschauenden blauen Schweins mit Zigarette konfrontiert. Letztere verweist auf das bekannte Bild des dicken, Frack tragenden und Zigarre rauchenden Kapitalisten wie in George Grosz’ Zeichnung »Der Kapitalist« von 1932. Im Roman erheben sich die Tiere einer englischen Farm gegen die Herrschaft ihres menschlichen Besitzers, der sie vernachlässigt und ausbeutet. Nach anfänglichen Erfolgen und beginnendem Wohlstand übernehmen die Schweine immer mehr die Führung und errichten schließlich eine Gewaltherrschaft, die schlimmer ist als diejenige, welche die Tiere abschütteln wollten. Traditionell als Parabel auf die Geschichte der Sowjetunion interpretiert, überträgt typism alias Michael Schinköthe eben diese Beherrschung und Ausbeutung durch eine Obrigkeit aus kapitalistischen Schweinen auf unsere Gegenwart. Interessant ist, dass das rechte Auge des Schweins bei ihm blind ist. Die Frage, ob die so genannten Schweine uns nun blindlings beherrschen oder der Einäugige, trotz der Tatsache, dass er ein Schwein ist, immer noch unter den Blinden König ist, muss wohl jeder für sich selbst beantworten.

An eine pessimistische Antwort auf diese Frage knüpfen zwei Druckgrafiken an, die gleich nebenan hängen. Im ersten Bild ist ein kleines Mädchen abgebildet, das raucht und trinkt. Zudem besitzt es anscheinend kein Unterhöschen. Eventuell leicht beschämt senkt sie den Blick. Im Bild ist der Titel »The Resort Girl« zu lesen.

Im zweiten Bild sieht man einen kleinen Jungen mit leerem Blick, der sich einen Hot Dog reinstopft. Allerdings hat man das Gefühl, dass er bereits satt ist und ihm eigentlich jeder weiterer Bissen widerstrebt. — Erneut ein Verweis auf die gegenwärtige Gesellschaft, die genau genommen schon genug hat, aber trotzdem noch nach mehr strebt. Dies fängt bereits früh an, so dass man sich fragt, was aus der alten behüteten Kindheit geworden ist? Muss man dem ganzen Quatsch in Lifestyle-Magazinen nacheifern, nur weil es „in“ ist und man nicht zu den Outsidern gehören möchte?

Wiederum eine Antwort darauf gibt die Rückseite der Sperrholzplatte, auf der das blaue Schwein ist: Sie zeigt ein kleines Kind, welches sich eine Hand in den Mund gesteckt hat. Von der Hand und seinem Mund tropft schwarze Farbe, die den Anschein erweckt, als würde es sich erbrechen. In hippe Worte gefasst: Es ist „sick of it all“.

Passend dazu konfrontiert uns typism in vier Drucken mit dem Thema Krieg. Zu sehen sind der schon bekannte Junge, der widerwillig den Hot Dog isst, ein Baby-Kamikaze-Pilot auf seinem rasanten Flieger, dem er Zügel angelegt hat, ein Ajin (Buchstabe des hebräischen Alphabetes) mit stilisierten floralen Mustern und ein aus dem Mund sabberndes Baby mit Soldatenhelm auf dem Kopf. Der hebräische Buchstabe steht auch für die Zahl 70. In Zusammenhang mit dem Kamikaze-Baby erinnert es an den Angriff auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941, der den Kriegseintritt der USA markierte. Dass es sich bei den Bildern um eine Absage an den Krieg handelt, machen die Zügel am Kamikaze-Flieger und die stilisierten Blumen des Ajin deutlich.

Andere Formen der Lüsternheit und Aggressivität begegnen in einem weiteren Sperrholzbild und einem Wandbild. Eine geradezu ungezügelte angriffslustige Bestie fällt den Betrachter auf dem Sperrholz an: Es ist eine nur mühsam von einem glatzköpfigen Hip Hopper zurückgehaltene Mischung aus Hund und Ziege mit furchterregenden Reißzähnen und weißen Pupillen. Der Ziegenbock, eigentlich ein Symbol für Lüsternheit und Zeugungskraft, wird hier zum Untier. Eine wahrhaft außergewöhnliche Erfahrung macht man auch, wenn man sich der anliegenden Wand zuwendet. Mit ekstatisch zurückgebogenem Rücken befriedigt sich eine nackte Frau per Hand selbst. Daneben steht „Experience the extra ordinary“.

Fazit: Manchmal mit einer ironischen Note versehen, bricht typism mit gewohnten Konventionen. Die oft als reaktionär, gewalt- und drogenverherrlichend, als frauenfeindlich sowie sexistisch gebrandmarkte Hip-Hop-Szene, in der Graffiti-Künstler angesiedelt sind, erweist sich als tiefgründiger als man immer denkt. Ich kann den Besuch der Ausstellung daher nur jedem sehr empfehlen!

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