Ausstellungsbesprechungen

Volker Blumkowski – Weniger Siegfried

Die griechische Sagenwelt musste als Stichwortgeberin der Kunst im vergangenen Jahrhundert Federn und sich die Frage gefallen lassen, ob denn die alten Griechen selbst an sie glaubten. Aber sie erhielt auch neue Konturen. Denn richtig lassen konnten die Künstler nie ganz vom Reiz des Olymp, wo es ohnehin immer recht menschlich zuging. Der 1956 in Salzgitter geborene Volker Blumkowski hat denn auch gar nichts Religiöses im Sinn, wenn er in seinen Ateliers in Stuttgart und Paris mit den himmlischen und noch viel alltäglicheren Kopfgeburten spielt. Die Ergebnisse präsentiert die Galerie Schlichtenmaier in Stuttgart bis 29. November.

Einer der wenigen im Bewusstsein lebendig gebliebenen antiken Mythen ist der von Sisyphos, der für die Aufmüpfigkeit des Menschen vor Zeus & Co. stand, die ihn zur Strafe für diese Anmaßung mit dem sinnlosen Auftrag drangsalierten, einen Stein den Berg hinaufzurollen, der immerzu wieder ins Tal polterte. Dank Albert Camus, dem existenzialistischen Philosophen, hat sich dieser Mythos zu einem Bild des scheiternden, aber im selbstverantworteten Widerstand glücklichen Ereignis gewandelt. Volker Blumkowski, der schon als Wahlfranzose der Camus’schen Deutung eng verbunden sein dürfte, begeht einen anderen, einen neuen Weg. Er kombiniert die unsinnige Aktion mit der zum Gemeinplatz verkommenen Floskel vom Weg, der schon das Ziel selbst sei – und bringt damit Tragik und Ironie als jeweilige Kehrseiten der Geschichte zusammen: Ein Schuljunge steht vor einem offenbar unverschlossenen oder kaputten Galeriefenster. Davor und dahinter versperren Steinkugeln jeglichen Durchgang: »Sisyphos’ Traum« als nüchterne Situationsbeschreibung. Hier stellt sich die Frage gar nicht mehr, wer was wohin – und warum – rollt. Es sieht mehr danach aus, als hätten es die Steine satt, überhaupt irgendwohin gerollt zu werden. Abgesehen davon – sind es Steine?

Es wundert nicht, dass der einstige Baumgartl- und Sonderborg-Schüler Blumkowski den Realismus-Begriff nicht so gern mag, einen Begriff, der seit dem Kniefall des Kunstmarktes vor der jüngsten Leipziger Schule inflationär auf Abruf steht. Das Sichtbare hat der Maler freilich im Auge, und seine Malweise stellte dieses schon in einer ungemein bestechenden Weise dar, als die Leipziger erst noch akademische Weihen verdienen mussten. Aber Blumkowskis Pfand ist die überzeugende Präsenz des Unsichtbaren, das notwendig und erfreulich vielstimmig bleibt. Sinnbildlich stehen die Steine in »Sisyphos’ Traum« für ästhetisch-optische Klarsicht und für perspektivische Undurchsichtigkeit.

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Nun sind freilich die menschlich-allzumenschlichen Götter- und Halbgöttergeschichten prädestiniert, um das sur- (oder besser: neben-)reale, das jenseits des Sichtbaren sich in Szene Setzende vorzuführen. Die Phantasie hat da ihren freien Lauf, wie Blumkowski weiß: »Voilà, es steht Ihnen frei, das Vorher und das Nachher zu ergänzen.« Aber er ist zugleich Schelm genug, der anderes denkt, dem wir vergebens auf die Spur kommen wollen. Die »Kuh des Daedalos«, hier in abendlicher Stimmung, muss man sich erst nahe bringen, um einzusehen, wie weit sie uns entfremdet ist. Die Story mit Ikarus, dem leichtsinnigen Heißsporn, ist hinlänglich bekannt, aber dass sein Vater Daedalos als erster Objektkünstler nicht nur in der Parallelwelt des Mythos lebt, sondern selbst Mythen erzeugt, ist weniger bekannt. Wie abgestellt und vergessen gibt Blumkowski jene von Daedalos geschaffene, so lebensechte wie hohle Kuh ausgerechnet an einem Urlaubsstrand wider, harmlos auf einem Brett mit Rollen, als sei sie ein gehörntes Pendant zum Spielzeugziehpferdchen – jedoch: Die stiergierige Pasiphae soll sich dort eingenistet und schließlich den stierköpfigen Halbmenschen Minotauros geboren haben, dem Daedalos das berühmte Labyrinth usw. – aber Volker Blumkowski hat uns längst an der Nase herumgeführt: Was wir sehen, ist doch nur eine Kuh auf albernen Holzrädchen. Strandidyll.

Seine Bilder sind sogar betont undramatisch. »Ruhe, nichts Spektakuläres«, ja Alltägliches: Ob Schuljunge oder Spielzeug oder Bauarbeiter – rundum Stillleben mit mehr oder weniger beteiligten, sprich anwesenden Menschen. Bildwürdig ist für ihn alles, was die Dingwelt hergibt, die Geschichten, Mythen und Legenden machen erst wir daraus. Warum etwa schickt Blumkowski ein Trüffelschwein durch eine Gegend, die über »Neues vom Westwall« berichtet? Der »Heilige Franz!«, der dem Künstler Blumkowski doch sehr ähnlich sieht, steht dagegen ganz harmlos, aber innerlich gespannt, vor einer Wand und füttert Vögel, und wir ertappen uns, wie wir uns die Predigt des Franz von Assisi ausmalen. Wie in den mythischen Szenen glauben wir etwas zu sehen, was zumindest nicht explizit auf der Leinwand ist.

Hier ist weniger Franz zu sehen als der Künstler, der uns mit den Fragen konfrontiert, was hier echt, real, wirklich, tatsächlich vorhanden oder auch nicht ist, und wo die Identität in eine virtuelle Realität übergeht. Apropos »weniger Franz«: Der taucht in selber Pose in einem weiteren Gemälde Blumkowskis auf, erneut mit eigenem Konterfei, diesmal mit dem (tatsächlichen!) Titel »Weniger Siegfried«. Die Vögel sind nicht mehr da, dafür hält Franz alias Siegfried (der Germanenheld?) alias Blumkowski einen gelben Kreis in der Hand, der vielfach reproduziert, in verschiedenen Farben, auch an der Wand hinter ihm zu sehen ist. Abstrakte Malerei trifft auf Figuration, wobei die geometrische Scheibe so selbstverständlich ist wie der konkret fehlende linke Schuh des Protagonisten. Wo einem das nicht spanisch vorkommt, kann man die Farbkreise auch als Kugeln ansehen, oder als Steine, und Siegfried wird Sisyphos. Es ist eben alles nur gemalt. Aber das wussten wir doch sowieso, oder?
 

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