Buchrezensionen, Rezensionen

Was ist gute Kunst? Hatje Cantz Verlag, 2009

Über diese Frage diskutieren in der vorliegenden, reich bebilderten Publikation zwölf Museumskuratoren mit ausgewiesener Sachkenntnis und Witz. Nach welchen Kriterien kann in den verschiedenen Disziplinen der zeitgenössischen Kunst Qualität erkannt und schließlich bewertet werden? Verena Paul stellt die Antworten vor.

Was ist gute Kunst.Cover©Hatje Cantz
Was ist gute Kunst.Cover©Hatje Cantz

„Die Welt steckt in einer nie zuvor gesehenen globalen Finanzkrise, die noch nicht ihren Tiefpunkt erreicht hat. Nichtsdestotrotz ist die internationale Kunstwelt nicht kleinzukriegen“, so Gérard A. Goodrow in seinem Vorwort. „Nach dem Motto ‚The show must go on’ kämpfen Künstler, Galerien, Auktionshäuser, Museen und andere Kunst- und Kulturinstitutionen um den Wert – den Stellenwert – der zeitgenössischen Kunst. Jetzt erst recht spielt Qualität eine überaus wichtige Rolle.“ [Goodrow] Aber wie können wir diese Qualität nun in Zeiten des Pluralismus und gar in einer Phase der Antiästhetik erkennen? Zwölf international anerkannte Autoren und Experten ihres Faches bieten in sechs Kapiteln, die die Medien Malerei, Zeichnung, Druckgrafik, Video, Fotografie und Skulptur behandeln, fundierte Informationen. Dabei enthalten die einzelnen Kapitel zumeist einen Beitrag, der in die Materie einleitet, sowie ein Interview, das nicht nur unsere Kenntnisse zu erweitern und vertiefen sucht, sondern auch das Lesevergnügen steigert.

Christoph Heinrich charakterisiert in seinem wunderbar zu lesenden Beitrag „Qualität in Zeiten des Überflusses“ die Qualität eines Gemäldes, „wenn es die beiden Zeitaspekte des Sehens verbindet und uns auf den ersten Blick bei unserem Rundgang durch das Museum innehalten lässt: ‚Das ist ja stark, von wem ist das?’ Und auf den zweiten, dritten, hundertsten Blick, der unsere Augen auch noch nach Jahren der Beschäftigung mit einem Werk füttert, Neues entdecken lässt, bislang nie Wahrgenommenes.“ Dabei warnt er vor der gefährlichen Liaison von Qualität und Macht, da Letztere bekanntlich blind macht und zwar für „das Neue, Neugedachte, Neugeformte, Neuerfundene.“ [Heinrich] Was uns als Betrachter also zeitlebens bleiben soll ist Neugier, damit man lernt, so der Autor weiter, „Qualität unvereingenommen zu erkennen“.

Bei einer guten Zeichnung spielen als Qualitätsfaktoren, laut Andreas Schalhorns Essay „Das Rohe und das Gekochte“, „künstlerische Stringenz, Glaubwürdigkeit, Eigenständigkeit und Konsequenz“ eine wichtige Rolle. Anhand anschaulicher Beispiele verdeutlicht der Autor uns in leserfreundlicher Sprache die Vielzahl der Komponenten, die eine wertvolle Zeichnung ausmachen. Wie man diese erkennen kann? „[W]enn man mit und über den inhaltlichen Bezug die Zeichnung auch als kreativen Gestaltungsakt per se genießen kann", so der Rat des Fachmanns.

Im Gespräch, das Wolfram Völcker mit Michael Semff geführt hat, kommt Semff – wie auch Schalhorn – zu dem Ergebnis, dass es kein einzelnes Indiz gibt, das für Qualität steht. Für den Befragten ist „ein Kriterium für einen Künstler, dass ihm etwas zuwächst. Wie im Übrigen auch einem Schreiber, der an einem Wort formuliert, dem muss etwas zuwachsen, sonst ist er einfach zu unbegabt.“ Und daran könne man auch gewisse Kriterien des Ranges einer Zeichnung einschätzen. Im Vergleich mit Gerhard Richter erscheint Semff „ein kleiner Strich von [Al] Tayler so viel witziger, hintergründiger und genuiner. Da fehlen mir einfach die Worte.“ Und vielleicht ist gerade diese Sprachlosigkeit, dieses Ringen um Worte ein Signum der Qualität.

Dass die Frage nach Qualität auch in der Druckgrafik mit Schwierigkeiten behaftet ist, zeigt der informative und spannend zu lesende Beitrag von Jeremy Lewison. Der Autor erkennt jedoch in der „Angemessenheit der künstlerischen Mittel“ einen Lösungsansatz dieser Fragestellung. Ob eine Druckgrafik erfolgreich und von hoher Qualität ist, zeige sich vor allem – so Lewison – in einem „Abgleich von Konzeption, Medienwahl und Druckqualität“.

Im Interview mit Alexander Dückers kristallisiert sich Qualität primär dadurch heraus, dass „ein Kunstwerk in hervorragendem Maß als eigenständig und unverwechselbar zu bezeichnen ist“, wobei die Technik stets „die Dienerin der Bildidee bleiben muss.“ [Dückers]

Die Frage nach Qualität in dem noch jungen Medium Videokunst haben sich Katja Albers und Kathrin Becker in ihrem wissenschaftlich fundierten und sprachlich beachtlichen Textbeitrag „How to watch a videotape / How to judge a videotape“ gestellt. „Dieses neue Spielzeug ersetzte oder ergänzte“, wie die beiden Autorinnen vorweg erklären, „vielfach das Skizzenbuch, in das kleine Realitätsfetzen und Selbstbeobachtungen gekritzelt wurden. Fußnoten des Alltags sozusagen oder Bilderschnipsel, herausgerissen aus dem unendlichen Strom visueller Information und erfrischend neu kombiniert.“ Und es entwickelten sich erst nach und nach Kriterien, „die den ästhetischen Wert eines Werkes beschreiben können, den wir hier als ‚Qualität’ bezeichnen möchten.“ [Albers & Becker] Ein wesentliches Gestaltungsprinzip und Qualitätskriterium ist für die Autorinnen der „nicht-chronologische Umgang mit Zeit als Material“. Indem immer wieder Beispiele dem Leser präsentiert werden, wird die Qualität, die manches Video auszeichnet, nachvollziehbar und verständlich, beispielsweise, wenn Albers und Becker das Œuvre Matthew Barneys wie folgt bewerten: „Seine Qualität liegt bei aller kitschigen Cremigkeit der Oberfläche in der stringenten Präzision und fantasievollen Bildgewalt seiner Werke. Selten ist man“, so das pointierte Resultat, „so schamlos verführt worden und hat so lässig all seinen kritischen Anspruch an die Kunst über Bord geworfen.“

Wulf Herzogenrath greift implizit dieses emotional unterfütterte Ergebnis für die Qualität in Videoarbeiten auf, wenn er äußert, dass Qualität etwas sehr Subjektives sei. Zugleich unterscheidet er zwischen einer Qualität „auf dem Kunstmarkt und einer im Museumsbereich“. Leitlinien bzw. Kriterien, um sich an die Qualität einer Videoarbeit heranzutasten, stellen für ihn „Innovation, Konstanz und die Konsequenz, etwas weiterzuentwickeln“ [Herzogenrath] dar.

Auch Urs Stahel findet einen spannenden Zugang zur Frage nach der Qualität von Kunst: Diese sei nicht nur im Werk selbst verankert, „sondern auch zwischen den Werken, zwischen dem Werk und der Welt, zwischen dem Künstler und seiner Haltung und dem gestalteten Werk und der Welt.“ Daher müsse eine künstlerische Arbeit ein bestimmtes Maß an Aktualität enthalten, „damit die Betrachter die Qualität eines Werkes in einer bestimmten Zeit auch erkennen können. Und gleichzeitig hoffen wir,“ so der Verfasser weiter, „dass es neben den offen daliegenden auch verborgene Qualitäten aufweist, die es die Zeit überdauern lassen.“ Ein zentrales Qualitätsmerkmal attestiert Stahel dem Medium Fotografie aufgrund seines Zusammenspiels „von vorhandener Realität und dem Gestalten von fotografischer Realität.“

Wie viele der AutorInnen macht auch Matthias Harder die Qualität teilweise an der magischen Anziehungskraft eines Kunstwerkes aus: Es soll fesseln und faszinieren. Dabei wird Harder bei Fotoarbeiten besonders von der „Absurdität im Alltäglichen“ und einem „subtile[n] Bildwitz“ angezogen.

Mit seinem klar strukturierten Textkorpus „Die Dialektik der Dimensionen des Raumes“ stellt sich Friedrich Meschede der Frage, wie sich Qualität in der Skulptur äußern kann. Pointiert legt der Autor dar, was eine Skulptur/Plastik auszeichnet: Diese sei abhängig von der „Entscheidung über Proportionen, Maß und Dimension eines Werkes [...]. Skulptur ist existenziell und existiert innerhalb bestimmter und bestimmbarer Entscheidungen in der Form in einem Material, das von einem Raum und unserer Aufmerksamkeit darin Besitz ergreift.“ [Meschede]

Fazit: Perspektivschärfend, auf leichtfüßige Weise informativ und unglaublich spannend zu lesen. Dabei werden wir immer wieder auf Sätze gestoßen, die unterstrichen, herausgeschrieben und bedacht werden möchten. Eine in „qualitativ“ hochwertiger Gestalt und geldbörsenfreundlich daherkommende Publikation, die als kompetenter Ratgeber im Bücherregal keines Kunstinteressierten fehlen darf!

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