Ausstellungsbesprechungen

Volker Lehnert – Abschüssige Rabatten. Italienfahrten, Kunstverein Eislingen, bis 5. Juni 2011

Für Volker Lehnert ist die Zeichnung ein Medium der Vergewisserung des Gesehenen und Erlebten, aber auch eine systematische Recherche zu ‘fremden Orten’, ein ironischer Blick auf bauliche Realitäten des Alltags oder ein lustvolles Durchspielen imaginärer Möglichkeiten. Die Zeichnungen erzählen zudem vom Abenteuer des Zeichnens selbst. Günter Baumann hat sich dessen Italienbilder angesehen.

Italien gehörte einst zu den »Musts« unter den Künstlerfahrten: Erst hier reifte der angehende oder auch schon etablierte Maler, Bildhauer und Architekt zum europäischen Kunstschaffenden. Die bildungsorientierte Pilgerreise ist heute keine Pflicht mehr, aber umso mehr Kür – das Licht und die stein- und bildgewordene Tradition locken noch immer Künstler in den Süden, den Stiefel entlang. Diese Freiheit treibt denn auch beste Blüten.

Volker Lehnert, seit 15 Jahren Professor für Zeichnung zunächst in Krefeld, seit 2000 in Stuttgart, wo er auch Prorektor der Kunstakademie ist, hat aus der Kür noch mal ein Capriccio obendrauf gesetzt: »Abschüssige Rabatten« nennt er seine farbigen Zeichnungen, die er zu Beginn des Jahres in Dortmund gezeigt hatte und zurzeit im Kunstverein Eislingen zeigt. Der Titel bezieht sich auf Blätter aus Lucca, die in Vogelperspektive beziehungsweise Draufsicht den Blick auf stark verzerrte Gartenanlagen in gebauter Umgebung freigeben. Es sind hinreißend freche Zeichnungen, die scheinbar flüchtig hingeworfen sind, bei genauer Betrachtung jedoch illustrierte Gedankensplitter sind, die sich keineswegs der Realität entziehen. Allerdings geben die Arbeiten weniger eine belegbare Räumlichkeit wieder als Eindrücke, die in einer wahren Bilderflut über den Künstler hereingebrochen sind, der sie sich nun vom Leibe zeichnet.

Lehnert hätte die Schau auch nach einem anderen der zum Teil hochamüsanten Werktitel benennen können, etwa: »Rasen auf heiliger Erde«, »Tanken bei den Karmelitern« oder »Läuft einer am Baptisterium« usw. Poetisch weisen diese Sprachfetzen über das rein Bildnerische hinaus. Mit einer – wörtlich zu nehmenden – schlafwandlerischer Sicherheit manövriert der Zeichenstift den Künstler durch die italienischen Städte, palimpsestartig überlagern sich dabei die Assoziationen: klassizistische Säulen oder eine Reiterfigur ragen empor, durchkreuzt von Menschen oder auch einem Caféhausstuhl, einem Touristenkiosk oder ähnlichem.

Es mag manchem Betrachter hierbei schwindelig werden, aber es dürfte schwer sein, sich dem rasanten Treiben des Strichs zu widersetzen. Die über Jahre gewachsene Werkgruppe der Italienbilder, die Lehnert erstmals auch als Architekturzeichner präsentieren, gehört zum Faszinierendsten, was die Zeichnung zur Zeit zu bieten hat, und sie zeigt, dass die Vedute auch heute noch lebt.

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