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Valle Impero - Arbeiten von Verena Vernunft, galerie m beck in Homburg/Schwarzenacker, bis 26. Mai 2010

Unter dem Titel "Valle Impero" präsentiert die galerie m beck die Arbeiten der 1945 im schleswig-holsteinischen Rehhorst geborenen Verena Vernunft, die u.a. Mitglied des Deutschen Künstlerbundes, des Kuratoriums des Kunstfonds in Bonn war und lange Jahre als Professorin an der Fachhochschule in Hannover lehrte. Eine besondere Ehrung erfuhr die in Hamburg lebende Künstlerin 1978/79 als Stipendiatin der Deutschen Akademie Villa Massimo in Rom. Im selben Jahr wurde ihr der erste Preis - der Premio di Pittura - in Corciano (Italien) verliehen. In ihrer Einführungsrede hat Verena Paul versucht, sich an diese vielschichtigen, bemerkenswert eindringlichen Werke heranzutasten und die meditative, ruhige Wirkung zu erklären.

[...] Italien ist nicht nur das Land, das an Ehrungen erinnert, sondern dort findet Verena Vernunft zugleich einen Ort, an dem sie sich auf Spurensuche begeben kann. Etwa im Apenninental „Valle Impero“, wo sie sowohl die dortigen Landschaftseindrücke als auch die markanten Gravuren und filigranen Strukturen im Stein inspirierten. Diese „Spuren“ sind für die Künstlerin, so sagt sie, eine »vorgefundene Zeichnung, die durch meinen künstlerischen Eingriff in neuen Spannungsfeldern erscheint – Linie und Fläche, Linie und Farbe, Linie, die sich auflöst in Struktur, Linie, die definiert.« Dergestalt werden Farben und Formen der Natur abgelauscht, wobei Verena Vernunft gekonnt das Kernmotiv, die Melodie des Vorgefunden übernimmt, diese jedoch mit neuen Rhythmen und Klangfarben durchsetzt und so ein eigenes, zwischen Abstraktion und Figuration oszillierendes Bildgefüge gestaltet.

Dominant sind bei ihren Werken immer wieder die Lineamente, die in kraftvollen Bündeln über den weißen Bildgrund schnellen oder wie ein Mäander sich sanft, ja beinahe schwermütig ihren Weg durch ruhig fließende Farbfluten bahnen. Sie sind in einem ständigen Wandel begriffen, sei es, dass sie uns als verschlungene, feinmaschige Netze oder als schwerelos im Bildraum schwebende Schnüre begegnen. Linien sind – so glaube ich – kleine Wegweiser im Œuvre, die das Auge des Betrachters in verschiedene Richtungen lenken und ihm damit das Gefühl eines im Bild ausgetragenen Kräftemessens vermitteln. Wie die Muster von Gesteinsformationen muten die halmartigen Striche zunächst ungegenständlich, vielleicht sogar befremdend an, aber bei genauem Hinsehen formulieren sie figürliche Elemente, die als Grenzgänger zwischen Phantasie und Wirklichkeit einen anziehenden Zauber entwickeln. Denn »Phantasie haben heißt nicht«, wie Thomas Mann es formulierte, »sich etwas ausdenken; es heißt, sich aus den Dingen etwas machen.« Insofern sind die Bilder von Verena Vernunft Zeugnis eines intuitiven, intensiven, vor allem aber neugierigen Betrachtens von Naturerscheinungen, das sich sodann im künstlerischen Wirken fruchtbar niederschlägt. »Ich schöpfe«, so sei die Künstlerin noch einmal zitiert, »aus Quellen menschlichen Daseins, eigne mir ihre ‚Markierungen’ an, mache sie sichtbar, indem ich sie aus ihrem Umfeld isoliere, um sie erfahrbar und integrierbar in jetzige Strukturen zu überführen. Die Zeichnung ist dabei ein besonders präzises Medium der Rekonstruktion, Verwandlung und Neubestimmung.« Und damit geht auch das in der Natur vorgefundene Material in den künstlerischen Schaffensprozess ein; wird zunächst \"rekonstruiert\", verwandelt sich im Laufe der Arbeit und erfährt schließlich eine \"neue Bestimmung\".

Neben Linien, Strukturen und Flächen stehen die Farben im Fokus des Interesses der Künstlerin. So bespielen etwa ein klares Blau, ein kühles Grün, ein gedämpftes Rot oder ein monochromes Grau leise die von einem staccatoartigen Linienintermezzo begrenzten Flächen. Farben sind in Verena Vernunfts Arbeiten Stimmungsträger, die kühn und verhalten, transparent und gesättigt, intensiv und leichtfüßig den Betrachter anlocken und ihm eine andere Form von Wirklichkeit vermitteln, die es neu auszuloten und zu verstehen gilt.

Während kraftvolle Konturen die Farbfelder umgrenzen und akzentuieren, balanciert ein ruhiges Couleur jene eigensinnigen, verspielten Linien und die stark vibrierenden Strukturen aus und gibt ihnen im Gefüge des Bildes Halt. Indem die Künstlerin darüber hinaus Lineamente und Flächen farblich intensiviert und ihnen Eigenleben schenkt, gestaltet sie auf dem Bildträger einen neuen, geheimnisvollen und „Zeiträume sprengenden“ Ort, der reale Funde in poetische Miniaturen, Linien in bizarre, phantastische Gestalten und Farbe in pulsierende Abgründe oder schwerelose Höhen verwandelt. Es ist ein Ort, an dem Anfang und Ende zusammenrücken, an dem sich die Spanne zwischen Realem und Irrealem verdichtet und zu dem wir spontan aufbrechen können, um neben der unendlichen Vielfalt künstlerischer Transformationen von Realität die ästhetische Ausgestaltung zu genießen.

Verena Vernunft zeigt uns eine Wirklichkeitsform, die nichts mit haptisch erfahrbaren, d.h. „ertastbaren“, realen Objekten zu tun hat, vielmehr konfrontiert sie den Betrachter mit einer versunkenen, „anderen“ Welt, die – auf dem Papier oder der Leinwand – den Gesetzen der Schönheit folgt, der Schönheit in der Natur.

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