Ausstellungsbesprechungen

Vor 100 Jahren – Kandinsky, Münter, Jawlensky, Werefkin

Es fehlte eigentlich nur der Trommelwirbel, so illuster waren die Gäste zur Eröffnung: Der Bundespräsident Horst Köhler und der bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein legten im Sommer ihre Terminkalender zusammen, um einer knappen Handvoll Künstlern ihre Referenz in Murnau zu erweisen.

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Werefkin: Herbst (Schule), 1907 © Fondazione Marianne Werefkin, Museo comunale d\'arte moderna, Ascona

Den Landespolitiker hat inzwischen der graue Alltag schmerzlich eingeholt – aber die Kunst strahlt noch immer. Das ist kein Wunder, denn sie war hier, vor 100 Jahren, zu Hause: Die Rede ist von dem vierköpfigen Gespann von (späteren) Blauen Reitern: Wassily Kandinsky (1866–1944), seine Lebenspartnerin Gabriele Münter (1877–1962), Alexej Jawlensky (1864/65–1941) und Marianne von Werefkin (1860–1938). Von bayerischer Urwüchsigkeit kann dabei freilich nicht die Rede sein, denn drei davon kamen aus Russland über München nach Murnau, Münter aus Berlin – sie blieb der Wahlheimat auch über die gemeinsame Zeit hinaus treu, während die anderen wieder in alle Winde verstreut wurde, von Frankreich bis nach Ascona in der Schweiz. So verschlafen das Dorf wohl bis zur Wende zum 20. Jahrhundert war, so zogen die Künstler recht früh Aufmerksamkeit auf sich und die Blicke auf das Murnauer Moos. Dass der Architekt Emmanuel Seidl gute Vorarbeiten geleistet hat, zeigt sich daran, dass er den Murnauern Farbe im Stadtbild verordnete, was Kandinsky & Co. anlocken musste. 

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Bedeutend, wenn nicht epochal als Meilenstein der Kunstgeschichte, ist die gemeinsame Arbeit dieser Maler-Quadriga in Murnau, weil hier die Keimzelle der berühmten Künstlervereinigung DER BLAUE REITER gelegt wurde und einer der Nährböden der abstrakten Kunst lag. Die Ausstellung selbst gehört zu den spannendsten Präsentationen zu diesem Zeitraum, auch und gerade wenn man die anstehende große Kandinsky-Schau in München, Paris und New York dagegen (oder auf Augenhöhe) hält. Denn im Vorfeld jener Strömungen lohnt es sich noch, das Augenmerk auf die Konstellationen zu werfen, die später irrelevant werden: Kandinsky und Münter bilden ihre Stile im Verlauf ihrer Liebesbeziehung aus, das Paar Jawlensky/Werefkin kann dagegen Liaison und Profession nicht im Einklang halten – auf Kosten Marianne von Werefkins, wie überhaupt deutlich wird, wie die Frauen in dieser Zeit zurückstecken mussten (Paula Modersohn-Becker ist eine rühmliche Ausnahme, Gabriele Münter hatte immerhin »gute Karten«). Dabei muss man sich vor Augen führen, wie exotisch die Malerpaare, die im »Russenhaus« zu Gange waren, im ländlichen bayerischen Raum wirkten. Die Murnauer Ausstellung konfrontiert die bunte Welt der Kunst mit der Schwarzweiß-Welt der Fotorealität – ein einzigartiges Zusammenspiel, das eine groß angelegte Retrospektive kaum bieten kann, die sich mit einem/einer Künstler/in befassen würde. 

Die schönsten Begegnungen im Schlossmuseum von Murnau sind denn auch weniger die mit den Arbeiten der männlichen Protagonisten, sondern die mit denen der Frauen. Und hier ist es ein Genuss, die von den Nabis inspirierte, symbolistisch angehauchte Malerei Werefkins zu sehen, ja kennenzulernen, die leider innerhalb der »Viererbande« am wenigsten bekannt ist. (Die Arbeiten von Gabriele Münter, die ihre Wurzeln mehr im Spätimpressionismus hatte, sind um einiges vertrauter.) Ob das »Herbst«-Gemälde mit dem Nebentitel »Schule« oder das Porträt eines alten »Krämers« den Betrachter ins Bild ziehen oder ob ihre Zeichnungen und Skizzen den heutigen Betrachter durch das Murnau von vor 100 Jahren geleiten: Werefkin vermag etwas von der Frische zu vermitteln, die sogar noch auf die Kollegin und mehr noch auf die Kollegen abfärbt, die im Laufe des Jahrhunderts ein wenig an Farbe eingebüßt haben.

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