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Valeska von Rosen: Caravaggio und die Grenzen des Darstellbaren. Ambiguität, Ironie und Performativität in der Malerei um 1600, Akademieverlag 2009

2010 ist ein Caravaggio-Jahr, in dem wir den vierhundertsten Todestag des Malers zum Anlass nehmen, uns etwas näher mit dem großen Italiener auseinander zu setzen. Wie viel Neues man dabei entdecken und lernen kann, zeigt das unbedingt empfehlenswerte Buch von Valeska von Rosen, von dessen differenzierter und weit ausgreifender Argumentation sich Stefan Diebitz fesseln ließ.

Von Rosen © Akademieverlag
Von Rosen © Akademieverlag

Die »Grenzen des Darstellbaren« könnten auf grundsätzliche, stark ins Philosophische spielende Erörterungen verweisen, auf die Frage, was überhaupt darstellbar ist, aber der Untertitel des Buches ist viel einfacher gemeint, denn er zielt lediglich darauf, dass Caravaggio in seinem Werk immer wieder die Grenzen des Tolerierbaren und Akzeptablen austestete. Wie etwas darstellbar ist, das probierte er aus. Schmutzige Fingernägel oder Füße, laszive Posen einer Heiligen oder der Umstand, dass eine Bibelszene zunächst wie eine Genreszene aussieht: das sind Beobachtungen, von denen von Rosens Buch ausgeht.
Beispielhaft gleich das erste Kapitel, in dem die Autorin Caravaggios »Bacchus« vorstellt. Wir haben in diesem Bild keinen römischen Gott vor Augen, sondern einen römischen Jungen, den sich der Maler in sein Atelier holte, damit er ihm einen Gott vorspielt. Wie von Rosen bei dieser Gelegenheit und bei unzähligen anderen zeigen kann, wird der Gott keineswegs wirklich überzeugend auf dem Bild dargestellt, sondern ein aufmerksamer Blick zeigt, dass nur ein Junge als Gott posiert. Die schmutzigen Fingernägel und das ungleichmäßige Inkarnat (Gesicht und Hals sind brauner als der Oberkörper) werden nicht verborgen, sondern geradezu ausgestellt, und auch die Attribute des Gottes sind nicht vollständig. Wir haben also einen verkleideten Jungen vor uns, und das Bild macht daraus überhaupt kein Geheimnis.
Wenn im Untertitel des Buches vom „Performativen“ die Rede ist, dann wird damit angesprochen, dass der Prozess des Vorspielens und Ausstaffierens, Herstellens und Machens im Rahmen des Kunstwerks sichtbar gemacht wird. Ein Knabe schlüpft in eine Rolle und wird vom Maler nach der Natur gemalt. Das Ergebnis ist in den Worten der Autorin eine „Bildwerdung qua Rolleneinnahme“.
Also eine Art Theater auf der Leinwand, und es ist verständlich, dass bereits die Zeitgenossen Caravaggios immer wieder auf die Metaphorik des Theatralischen zurückgriffen, wenn sie seine Bilder beschrieben. „Das Moment der Pose samt dominanter Ausrichtung auf den Betrachter im ‚Close-up’-Bildausschnitt verbindet den »Bacchus« mit den anderen Knabenbildern in Halbfigur (…). Sie alle sind körperlich und mimisch auf ihre Betrachter ausgerichtet und scheinen sie mit ihren geöffneten Mündern und emotionalisierten Blicken anzusprechen. Der Eindruck des Posierens (…) wird indirekt auch durch die minimale Charakterisierung der Räumlichkeiten erzeugt, bei denen der Betrachter die Kunstwelt des Ateliers assoziiert.“

Der zweite Aspekt, auf den von Rosen bei der Gelegenheit dieses Bildes hinweist, ist das Oszillieren zwischen zwei Gattungen – es könnte ja auch ein Knabenbildnis wie andere sein, das wir im »Bacchus« vor uns haben. Dieser Vorgang wiederholt sich im Werk Caravaggios immer wieder. Ein in diesem Buch ausführlich besprochenes Beispiel ist die »Berufung Matthäi«, die in noch viel stärkerem Maße Züge eines Genrebildnis besitzt und den Betrachter auch sonst in vielfältiger Hinsicht irritiert, besonders aber damit, dass auch nach langem Betrachten nicht klar ist, wer eigentlich Matthäus auf diesem Bild sein soll. Wir sehen die Zöllner um einen Tisch sitzen, wir sehen typische Gesten (etwa die auf sich selbst zurückweisende Hand eines Menschen, der sich angesprochen fühlt), aber wir wissen nicht, wer denn nun wirklich dieser Levi ist, der dem Herrn folgen soll und ja auch folgen wird.
Diese Bilder haben sich weit davon gelöst, eine bloße Illustration der Bibel zu sein – sie verlangen, worauf von Rosen immer wieder hinweist, „Sinnstiftung“ vom Betrachter, der den narrativen Kern des Bildes erst einmal entdecken und enträtseln muß. Also keine Volksbibel für Analphabeten, sondern Bilder für gebildete Menschen, welche die Ambivalenz eines Bildes und damit auch seine ironischen Aspekte zu erkennen und zu würdigen vermögen. Das bedeutet nicht zuletzt Bilder für ein neues Publikum: nicht in jedem Falle für die Besucher einer Kirche, sondern Gemälde für Sammler. Es war diese Zeit, in der erstmals Sammler größeren Einfluss auf die Produktion von Kunst gewannen, und Caravaggios Werk ist von dieser Tatsache stark geprägt.
Ein anderes Bild, in dem das Ambivalente und Irritierende sehr stark betont ist, ist Caravaggios »Johannes der Täufer« aus der Pinacoteca Capitolina. Da ist zunächst das stark Sinnliche in der Darstellung des vollständig nackt dargestellten Knaben, das in der Kirche unbedingt Anstoß erregen musste. Dazu sieht es „mit den Attributen überaus dürftig aus“, wie von Rosen kommentiert, und zu alldem tritt noch ein offensichtlicher Fehler hinzu, denn dieser sinnliche Johannes umarmt kein Lamm als das Symbol für Christus, sondern einen Schafbock, der doch eigentlich ein Symbol der Wollust war. „Wie läßt sich ein »Johannes«, der über derart wenige attributive Merkmale verfügt, der ostentativ lascivo ist, mit dem Dekorum vereinbaren, das ja auch die Forderung nach Klarheit und Eindeutigkeit der künstlerischen Aussage umfaßt?“

Anders als die vorhergehende Forschung zieht von Rosen, um sich der Antwort zu nähern, nicht allein schriftliche Quellen heran, sondern bezieht sich ausführlich auf Bilder mit diesem Sujet in der Zeit Caravaggios, wobei die Kopien und Variationen durch die Caravaggisten besonders interessant sein müssen. Aber nicht sie allein werden herangezogen, denn von Rosen geht es „um die Strukturen und Bedingungen der Malerei in epochaler Perspektive, die die beobachteten Phänomene zur Folge hatten.“
Caravaggio zielte direkt auf die Viel- und Uneindeutigkeit seines Bildes; offenbar kam es ihm auf ein Schwanken zwischen einem profanen und einem religiösen Bild an: „Was Caravaggio also durch ein quasi haarscharfes Entlanggleiten an der Grenze des ‚Möglichen’ und ‚Machbaren’ auslotet, ist die Benennbarkeit als solche.“ Der Reiz eines solchen Bildes mit seiner uneindeutigen Darstellung bestand für viele Betrachter offenbar in der Differenz zum Konventionellen.
Dass Caravaggio mit seinem Oszillieren zwischen den verschiedenen Bildgattungen Erfolg hatte, demonstriert von Rosen mit zahlreichen Variationen des Themas durch die Caravaggisten, aber die Autorin geht auch zurück auf Bilder da Vincis oder Raffaels und kann zeigen, dass noch die Tradition der Bacchus-Darstellungen mit in dieses Thema hineinspielt. Auch knüpft die Darstellung des schlafenden Jesuskindes an die schlafenden Cupidi der Antike an. Ohne die Attribute lässt sich nicht unterscheiden, ob es sich um einen beliebigen Knaben, einen Cupido oder um das Jesuskind handelt, und ähnliche Phänomene finden sich auch bei anderen Sujets. So konnten „auch Kurtisanenbildnisse (…) durch die einfache Zugabe eines Attributs in eine »Hl. Lucia« und Venusfiguren in büßende Magdalenen verwandelt“ werden; selbst in der Dichtung der Zeit findet sich dergleichen. „Um 1600“, fasst von Rosen daher zusammen, „wird in verschiedenen Medien virulent, wie sich Religiöses ausdrücken läßt.“

Ein grundgelehrtes, sorgfältig lektoriertes und gut lesbares Buch, das mit seiner weit ausgreifenden Argumentation höchst anregend ist. Allerdings könnte man sich für diesen Preis bessere Illustrationen denken; von achtzehn, nicht besonders großen Farbtafeln in der Mitte des Bandes abgesehen, handelt es sich ausschließlich um kleinformatige Schwarzweißabbildungen.

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