Buchrezensionen

Ulrich Luckhardt (Hrsg.): Lyonel Feininger. Alfred Kubin. Eine Künstlerfreundschaft, Hatje Cantz 2015

Lyonel Feininger und Alfred Kubin dürften zwei der populärsten Künstler des 20. Jahrhunderts sein. Stefan Diebitz hat das schöne Buch über die Geschichte ihrer Freundschaft gelesen.

Am einfachsten ist es wohl immer noch, sehr höflich und wohlgesittet, aber doch auch ganz direkt zu sein. So jedenfalls verhielt sich Alfred Kubin, als er 1912 aus Wernstein am Inn an seinen »Collegen« Feininger in Berlin schrieb, ihm seine Wertschätzung mitteilte und einen Bildertausch vorschlug. Feininger ging nur zu gern darauf ein, denn er kannte den Autor des Briefes und bewunderte seinerseits dessen Arbeiten. So entspann sich eine jahrelange Freundschaft, die sich in insgesamt 37, teils sehr langen Briefen niederschlug, die dieser Band vollständig und noch zusätzlich kommentiert im Anhang vorstellt. Auch finden sich die angesprochenen Bilder als Schwarzweißfotos und wird die ganze Korrespondenz mit einem Personenverzeichnis erschlossen. Der letzte Brief datiert vom 13. März 1919. Warum die beiden »Brüder« dann ihre Korrespondenz einstellten oder ob nur die weiteren Briefe nicht erhalten sind, habe ich nicht ganz verstanden, denn noch der letzte Brief (»Mein lieber Bruder Kubin«) ist ganz im Geiste einer tiefen Freundschaft gehalten.

Kubin fand, »dass wir recht ähnlich sind, und doch Gottlob! auch wieder verschieden«: eben dies macht den Reiz des Briefwechsels aus. Ein anderer besteht in der Reflektiertheit beider Künstler, die mit ihrer Selbsteinschätzung rangen, ohne je den Freund aus dem Auge zu verlieren. Schließlich fällt für jeden etwas ab, der sich mit der nun wirklich sehr bewegten Kunst der Zehnerjahre, mit den Expressionisten in Dresden und München oder dem Kubismus beschäftigt, denn hier gibt es Nachrichten aus erster Hand. Über Kandinsky schreibt Kubin »Auch mein Weg ist dies nicht, und doch erregt er mich und wühlt mich auf.« Die Stellungnahme zweier so bedeutender Künstler zu Konkurrenten, Kollegen und Rivalen kann man gar nicht ernst genug nehmen.

Neben drei Aufsätzen – zwei zur Biografie der beiden Künstler und der Geschichte ihrer Freundschaft, einer zu Kubins so merk- wie denkwürdigem Roman »Die andere Seite« – enthält der Band in sieben Abteilungen Abbildungen ihrer Arbeiten.

Natürlich wirkt es skurril, wenn Kubin sich gleich in seinem ersten Schreiben eine »ramponierte Lokomotive« aus Feiningers Hand wünscht, aber in einem schönen Kapitel zu diesem Thema –»Eisenbahn und Schiffe« – stammen die ramponierten Lokomotiven typischerweise aus seiner eigenen Werkstatt. Denn auch wenn sie sich für Ähnliches interessierten, so gerieten ihre Arbeiten doch grundverschieden: Ihr künstlerisches Temperament hätte unterschiedlicher kaum sein können, und es war selbstverständlich Kubin, der für das Ramponierte zuständig war.

Die Werkgeschichte Feiningers ist interessanter, denn er hatte ja als Karikaturist, vielleicht sogar als bloßer »Witzezeichner« nicht nur begonnen, sondern tatsächlich jahrelang gearbeitet oder arbeiten müssen, um sich erst allmählich von seinen Anfängen zu emanzipieren und zu einem Maler zu entwickeln. 1912 schreibt er: »Und ich für mein Teil habe noch viele Jahre der ungestörten Entwicklungsruhe nötig« Dabei ist schon der junge Feininger ein akkurater Zeichner, der aber noch vorwiegend konventionell arbeitet, ohne den Weg zu sich selbst gefunden zu haben.

Wenig Freude an seiner Arbeit hat er in dieser Zeit offensichtlich vor allem deshalb, weil er den Weisungen irgendwelcher Redakteure zu folgen hat. In seinem einführenden Aufsatz zitiert Ulrich Luckhardt einen dieser Vorgesetzten: »Der Redakteur entwirft sie [die Zeichnungen] nach ihrem Inhalt, bezeichnet sie oftmals bis in die Details und verlangt vom Zeichner, daß er seinem Gedanken folge. […] Diese Methode legt dem Zeichner allerdings einen gewissen Zwang auf, bewahrt ihn aber vor der Entgleisung.« Dass Temperament und Selbstbewusstsein eines Künstlers unter einer solchen Bevormundung leiden, wird man gerne glauben, und im Rückblick schreibt Feininger auch, ausgeübt habe er diese Tätigkeit »zwangsweise (um zu leben)«.

Kubin dagegen scheint fast von Beginn an derjenige, den man von seinen zahlreichen Illustrationen her kennt, wenngleich sich seine ihm eigentümliche Strichtechnik erst noch entwickeln muss. Aber schon in dem frühen Kubin (oder besonders in ihm) begegnet man dem »sehnsüchtigen, schwerreichen Gestalter von Visionen« (Feininger). Er zeichnet buchstäblich dämonische Blätter mit alptraumhaften Visionen von Hinrichtungen und Selbstmorden, imaginiert gräuliche, eigenartig zusammengesetzte oder verzerrte Mischwesen und versetzt alles mit sexuellen Anspielungen. In der »Haushammerlinde« hat sich ein gutes halbes Dutzend Selbstmörder aufgehängt, in »Moderne Beleuchtungszier« baumelt eine Frau vom Kronleuchter, in »Gemütliche Wohnungen« kriechen zwei riesige Schlangen züngelnd auf ein schmales Mietshaus zu. In »Das Gezüchte« nährt ein Mischwesen irgendwo zwischen Muttersau und Robbe sechs Junge an seinem Gesäuge und schaut mit seinem kleinen Kopf auf langem Hals umher: Kein Tier, dem man begegnen möchte.

Diese frühen Arbeiten sind lavierte Federzeichnungen, die in ihrer Technik von Francisco de Goya und Max Klinger inspiriert sind und schon insofern typisch scheinen, als sie das Zwielicht zeigen, das er dann wenige Jahre später in seinem Roman »Die andere Seite« im (selbstverständlich alptraumhaften) »Traumreich« herrschen lässt – so sehr, dass Tag und Nacht kaum noch zu unterscheiden sind. »Alles, was man im Traumreich zu Gesicht bekam, war matt und stumpf.« Es herrscht wie auch sonst in seinen Zeichnungen immer Dämmerung, es sei denn, dass es richtig dunkel wird. 1904 aber heiratet Kubin, und danach beruhigen sich seine Blätter wenigstens etwas. Der erst 1909 erschienene Roman wird in diesem Band von Andreas Geyer vorgestellt und interpretiert.

Als Kubin 1912 ein erstes Mal an Feininger schreibt, kennt dieser nicht allein dessen Zeichnungen, sondern auch »Die andere Seite« – ja, er hat sogar mehrfach eine »Stadt am Ende der Welt« gezeichnet, die wohl Perle, die Hauptstadt des Kubinschen Traumreichs, darstellen soll. Aber zumindest das erste Blatt sieht mehr wie eine nette bayrische Kleinstadt mit Kirchturmuhr und satter CSU-Mehrheit aus. Kubins entsprechendes Blatt – »Meine Stadt« – wirkt selbstverständlich düsterer, aber doch nicht so düster, wie sich das ein Leser des Romans vorstellt, denn Perle besteht nur aus Häusern, in denen zuvor schreckliche Dinge und Kapitalverbrechen vorgegangen sind, die sich irgendwie in ihnen verfangen und verfestigt haben. So wird die Stadt für ihre Bewohner zu einem einzigen Alptraum. Eben diese Bedeutung der Häuser musste auch den Künstler in Feininger ansprechen: »die Architektur: (Sie wissen ja, wie ich von der ausgehe)«.

Kurze Zeit, bevor Kubin sich an Feininger wendet, beginnt dieser in Öl zu malen, gelegentlich in plakativer Manier, schon bald aber expressionistisch, und der Karikaturenzeichner schaut immer wieder aus den Blättern heraus. Der richtige Feininger ist also auch das noch nicht. Hier muss Julia Feininger erwähnt werden, seine Frau, die ihm mit ihrer schroffen und herben Kritik hilft, zu sich selbst zu finden. Sie erklärt ihm 1905, dass er schlecht wird, sobald er »rund« malt, und schreibt ihm ins Stammbuch, was heute wohl jeder Liebhaber seiner Arbeiten bestätigen wird: »Du hasts gewollt, sobald Du rund wirst, wirst Du schlecht. Du bist eckig und flächig.« Und 1912, wohl immer noch von Kubins Roman inspiriert, ist er auf manchen Blättern sehr eckig und also tatsächlich der, den man heute kennt. Übrigens kommt im Briefwechsel das Stichwort »Kubismus« schon durchaus vor.

Dass auch Kubin zur Farbe hätte finden können, mag man sich überhaupt nicht vorstellen, und doch ist es so. Sie findet sich aber wirklich nur auf ganz wenigen Blättern (er selbst hat, wie er selbst es sieht, ein »mehr aufs ‚fein-tonige‘ gerichtetes Farbvermögen«), und richtig bunt wird es zumindest anfangs nie. Kubins Farben wirken neben den leuchtend bunten Bildern Feiningers blass. In dem Kapitel »Eisenbahn und Schiffe« können wieder Arbeiten nebeneinander gestellt werden, die tatsächlich dasselbe Thema behandeln – und immer auf eine sehr verschiedene Art. Schiffe, bei denen Feininger bereits ganz bei sich selbst ist und die er tatsächlich so eckig malt, wie sich das seine Frau nur wünschen konnte – sogar der Strand fällt bei ihm eckig aus!, Segelschiffe sowieso –, liegen ihm viel mehr als die kuriosen Lokomotiven, die etwas Spielzeughaftes haben und wenigstens zum Teil so aussehen wie »The Rocket«, die erste Lokomotive Robert Stephensons.

In dem letzten Katalogkapitel »Verpuppte Welt« werden ausschließlich Kubins Arbeiten gezeigt, und es zeigt keine für ihn typische Arbeiten, denn es sind Blätter, die mit Kleisterfarben ein fantasiertes Unterwassserleben darstellen. Es sollte sein einziger Ausflug ins Malerische bleiben.

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