Ausstellungsbesprechungen

Wilhelm Lehmbruck, Kunsthaus Apolda Avantgarde, bis 16. Dezember 2012

Obwohl ein Zauderer und nie zufrieden, mit dem, was er gerade geschaffen hatte, gehört Wilhelm Lehmbruck (1881-1919) zu den wegweisenden Bildhauern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Ausstellung seiner Skulpturen und Grafiken in Apolda erzählt nicht mehr und nicht weniger als das ganze Drama seines Lebens. Rowena Fuß hat sie sich angeschaut.

Mit gemessenem Schritt und fast ehrfürchtiger Haltung nähert man sich zunächst der Knienden (1911). Die grazile überlebensgroße Bronzeplastik hält die rechte Hand erhoben, während ihre Linke auf einem Tuch über dem linken Oberschenkel ruht. Zusammen mit dem nach links geneigten Kopf, auf dem das gleißende Oberlicht widerscheint, wirkt sie wie eine Heilige. Vom Haupt fließt es weiter über die harmonisch ausgewogenen Formen des Frauenkörpers, wo wiederum zahlreiche geheimnisvolle Schattenwürfe und Lichtreflexe entstehen. Insgesamt strahlt die dunkle Bronzefigur eine Grazie aus, die das gesamte Spektrum des Begriffs zu umfassen scheint: Anmut, Liebreiz, Charme, Zauber, Zartheit und Lieblichkeit.

Die Empfindsamkeit, die Wilhelm Lehmbrucks Skulpturen und Plastiken offenbaren, ist fast mit Händen greifbar. Der vierte Sohn eines Bergarbeiters machte zuerst eine Ausbildung zum Modelleur an der Düsseldorfer Kunstgewerbeschule, bevor er 1901 bis 1906 an der Düsseldorfer Akademie bei dem neoklassizistischen Naturalisten Carl Janssen Bildhauerei studierte.

In fünf Werkgruppen zeigt die Ausstellung die Entwicklung des Künstlers vom Neoklassizisten zum Expressionisten. Lehmbruck gelang ab 1911 mit seinen abstrahierten Aktfiguren, ihren überlängten Gliedmaßen und der Betonung der Vertikalen sowie ihrem introvertierten Ausdruck eine stilistische Neuerung des skulpturalen Menschenbildes.

Aushängeschild dieses Strebens ist die überlebensgroße Figur des emporsteigenden Jünglings (1913). Mit trauriger oder gar verbitterter Miene schaut er auf den Betrachter herab. Der Blick wirkt in sich gekehrt und abwesend. Der Kunstkritiker Paul Westheim bezeichnete den hageren Jüngling als Selbstporträt Lehmbrucks. Er weiß zu berichten, dass dieser in Gesprächen oft abwesend bzw. »in sich vergrübelt« war und »manchmal [war] es so, als tauche er plötzlich aus einer Versunkenheit auf«, schrieb er 1919 in seinem »Epitaph«. Eben dies versinnbildlicht der Emporsteigende: Er wächst aus dem festen Untergrund empor, setzt Fuß vor Fuß, ohne innerlich an dem Vorgang beteiligt zu sein, bleibt schließlich mit dem linken Fuß auf einem Stein gestützt stehen und schaut wie Caspar David Friedrichs »Wanderer über dem Nebelmeer« in den verhangenen Abgrund seiner Seele.

Stets strebte Lehmbruck nach Vollkommenheit, nie war er zufrieden mit dem, was er gerade geschaffen hatte. Ein Ideal, das an der Realität scheitern musste. Aber da sind wir noch nicht. Noch ist alles gut.

Trotz ihrer absurden langen Gliedmaßen sind die Skulpturen harmonisch zu nennen. Sie folgen ihrer eigenen Logik und zwingen den Betrachter einfach mit in diese hinein, so dass er nichts Absonderliches mehr an ihnen findet. Während Maillols Arbeiten Lehmbruck, laut Westheim, zu einer »beruhigenden Klassik« inspirierten, war es Georg Minne, der zu einer Art Offenbarung wurde. Denn dieser hatte in seinen Werken eine Gebärde gefunden, um Unsagbares und seelisch Gleichnishaftes auszudrücken. Reminiszenzen und eine Wesensverwandtschaft sind deutlich im Werk Lehmbrucks nachzuvollziehen.

Selbst Beuys sagte 1986 über Lehmbrucks Skulpturen: »Man kann sie nur erfassen mit einer Intuition, die einem ganz anderen Sinnesorgane ihr intuitives Tor offen machen, und das ist vor allem das Hörende — das Hörende, das Sinnende, das Wollende.«

Wenn man ihnen zuhört, erzählen die 120 Skulpturen, Plastiken, Radierungen und Zeichnungen das ganze Drama des Lehmbruckschen Lebens. Lichte Momente bezeugen einige Mutter-Kind-Darstellungen. So zum Beispiel ein Ganzfigurenakt von 1907, Ausdruck von Innigkeit und tiefer Zuneigung, gleich einem Gnadenbild. Eine junge kauernde Frau hält mit dem linken Arm ein auf ihren Oberschenkeln liegendes Kind. Fragend und ein klein wenig ängstlich schaut der Kleine in das über sich gebeugte Gesicht. Doch er braucht sich nicht zu fürchten, kann sich getrost an die Mutter kuscheln.

Zuletzt der »Gestürzte« (1915), Sinnbild des Scheiterns. Als Hilfssanitäter hatte Lehmbruck die Schrecken des Ersten Weltkriegs erfahren. Als Mahnmal für das im Krieg Erlebte schuf er diese Bronze. Sie verweist jedoch noch auf etwas Anderes: Niedergeworfen vom Konflikt zwischen Leib und Geist, hin und her gerissen zwischen seiner Frau Anita und der verehrten Schauspielerin Elisabeth Bergner, die ihn aber zurückwies, nahm er sich 1919 mit 38 Jahren das Leben.

In einer Art expressionistischem Stationendrama spiegeln die Skulpturen diesen Weg wider und laden den Betrachter zu einer Auseinandersetzung und sinnlichen Erfahrung ein.

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