Ausstellungsbesprechungen

Von Matisse bis Malewitsch - Pioniere der modernen Kunst aus der Hermitage, Hermitage Amsterdam, bis 17. September 2010

Die Hermitage Amsterdam präsentiert im Jahr 2010 eine Ausstellung herausragender Werke von Matisse, Picasso, Van Dongen, De Vlaminck, Derain und ihren Zeitgenossen. Unter dem Titel „Matisse to Malevich. Pioneers of Modern Art from the Hermitage“ zeigt das Museum eine Auswahl zentraler Werke der modernen Malerei. Günter Baumann hat die Ausstellung für Sie erkundet.

Zum Ende der Ausstellung »Von Matisse bis Malevich« durfte die Hermitage Amsterdam, der Ableger der St. Petersburger Eremitage in der niederländischen Hauptstadt ihren millionsten Besucher begrüßen. Nach Auskunft des Museums, das sich seit seiner Eröffnung vor wenigen Jahren zu einer der ersten Adressen im Ausstellungswesen der Stadt entwickelt hat – was sicher auch daran lag, dass sich das Rijks- und das Stedelijk Museum umbaubedingt eine weitgehende Auszeit genommen haben, die erst zum nächsten Jahr zu Ende geht –, war ein Viertel der Besucher aus dem Ausland, eine erstaunliche Zahl, die zeigt, wie schwergewichtig die Namen sind, die in der Megaschau anzutreffen sind, aber auch, welche Sogwirkung die niederländische Metropole hat, deren Innenstadt seit kurzem zum Weltkulturerbe gehört. Darüber hinaus verbucht die Pressestelle der Hermitage »zehntausende Amsterdamer Schulkinder«, die das Haus besuchten; das darf sich das Museum selbst auf die Fahnen schreiben, denn von Anbeginn setzte es auf eine familien- und kindgerechte Präsentation, die man nur als vorbildlich bezeichnen kann. Den Erwachsenen kann das nur recht sein: Sowohl die letztjährige Ausstellung »Am russischen Hof« als auch diese aktuelle Schau zur klassischen Moderne haben gezeigt, dass man Kunst genussvoll präsentieren kann, ohne sie gleich zu zelebrieren und dass man große Zusammenhänge vermitteln kann, ohne sie gleich allzu bildungsbeflissen nur aneinanderzureihen.

Dass die Pilgerzüge zu dieser Ausstellung solche Ausmaße angenommen haben, die man sonst eher von Retrospektiven kennt - von Cranach über Vermeer bis hin zu Kirchner und Kandinsky - liegt auf der Hand. Längst ist die Klassische Moderne Bestandteil des kultivierten kollektiven Gedächtnisses, dem mittels Memory-Spielen und Wandkalender auch noch auf die Sprünge geholfen wird - mit einer gewissen Verschleifung in der Erwartungshaltung. Wenn dann aber einmal ein privater Sammler seine sonst verschlossenen Pforten öffnet oder eine Sammlung aus Polen oder Russland ihren Weg in den Westen findet, stehen wir fasziniert vor Arbeiten, die oftmals einen ganz neuen, frischeren Blick auf ein sattsam bekanntes Bild von einem Werk zulassen. Nun ist die Eremitage in St. Petersburg kein Geheimtipp, und gänzlich unbekannte Bilder treten hier sicher nicht zutage, aber die Eremitage ist auch nicht der Louvre, wo der Gedanken-Transfer früher einsetzen konnte. Gleichwohl sind die Werke der Eremitage keineswegs weniger bedeutend, und so darf man mit einiger Bewunderung etlichen berühmten Meisterwerken und hie und da mit etwas Verwunderung weniger geläufigen Entdeckungen entgegentreten, die keineswegs bloße Depot-Schönheiten sind, sondern aus dem festen Ausstellungsbestand der Eremitage stammen. Klar ist jedenfalls, dass die rund 75 Gemälde in den Niederlanden noch nie zu sehen waren, was für die meisten Bilder wohl auch für Deutschland gelten dürfte - und wenn hier und da ein veritabler Klassiker aus Moskau oder Petersburg auf Reisen war, blieb er meist ein Stück weit auch Devisenbringer. Die St. Petersburger Sammlung stützt sich auf private Sammler, insbesondere Iwan Morosow und Sergei Schtschukin, die sich leidenschaftlich um die französische Moderne bemühten, und die nun deutlich als ehemalige Besitzer bzw. Sachwalter der Picassos, Matisses & Co. genannt werden. Gottlob sind die Zeiten entkrampfter als früher, da die Bilder keine individuelle Geschichte haben durften, die durch den Eisernen Vorhang gereicht wurden. Jene Sammler-Früchte sind es, die nun noch für kurze Zeit in der holländischen Dependance zu sehen sind, bevor der nächste Zug voller Exponate gen Westen rollt – nach Malevich, Matisse, Vlaminck, Derain, Picasso & Co. steht ein ganz anderer Star auf dem Programm: Alexander der Große, der zur Zeit auch in Mannheim ein großes Thema ist – man wird sehen welche Präsentation im Hinblick auf die Besucherzahlen das Rennen machen wird.

Es ist schon bedeutend, wenn der russische Focus auf die westliche, insbesondere französische Kunst vom Blick einzelner Sammler geworfen wird - und selbst Malevich und Kandinsky werden ja längst als europäische und weniger russische Künstler angesehen, weshalb sie die Ausstellung wie selbstverständlich ergänzen. Vor der Oktoberrevolution galten Morozow und noch mehr Schtschukin zu den ersten Adressen, wenn es um Matisse oder Picasso ging (allein von diesen beiden konnten die zwei Sammler rund 90 Arbeiten präsentieren). Daher begegnet der Amsterdam-Besucher einem guten Dutzend herrlichen Picasso- und ebenso vielen schönen Matisse-Werken, die Plastiken noch nicht mitgerechnet. Unter ihren Bildern ragen Matisses »Rotes Zimmer« (1908) oder Picassos »Absinth-Tinkerin« (1901) heraus. Malevich ist etwas schmächtig vertreten – dafür, dass er auf dem Ausstellungstitel prangt –, dafür wartet er mit einem »Schwarzen Quadrat« von etwa 1930 auf. Wunderbar sind auch die Bilder von De Vlaminck, dessen »Kleine Stadt an der Seine« (1909) eine faszinierende Leuchtkraft hat. Wenn im Untertitel der Schau die Pionierleistung hervorgehoben wird, ist das nicht nur ein Klischee. So schreibt der niederländische Kunsthistoriker Henk van Os: »All der Theoretisiererei setzen die Pioniere der ersten Stunde immer wieder entgegen, dass das Erschaffen von Kunst eigenen Gesetzen gehorcht, dass sie die Kunst von jeglicher Unterwürfigkeit befreien wollen. Kunstwerke verweisen nicht mehr auf etwas anderes, sondern ausschließlich auf sich selbst. Darum fühlen sie sich als Pioniere.« Das ist neu in der Kunstgeschichte. Und die Entdeckungsfreude und -bereitschaft hat seit dieser Zeit eine ganz neue Qualität. Oder um es noch einmal mit Van Os zu sagen: »Dieses ist eine Ausstellung, die alles in sich hat, um sei für viele Menschen zu einem Fest werden zu lassen.«

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