Ausstellungsbesprechungen

Wenn die Zeit stehen bleibt - Hans Op de Beeck in Wolfsburg

Hans Op de Beeck ist dieser Tage kaum aus den Museen des Landes wegzubekommen, so scheint es – Ende April ging seine Schau im Museum Morsbroich zu Ende, und noch im selben Monat eröffnete die Retrospektive im Kunstmuseum Wolfsburg, die bis zum 3. September zu sehen ist. Bettina Maria Brosowsky hat sie sich angesehen und ist in das Werk Op de Beecks eingetaucht.

Noch mal Hans Op de Beeck, ist man geneigt zu stöhnen, wenn das Kunstmuseum Wolfsburg nun zu einer großen Retrospektive des Belgiers lädt. Erst Ende 2012 hatte ihm ja der Kunstverein Hannover seine erste, recht opulente Personale in Deutschland ausgerichtet. Man hat also noch gut die Erinnerungen parat, etwa an das wie von Zementstaub überzogene zentrale Environment »Location (7)«, und vor allem die elegische Grundstimmung, die alles untermalte.

Das Kunstmuseum Wolfsburg verfügt über eine große zentrale Halle mit stolzen 1600 Quadratmetern Grundfläche und rund 16 Metern Höhe. Sie ist Segen und Fluch zugleich, benennt der Direktor des Hauses, Ralf Beil, die immanente Herausforderung durch diese Architektur. Und da Beil nach zwei thematischen Ausstellungen – der Ortsstudie »Wolfsburg Unlimited« im letzten Sommer und dem Blick in die Britische Pop Art über den Jahreswechsel – jetzt parallel zum multiplen Spektakel der kommenden Documenta eine konzentrierte Einzelposition in Wolfsburg bieten möchte, fiel die Wahl auf Hans Op de Beeck. In Venedig, 2011 auf der Biennale, hatte Beil besagte »Location (7)« etwas abseits im Arsenale erlebt, empfand sie als magischen Ort, irgendwo zwischen Wachtraum und Memento Mori, als Ruhepol im Trubel des Kunstzirkus.

Der 1969 geborene Hans Op de Beeck ist ein wahres Multitalent, tätig als Crossmedia-Künstler, aber auch als dramatischer Erzähler, Regisseur und Komponist. Seinem theatralischen wie skulpturalen Raumzugriff, mittlerweile mit sechs Assistenten umgesetzt, war also zuzutrauen, die örtlichen Dimensionen des Wolfsburger Hauses zu bewältigen, um dort neuerliche Zauberwelten aufzuführen. Dafür stehen Op de Beeck nun rund um die große Halle noch weitere 600 Quadratmeter zur Verfügung. Seine Totalinstallation sei der helle Wahnsinn, sagt Beil schon vor dem Einlass, eine Hoffnung also, die sich für ihn bereits erfüllte.

Man betritt den Wolfsburger Parcours nun im Obergeschoss des Museums. Hier empfängt einen das »Haus des Sammlers«, wie zu erwarten in diesem Zementstaub-Look über all seinen Bestandteilen. Der Raumhybrid zwischen Innen und Außen zeigt eine Bibliothek wahrscheinlich nie gelesener Bücher, ein Piano, ein bequemes Sofa, einen Teich mit Seerosen und allerlei Versatzstücke der Kunst- und Naturgeschichte. Es liegt nahe, dass es dem Sammler eher um eine repräsentative denn erkenntnisfördernde Funktion seiner Akkumulationsleidenschaft geht. Zwei Kinder flankieren den Blütenpool, Modell stand der eigene Nachwuchs Op de Beecks. Beide Plastiken erinnern in ihrer statuarischen Hermetik und Glätte an die des US-Kollegen Charles Ray. Dessen übergroßer »Junge mit Frosch« stand ja eine ganze Weile vor dem Sammlungsdomizil des französischen Milliardärs François Pinault an der Punta della Dogana in Venedig. Nach Bürgerprotesten musste der nackte Jüngling jedoch entfernt werden, eine historisierende Straßenlaterne steht seitdem an seiner Stelle. Aber an irgendeine Form hintersinniger Anspielung auf diese Posse mag man bei Op de Beeck nicht denken, alles kommt ernsthaft und mit tiefer Melancholie daher. Auch in seinen eigenen Worten verweist der Künstler nur auf den offensichtlich schlechten, kitschigen Geschmack des Sammlers – unklar, ob dazu auch seine eigene appropriation art zählt. Das wichtigste ist bei Hans Op de Beeck eine Atmosphäre, die erscheinen soll, als sei die Zeit plötzlich stehen geblieben – sein Pompeji-Effekt – und habe dabei ein detailverliebtes Sittengemälde für die Nachwelt konserviert.

Dieses Haus des Sammlers bietet als nächste Attraktion einen Balkon mit dem Blick hinunter auf ein anthrazit düsteres Arrangement kleiner Gewerbebauten, akribisch mit Wellblechdächern, Freiluftkabeln, Müllcontainern und lodernden Feuerstellen aufgebaut. Ein vor sich hin plätschernder Springbrunnen und ein paar Sitzbänke zentrieren auf surreale Weise den ausgestorbenen Ort. Geht man nun hinunter, trifft man in jedem Häuschen eine weitere Arbeit Op de Beecks. Wie bei einer Retrospektive unvermeidlich, sind gute Bekannte aus Hannover dabei wie die kleine (und erneut überraschend amüsierende) »Location (1)« von 1998, die erste dreidimensionale Arbeit nach dem Malereistudium: eine nächtlich menschenleere Straßenkreuzung, die Landschaft winterlich gefroren. Nur die Ampelanlage arbeitet zuverlässig und steuert stoisch selbst noch das absurde Nichts.

Auch der gleißend weiße, übergroße Tisch mit den Resten eines Beerdigungskaffees ist wieder zu sehen. Nach der Miniatur der Straßenkreuzung dreht sich nun der Maßstab um: die absolute Dimension simuliert die Wahrnehmung eines sechsjährigen Kindes, das seine Umgebung ja als viel zu mächtig empfindet. Und die Bedeutung einer Trauerfeier vielleicht noch gar nicht erfassen kann. Aber dieser analytische Anflug früher Arbeiten geht in der Op de Beeck'schen Überwältigungskunst der folgenden Jahre unter. Man tapert also nun durchs bedeutungsschwere Dunkel, tritt vor das naturalistische Diorama eines gottverlassenen Amüsierparks oder eine kleine Ansiedlung vernakulär exotischer Modellhäuschen in schwarzem Wasser oder in eine realgroße Dachkammer, deren Idylle einzig ein brutaler Lichtstrahl leicht konterkariert. Permanent wollen Stimmungen evoziert werden, werden archetypische Bilder zu fiktiven neuen Realitäten zusammengeführt, wird eine gewaltige Imaginationsmaschine angeworfen, etwa im Monumental-Epos »Sea of Tranquillity«: eine Requisiten-Show, ein Film mit 3D-Animationen und ein selbstkomponierter Soundtrack. Das alles wurde zum bekannten, hoch ästhetischen Markenzeichen der Kunst Op de Beecks und funktioniert natürlich auch bestens in der Wolfsburger XXL-Version in situ.

Aber so wie die Zeit in all seinen Installationen angehalten wurde, scheint sie auch im Werk von Hans Op de Beeck einfach stehen geblieben zu sein. Es ist schon etwas beklemmend zu spüren, wie wenig er sich in den letzten Jahren bewegt zu haben scheint. Er kramt die immergleichen, meist graustaubigen Requisiten aus dem mentalen Archiv, empfindet nicht die geringste Notwendigkeit zur Akzentverschiebung oder Überprüfung des Vokabulars. An selbstironische Lockerheit mag man schon gar nicht denken.

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