Ausstellungsbesprechungen

Wolfgang Tillmans. Lighter

Wenn man Wolfgang Tillmans Ausstellung betritt, die im wahrsten Sinne seine Ausstellung ist, denn er ist auch der Kurator, fällt einem gleich auf, dass hier einiges anders ist, als in anderen Ausstellungen.

Zunächst überrascht die Hängung, die eigentlich nicht neu ist, sondern Tillmans Ausstellungen seit den 1980er-Jahren kennzeichnet und sich von der gewohnten klassisch-musealen Hängung abhebt. Die Bilder sind mit Klebestreifen an die Wand geheftet und unregelmäßig im Raum verteilt; kleine Formate wechseln sich mit riesengroßen ab. Hinzukommen derzeit in Berlin dreidimensionale Objekte (»Lighter«) voller ästhetischer Wirkung, die aus geknicktem und belichtetem Fotopapier in Plexiglaskästen bestehen und sowohl der Ausstellung als auch dem Katalog ihren Namen gegeben haben.

  Wolfgang Tillmans
Lighter 46, 2007
© Wolfgang Tillmans
Courtesy Galerie Daniel Buchholz, Köln
Foto: Carmen Brunner

Die einzelnen Fotos scheinen auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun zu haben, doch die Relationen der Bilder untereinander, die Anordnung und Reihenfolge der Fotos im Raum wurde bewusst so gewählt. Im ersten Raum trifft man auf »Economy«, ein mit einem Gummi zusammengeschnürter Schaumstoffrest, der den Besucher nachdenklich zurücklässt. Welche »Ökonomie« ist gemeint? Ist es die der Wirtschaft, die der Gesellschaft oder die der Kunst? Ist es das ökonomische Denken im Allgemeinen, das uns einzwängt? Sogleich wird ein Denkraum eröffnet. Tillmans will schon mit dem ersten Bild der Tatsache entgegen wirken, dass der Besucher, wie sonst üblich, durch die Ausstellungsräume rennt, mit einem Auge auf den Beschriftungen und mit dem anderen auf dem Bild, um den Künstler schließlich in das eigene Schwarz-Weiß-Raster im Kopf einzuordnen und sagen zu können: Das ist ein echter Tillmans.

Der Künstler vermeidet jede oberflächliche Festlegung und Definition, er ist der Gegner jeder Begrenzung und Freiheitsbeschneidung. Und sei es nur im Kopf. Er gestaltet sein Werk bewusst komplex (inhaltlich wie formal), vielseitig und wandelbar, um jeder wie auch immer gearteten Einengung aus dem Wege zu gehen. Das tut er nicht nur für sich, er will auch dem Betrachter die Möglichkeit zur freien Reflektion geben. Jedes Bild soll einzeln und gleichzeitig im Verhältnis zu den anderen wahrgenommen werden; jedem Betrachter soll Raum (auch im wörtlichen Sinne) gegeben werden, um über das nachzudenken, was er erblickt. »Wenn man eine Fotografie ansieht, fragt man immer als Erstes: Wer ist es? Wann und wo wurde es aufgenommen? Wie wurde es gemacht? Eine Fotografie wird immer auf ihren Inhalt reduziert und selten als Werk an sich wahrgenommen. Wenn man mit anderen Kunstobjekten konfrontiert wird, bezieht man dagegen immer beide Aspekte mit ein. Das versuche ich auch in meinen Ausstellungen zu erreichen, etwa durch die Hängung meiner Arbeiten.« Und weiter: »Die Betrachter sollten ermutigt werden, sich ihren Erfahrungen von Situationen, die denjenigen ähneln, die ich ihnen in meinen Werken präsentiert habe, nahe zu fühlen. Sie sollten mein Werk durch ihre eigenen Augen und ihr eigenes Leben betreten, statt zu versuchen, meines zusammenzusetzen.«

Indem er uns das klar macht, zerstört er unsere gewohnte, selbstgefällige Sichtweise. »Aber vielleicht gehört es zu meiner Idee vom Nichts, dass in Bezug auf die Materialität letztlich alles ziemlich gleich ist. Sogar das uninteressante Zeug, wie der Schnee, besteht genauso aus Materie wie ein Diamant oder ein Mensch. Ob eine Materie wertvoll ist oder nicht, entscheidet unsere Vorstellung, und diese Verwandlung interessiert mich – wie etwas durch Projektion plötzlich etwas anderes wird.«

Tillmans Motive sind vielfältig und doch reduziert sich ihre Intention am Ende auf wenig. Es geht um die Frage, wie sich die Gegenwart bildnerisch, und mit Hilfe des Lichts und der Fototechnik darstellen lässt, also die Frage »Wann wird was sichtbar?« Tillmans spricht von »Sichtbarkeitsdiagrammen«, statt von Fotografie. Dabei geht es ihm nicht, wie oftmals falsch gedeutet wurde, um die Möglichkeiten des Mediums selbst, die technische Seite der Fotografie. Es ist eher ein Spiel mit dem Medium und die Frage, was kann ich in einem Bild umsetzen? Wie kann ich es mit einer Bedeutung belegen? Die abstrakt anmutenden »Paper drops« und »Lighter« geben eine Antwort darauf. Aber auch mit früheren Bildern wie »Faltenwurf (submerged) II« von 2000 oder den Serien »Freischwimmer« von 2003 und »Urgency« von 2006 hat Tillmans versucht, seine eigenen künstlerischen Möglichkeiten auszuloten. Dabei erzeugt er, wenn es ihm gelingt, nach eigenen Angaben ein »Bild, das mehr ist als die Einzelteile, die man beschreiben kann«. Die Faszination, die von einem solchen Werk ausgeht, ist mit Worten nicht zu beschreiben, wie so oft in der Kunst. Das Bild spricht etwas in uns an und wir können nicht sagen, warum.

  Wolfgang Tillmans
Truth Study Center, 2007

37 Tischobjekte, Holz, Glas, verschiedene Materialien Raumgröße, ca. 15 x 20 m
© Wolfgang Tillmans
Courtesy Galerie Daniel Buchholz, Köln

Daneben ist ihm die Fotografie auch kritisches Sprachrohr. In seiner Installation »Truth Study Center« geht es ihm um politische, religiöse, soziale, gesellschaftliche und geschlechtliche Themen. Auch hier sucht Tillmans nach Antworten und fordert dazu auf, Fragen zu stellen. Die Bilder (eigene und fremde) werden ergänzt durch Zitate, Zeitungsausschnitte, Überschriften, eigene Texte. Und Tillmans hat viel zu sagen und zu fragen.

In seinen Ausstellungen schafft Tillmans eine persönliche, geradezu intime Atmosphäre, was wohl an seiner Person liegt. Keine Ausstellung atmet so sehr den Geist seines Künstlers. Seine offene, am Leben interessierte Sichtweise fließt in die Gestaltung der Räume mit ein, man spürt sie in jedem Bild, in jeder Installation: Der Künstler bringt sich ganz mit ein, alles atmet seinen freien, ungezwungenen, forschenden Geist.

So sehr der Künstler an die eigene Wahrnehmung des Betrachters appelliert, er selbst hat sie verändert. Nicht nur, dass er mit seinem skulptural-geknifften Papier, seinen im Gegenlicht fotografierten »Papiertropfen« oder seinen erotischen Provokationen gewisse Grenzen der Fotografie inhaltlich wie formal überschreitet, er zieht uns auch in eine andere Welt hinein, eine Welt in der Welt. Dies erreicht er, indem er die Motive zeigt, die wir normalerweise ausblenden, die kleinen, unscheinbaren Dinge: eine zarte Pflanze, die am Fenster hochrankt; die stillen Wunder des Lebens: das Zusammentreffen mit einem Hirsch (»Deer Hirsch«); die harmlosen Blicke aus dem Fenster (»window/Caravaggio«); die Strommasten, Banalitäten des Alltags, das scheinbar Hässliche und Unbedeutende. Als wollte er sagen: Auch das ist das Leben und es ist schön. Alles am Leben ist schön. Es liegt an dir, es so wahrzunehmen, es als schön wahrzunehmen.

Wolfgang Tillmans
paper drop, 2001
© Wolfgang Tillmans
Courtesy Galerie Daniel Buchholz, Köln

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