Buchrezensionen

Werner Busch: Adolph Menzel. Auf der Suche nach der Wirklichkeit, C.H. Beck 2015

Vor allem seinen zahlreichen Bildern von Friedrich dem Großen verdankt Adolph Menzel bis heute eine gewisse Popularität. Aber wer außerhalb von Berlin und Preußen oder gar jenseits der deutschen Grenzen kennt diesen Maler wirklich? Wer weiß, wie vielschichtig und zukunftsweisend sein Werk war und ist? Werner Busch legt jetzt eine Menzel-Monografie vor, die Leben und Werk eines der ganz Großen feiert. Stefan Diebitz hat das Buch gelesen.

Endlich! Es war wirklich an der Zeit, dass eine große Monografie Adolph Menzels erschien, ein richtiges Standardwerk. Und das hat nicht allein etwas mit seinem zweihundertsten Geburtstag am 8. Dezember zu tun, denn das ist ja kaum mehr als eine bloße Äußerlichkeit. Aber wie der Autor selbst betont, sind Menzels Leben und sein Werk dank einer großen Zahl von Studien und Ausstellungen gut erforscht, so dass sich eine Übersicht, aber auch ein Resümee aufdrängte. Außerdem eignet sich sein Werk besonders gut für eine Gesamtdarstellung. Denn einerseits bietet es Entwicklung, weil dieser Künstler niemals Halt machte, sondern sich fortlaufend neue Techniken, neue Sichtweisen und neue Themen erarbeitete, andererseits gibt es auch Linien, die sich durch alle seine Arbeiten ziehen, durch seine frühen Grafiken, seine Ölbilder, Gouachen und Zeichnungen. So ist sein großes Werk einheitlich und vielfältig zugleich.

Immer dann, wenn der Autor Menzels Arbeiten sorgfältig analysiert, immer, wenn er im Rückgriff auf Quellen und Forschungsliteratur, vor allem aber mit genauen Beobachtungen das Werk dieses Malers näher bringt, ist das Buch großartig; und da Werner Busch kaum etwas anderes tut, da er alle besprochenen Werke sorgfältig vermisst, beschreibt und durchdekliniert, kann man diese Monografie gar nicht warm genug empfehlen. Ich glaube fast, dass ich in diesem Jahr kein schöneres und interessanteres Buch über Kunst gelesen habe – es hat mich von Anfang bis Ende gefesselt.

Das Buch ist ganz und gar auf Menzel konzentriert, und andere bedeutende Berliner oder deutsche Figuren der Zeit geraten eigentlich nur dann in den Focus, wenn sie tatsächlich unmittelbar im Kontakt zu Menzel standen. Merkwürdigerweise wird nicht einmal Theodor Fontane erwähnt, der in der Dichter- und Künstlervereinigung »Tunnel über der Spree« Menzel schon früh begegnet sein muss. Menzel nannte sich dort »Rubens«. Er war auch später mit Fontane befreundet, dessen literarisches Werk zu jenem von Menzel zahlreiche thematische Parallelen aufweist, aber der Dichter findet trotzdem an keiner Stelle eine Erwähnung. Auch andere Maler werden nur beiläufig genannt und meist nur dann, wenn sie selbst (wie vor allem Liebermann) Menzels Bilder oder seine Arbeitsweise kommentierten. So ist dieses Buch das Buch eines Kunsthistorikers über einen Maler und wirklich nichts sonst.

Menzel war kleinwüchsig, ein Zwerg mit einem zu großen Kopf. Es mag etwas fragwürdig sein, die Bedeutung von Menzels Konstitution für seine Kunst zu thematisieren, aber Busch hat es getan, und er durfte das auch, zumal er die Kleinwüchsigkeit nicht etwa in den Mittelpunkt stellt. Aber darüber zu schweigen wäre auch nicht gegangen, schon deshalb, weil sich der Künstler selbst wiederholt als Zwerg dargestellt hat. Das erste Mal geschah dies bei seiner wohl wichtigsten lithografischen Arbeit, dem »Maurergesellenbrief«, den er 1838 schuf, ein ganz unwahrscheinlich reiches und filigran gezeichnetes Blatt. Menzel hat hier sein Monogramm bei einem »bucklichten Männlein« angebracht, und Busch liest dieses Monogramm als ein Zeichen seiner Identifikation mit dem Zwerg. Im Abschlusskapitel lässt Busch die Deutung eines langen Malerlebens in diesem Satz kulminieren: »In tieferem Sinne ist Zeichnen für Menzel Weltbewältigung oder auch nur eine Form des Standhaltens. Der Zwerg streckt sich.«

Manchen wird der Zwerg des »Maurergesellenbriefes« an E.T.A. Hoffmann erinnern, der sich selbst mehrfach als unschönes Männlein karikierte, zum Beispiel in »Klein Zaches genannt Zinnober« – Franz Fühmann widmete dieser Erzählung einen brillanten Essay. Diese Ironie, die sich gelegentlich zu beißendem schwarzem Humor steigern konnte, verbindet beide Künstler. Busch geht leider nicht auf »Klein Zaches« ein, schlägt aber später den Bogen zu Hoffmann. Nach seinen großen Friedrich-Bildern zeichnete Menzel in der Rüstkammer des Berliner Schlosses Rüstungen, die sich in gespenstischer Manier selbstständig zu machen scheinen und eine Art Reigen bilden, und Busch erinnert das an E.T.A. Hoffmanns Debüt als Erzähler, an die »Fantasiestücke in Callots Manier«.

In der den »Maurergesellenbrief« umschlingenden Arabeske befindet sich die Zeichnung eines wackeligen Baugerüsts. Busch lässt es sich nicht entgehen, dieses Motiv durch das Werk Menzels hindurch zu verfolgen, und bespricht unter anderem zwei Zeichnungen, die der Künstler 1875 angefertigt hat, also 37 Jahre später. Bei beiden Blättern fällt die gewagte Perspektive auf. Auch bei anderen Bildern kommt Busch wieder und wieder auf den Standort des Künstlers zu sprechen, denn »der zwergwüchsige Menzel« liebte »extreme Blickwinkel«, die natürlich sorgfältig analysiert werden wollen. Busch versäumt das nie, denn gerade die Untersuchung des dargestellten Raumes wie auch der inneren Bildproportionen ist seine ganz große Stärke. Für ihn ist das Gerüst »geradezu eine Metapher für Verunsicherung«, und die Darstellung der Gerüste interpretiert er als eine »Bewältigungsstrategie«, als »eine Möglichkeit, Irritierendes, Ängstigendes zu verdrängen oder zu bannen«.

Ganz überzeugt diese Deutung aber nicht. Wieso verdrängt man das, was man darstellt und thematisiert? Und ist es nicht auch denkbar, dass ein so virtuoser Zeichner Freude an der Darstellung extremer Perspektiven besaß? Menzel wusste, dass er es konnte (vor allem auch viel besser als andere), und so hat er sich daran versucht. Für eine solche Deutung spricht, dass der Meister selbst gesagt hat, an seiner berühmten Darstellung des flötespielenden Friedrich – wohl immer noch sein bekanntestes Gemälde – seien für ihn besonders die schwierigen Lichtverhältnisse reizvoll gewesen.

Aber es stimmt trotzdem: Wie hätte Menzels Kleinwüchsigkeit nicht von größter Bedeutung für sein Werk sein können? Ungefähr nach zwei Dritteln seines Buches resümiert Busch, dass Menzels »ganze Lebensreise […] ein einziger Abwehrkampf [war], ein Ringen mit der Darstellung der Wirklichkeit als Kompensation für seinen weitgehenden Ausschluss vom Leben.« Der Autor ist ein Kunsthistoriker, kein Psychologe, und er kommt nicht etwa aufgrund der Lektüre von Tagebuchnotizen oder Briefen zu diesem Ergebnis, das sein ganzes Buch in einem Satz zusammenfasst, sondern aufgrund detaillierter, sorgfältiger und sensibler Analysen der Bilder und ihres Aufbaus. Ein Punkt, der von Busch nicht thematisiert wird, aber seine Deutung unterstützen kann, ist die nahezu vollständige Abwesenheit schöner Frauen im Gesamtwerk von Menzel, der seinen eigenen Angaben zufolge niemals eine Liebesbeziehung unterhalten hat.

Besonders auffällig und von Busch an mehreren Stellen thematisiert ist die Leidenschaft Menzels für die Aufsicht, denn in seinen Bildern wird oft ein hoher Standpunkt gewählt, den er in seinem Leben ja ohne irgendwelche Hilfsmittel unmöglich eingenommen haben kann. Dieser hohe Standpunkt findet sich in den Arbeiten seiner frühen wie in jenen seiner späten Jahre. Busch schreibt über die »Aufbahrung der Märzgefallenen«: »Bei Menzels nahsichtig und in Aufsicht wiedergegebenem Vordergrund stürzen die Personen geradezu aus dem Bild heraus, da sie sich nach unten leicht verkürzen.« Vielleicht ist das Herausstürzen etwas übertrieben, aber Menzels Vorliebe für hohe Standpunkte ist wirklich kaum zu übersehen.

Busch verweist nicht allein auf die Perspektive, die er bei eigentlich allen Bildern sorgfältig analysiert, sondern auch auf den inneren Bildaufbau. Schon bei seiner Caspar David Friedrich-Monografie von 2008 hat er auf den Goldenen Schnitt Wert gelegt, dessen Maßverhältnisse er bei zahlreichen Gemälden des Dresdner Meisters nachweisen konnte. Dasselbe gelingt ihm jetzt bei Menzel. Busch ist ein sehr genauer Beobachter mit ebensoviel Sinn für die handwerkliche Maltechnik wie für die Komposition eines Bildes, mit der sich Menzel meist lange herumquälte und die er oft nachträglich veränderte.

Außer dem Goldenen Schnitt muss bei dieser Gelegenheit noch das Maßband genannt werden, denn der sich seit seinen frühesten Tagen akkurat auf jedes einzelne Bild vorbereitende Menzel vergaß nie, die Räume auszumessen. Zum Beispiel kannte er die Größenverhältnisse der Fabrikhalle auf einem in seinem Werk, aber auch in seiner Zeit einzig dastehenden Bild, dem »Eisenwalzwerk« (1872 – 1875) – er vermaß die Halle sehr genau, als er das Gemälde konzipierte. Dazu kamen jede Menge Detailstudien, für die Busch auch einige Beispiele vorzeigt; den technischen, ihm ja ursprünglich völlig fremden Vorgang, den sein Werk darstellt, hatte Menzel sich so erarbeitet und ihn gedanklich so tief durchdrungen, dass seine Darstellung auch in einem ganz platten Sinne richtig werden konnte.

Menzel begann als Gebrauchsgrafiker und Buchillustrator, um erst später zur Ölmalerei zu finden. In seine frühen Jahre fallen die Illustrationen zu dem Friedrich-Buch von Franz Kugler, denen sich nach einer kleinen Weile die Ölbilder zum selben Thema anschlossen. Bemerkenswert ist dabei, dass Menzel sich durch eine umfangreiche Lektüre eine ganz eigene Sicht auf den König erarbeitete und seine individuelle Sicht auch manchmal gegen den Text durchsetzen konnte. Eigentlich war er also trotz seiner Jugend und Unerfahrenheit mehr als bloß ein Illustrator. Busch stellt in seiner Analyse in der Vordergrund, daß der Künstler im Holzstich vom Dunklen zum Hellen arbeitet, so dass sich die Blätter deshalb besonders für nächtliche Szenen eignen müssen. Manche von Menzels Stichen wirken geradezu unheimlich, so etwa das Bild eines von schwarzer Dunkelheit umgebenden Trommlers, der zum Symbol des Todes wird. Man kann an diesen Bildern sehen, bei wem Alfred Kubin lernte, als er Edgar Allen Poes Erzählungen illustrierte.

Den Friedrich-Illustrationen folgte eine Zeit der Ölskizzen, in denen Menzel wiederholt die Umgebung seiner Wohnung wiedergab – das waren meist Ausblicke in eher freudlose Hinterhöfe oder Gärten. Bei diesen Bildern wie auch sonst ging es ihm, wenn wir Busch folgen, »um die Veranschaulichung seines Sehprozesses, der durch den Reiz gesteuert wird, den die Gegenstände bei ihm auslösen.« Das ist nicht allein merkwürdig formuliert, sondern auch inhaltlich wenig überzeugend. Findet man einen Sehprozess dargestellt? Nein, es sind Gegenstände sowie – vor allem – komplizierte Licht- und Raumverhältnisse, denen man auch in seinen dann folgenden Friedrich-Gemälden begegnet.

Diese, so großartig sie auch sind, haben Menzel damals nicht zum Durchbruch verholfen. Oft scheint man sie aus geradezu lächerlichen Gründen bei Hofe abgelehnt zu haben. So zeigt »Die Bittschrift« von 1849 Friedrich, wie er einen matschigen Weg hinunterreitet; vorne wartet ein Paar darauf, dem König ein Schreiben zu überreichen. Die einzelnen Gründe, die das Königshaus zur Ablehnung bewogen haben, sind nicht bekannt, aber sie können den Hohenzollern kaum schmeicheln. War es die schlechte Qualität des Weges? Hätte der König mehr im Vordergrund stehen sollen? War Friedrich Wilhelm IV. nicht ebenfalls großartig in der Entgegennahme von Bittschriften? Denn am Bild selbst gab es ganz gewiss nichts zu meckern.

Besonderen Raum in Buschs Buch nimmt das unvollendete »Leuthen«-Bild ein, in dem Friedrich im Kreise seiner Generale zu sehen ist. Menzel hatte es ohne Auftrag begonnen und hinterließ ein Fragment, das natürlich seine sehr eigene Handschrift zeigt, zum Beispiel mit dem erhöhten Standpunkt. Dieses Bild markiert den Schlusspunkt seiner Beschäftigung mit dem König der Preußen. 1866 zog er endlich selbst in den Krieg und fertigte dort Zeichnungen von Verwundeten und Toten an, wie man sie sich drastischer kaum vorstellen kann. »Sie sind allein Goyas ‚Desastres’ vergleichbar«, schreibt Busch und fährt fort: »aber doch, geradezu zwanghaft, noch ein Stück näher an der Wirklichkeit, als es Goya zu sein vermochte, vor allem nahsichtiger.«

Es waren jetzt Reisen, die Menzels Werk verändern sollten, und besondere Bedeutung kommt dabei den Besuchen von Paris zu. Es ist die Großstadt mit ihrem chaotischen Gewimmel, die auf seinen Bildern erscheint und malerisch dargestellt wird. In »Pariser Wochentag« (1869) zeigt er eine Straßenszene, der es an einem Mittelpunkt ebenso fehlt wie an einer die Vielfalt der Personen einigenden Handlung. Eben deshalb kommt sie wohl der Wirklichkeit so nahe. Es ist ein Gemälde, das auf die späteren Massenszenen vordeutet, die Menzel in einer ganz unglaublich virtuosen Weise bereits auf »Die Abreise König Wilhelms I.«, noch mehr aber auf dem schon angesprochenen »Eisenwalzwerk« oder auf dem Bild einer oberitalienischen Piazza bewältigt.

Es ist etwas merkwürdig, dass Busch kaum auf die künstlerische oder literarische Szene Berlins eingeht, aber zu ganz großer Form aufläuft, wenn er Menzels Paris-Reisen schildert: dann findet sich Baudelaire angesprochen, und es werden Bilder von Edouard Manet und Claude Monet abgebildet. Vielleicht als Folge seiner Begegnungen wirken manche von Menzels späten Arbeiten impressionistisch; das gilt besonders für das Bild einer Spaziergängerin im Kurgarten von Bad Kissingen 1885.

Als alter Mensch kehrte Menzel wieder ganz zum Zeichnen zurück, und Busch nimmt dies zum Anlass, das Schlusskapitel seines Buches unter dem Titel »Zeichnen als körperliche Selbsterfahrung« zu einem Essay auszubauen. Ausgangspunkt seiner Argumentation ist einerseits das gewaltige Konvolut der hinterlassenen Zeichnungen, andererseits eine Fotografie, die Menzel im hohen Alter zeigt, wie er in seinem Skizzenblock notiert. Busch analysiert die rein physische Seite seines Zeichens sorgfältig. Ganz offensichtlich war die Grundlage von Menzels Genie seine unglaubliche Fähigkeit, spontan, schnell und absolut sicher zu zeichnen. Das Beobachtete scheint geradezu unwillkürlich über den Stift auf das Papier gefunden zu haben – das war eine wesentliche Voraussetzung für den Realismus seiner Kunst wie für sein Vermögen, auch kurze oder überraschende Ereignisse festhalten zu können.

Dazu kam sein ungeheurer Fleiß. Menzel war das Gegenteil eines genialen Pfuschers, denn er hat alle seine Bilder mit äußerster Sorgfalt vorbereitet und später überarbeitet – das gilt sowohl für die Konzeption wie für das Handwerk, für die gedankliche Vorbereitung wie endlich für das Malen selbst. Für die Friedrich-Bilder las er historische Literatur, in Berlin und Paris lief er mit dem Skizzenblock durch die Straßen, und für das Fabrikbild besuchte er eine Fertigungshalle und fertigte dort eine Unzahl von Zeichnungen an – nicht allein von dem großen Ganzen, sondern auch von den einzelnen Werkzeugen und Arbeitsgängen.

Schließlich muss man noch das Gegenspiel von Hartnäckigkeit und Lernfähigkeit in Betracht ziehen, das seinen Charakter auszeichnete; er blieb den meisten seiner Themen und Angewohnheiten treu, aber erarbeitete sich fortwährend neue Techniken und Gebiete. Das Buch von Werner Busch zeichnet diese Einheitlichkeit eines reichen Künstlerlebens sehr schön nach und zeigt, wie sich Menzels Genie über die Jahrzehnte hinweg entfaltete und immer reichere Blüten und Früchte trug. Wenn man noch schließlich die Schwere seines Schicksals bedenkt, ist die Lektüre dieses Buches nicht allein lehrreich, sondern es berührt auch emotional. Denn Menzel war ein ganz Großer, aber glücklich scheint er nie gewesen zu sein.

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