Buchrezensionen

Wolfgang Ullrich: Siegerkunst. Neuer Adel, teure Lust, Wagenbach 2016

Sie füllen Hallen, Gärten und Plätze, die Werke zeitgenössischer Künstler wie Anish Kapoor oder Danh Vo. Diese Größe ist nicht unbedingt Ausdruck einer eigenen Handschrift, sondern durchaus auch der eines Status: »Siegerkunst« nennt sich das und ist Thema der Analyse von Wolfgang Ullrich. Stefanie Handke hat sich darein vertieft.

Sein Buch beginnt Wolfgang Ullrich mit drei unterschiedlichen Szenen: Im Juli 2015 musste die Pinakothek der Moderne drei Gemälde von Georg Baselitz abhängen, womit dieser gegen das geplante Kulturgutschutzgesetz der Bundesregierung protestierte. Ebenfalls 2015 schwelte ein Streit zwischen dem Künstler Danh Vo und dem Sammler Bert Kreuk um ein von Kreuk in Auftrag gegebenes Kunstwerk: Der Künstler hatte kein neues, raumgreifendes Werk geliefert, sondern ein bereits bestehendes, deutlich kleineres. Das Ganze artete in einem Gerichtsprozess und wütenden Briefen aus. Die dritte Szene schließlich zeigte Anselm Reyle, der Anfang 2014 seine Produktion eingestellt hatte, in seinem Atelier, wo er vollkommen erwartungsfrei und entspannt wieder erste Ideen sammelte. Was eint nun diese drei Künstler und Situationen? Ein gemeinsamer Status: Sie sind »Siegerkünstler«. Das bedeutet vor allem Erfolg; ihre Werke stehen in den bedeutendsten Sammlungen der Welt und vor allem erzielen sie Höchstpreise. Das ist freilich wunderbar für die Künstler, können sie doch auf diese Art nicht nur von ihrer Kunst leben, sondern auch mit ihrer Kunst Einfluss ausüben. Oder doch nicht?

Genau das ist Gegenstand von Ullrichs Analyse. Zunächst einmal muss er dafür aber seinen Begriff der »Siegerkunst« genauer definieren. Dieser scheint auf den ersten Blick wenig komplex und ist vor allem als Gegenentwurf zum  gängigen Kunstbegriff zu sehen. Statt im Museum findet Siegerkunst im Umfeld des privaten Sammlers statt, sie erzielt höchste Preise auf Kunstmessen und Auktionen, entsteht gerne als Auftragswerk, Ullrich geht sogar so weit, dass bei dieser Kunst der Besitz des Kunstwerks wichtiger ist als die eigentliche Rezeption, gar zur Bedingung für (kunsthistorische) Rezeption wird.

Natürlich ist das Ganze aber ein wenig komplexer. Die hohen Preise, die Künstler wie Baselitz und Reyle erzielen sind auch das Ergebnis einer geistigen Auseinandersetzung mit Kunst. Das bedeutet nicht immer eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Werk, aber immerhin mit der Bedeutung des Künstlers: Der Kauf eines bestimmten Kunstwerks wird zum Reinigungsprozess, was Ullrich am Beispiel Josephine Meckseper eindrucksvoll illustriert. Die Künstlerin selbst ist politisch links zu verorten, ihre Werke vermischen die Sprache von Politik und Konsum und persiflieren sie auf diese Weise. Im Grunde genommen hat man es bei ihren Arbeiten also mit höchst kritischen Werken unserer Gegenwart zu tun. Doch das Werk »CDU-CSU (2001) hängt auch in der Villa eines Ferdinand Piëch – hier scheint das Bild dann doch wenig mehr als eine ironische Anspielung auf den eigenen Erfolg zu sein und ohne inhaltliche Deutung auszukommen. Zugleich zeigt das Beispiel Meckseper, wie stark die meisten Künstler in den idealisierenden Kriterien verhaftet sind, die die Moderne an Kunst stellte und genau diese Idealisierung sie für Sammler attraktiv und sie so wiederum zur Dekoration machen kann, die die Inneneinrichtung der Sammlerwohnung aufwertet.

Hat man es sich fast schon gedacht, spricht Wolfgang Ullrich es dann auch aus: Dieser Umgang mit Kunst weist eine erstaunliche Ähnlichkeit mit der Hofkunst der Vormoderne auf, die Werke im Kontext schufen und dabei den sozialen Status ihrer Auftraggeber, des Adels und des Klerus, kommunizierten. Zugleich ist die Beschäftigung mit Kunst damals wie heute ein Produkt des eigenen Reichtums und der Repräsentationsmöglichkeiten, die (kontroverse) Arbeiten bieten. Je größer, aufwendiger und teurer ein Kunstwerk zu haben ist, desto eher zeigt sich die Kennerschaft ihres Besitzers, sogar (scheinbar) geschmacklose Werke können durch einen hohen Preis regelrecht geadelt werden. Zugleich kann genau diese Geschmacklosigkeit ein Ausdruck avantgardistischer Haltung sein. Die Moderne, in der die Rezeption von Kunst ein Kennertum entstehen ließ, kommt dem – bei aller Kritik der Moderne an der Auftragskunst – durchaus zupass: Sie schuf das Ideal einer schwerz zu entschlüsselnden Kunst, deren angemessene Rezeption nur durch intellektuelle Anstrengung möglich sei. Genau dieses Image, so Ullrich, pflegen Siegerkünstler bewusst – Künstler wie Sammler drücken ihre Bedeutung, ihr Rebellentum und ihre Unabhängigkeit aus, indem sie genau diese schwer zu entschlüsselnden, oft monströsen Arbeiten schaffen oder erwerben.

Doch welche Rolle spielt der Kunsthistoriker in diesem zwischen Künstler und Käufer-Rezipient angesiedelten Kunstbegriff? Man könnte fast sagen, die eines Feigenblatts. Für den Autor ist die Mehrheit der Kunstwissenschaftler »nach wie vor so stark vom Glauben an das Gute in der Kunst durchdrungen, dass sie sich offenbar gar nicht vorstellen können, wie sehr ein Künstler, sei es aus Absicht oder aus Gedankenlosigkeit, auch zum bloßen Erfüllungsgehilfen und Veredler einer Siegerperspektive werden kann« (S.86). Das kann dadurch verursacht sein, ein Werk derart bedeutungsoffen ist, dass es seine Sinnhaftigkeit verlieren kann. Das ruft wiederum den Künstler selbst auf den Plan, wenn er durch Interviews, aber auch durch eine gewisse Kontrolle der Berichterstattung und der kunstwissenschaftlichen Rezeption versucht, die Interpretation seines Werks zu steuern, etwa indem er Abdruckgenehmigungen verweigert. Zugleich kann man aber auch fragen, ob diese deutungsoffene Kunst nicht auch eine Gefahr bedeutet, wenn Kunstwerke – wie das Mecksepers – ihres Inhalts regelrecht beraubt und in einem entsprechend luxuriösen, oft privaten Kontext zur Schau gestellt und zum Dekorationsobjekt werden.

Aber auch in anderer Hinsicht übernehmen die »Siegerkünstler« neue Aufgaben: Statt geradezu asketisch im Atelier tätig und in verschiedenen Techniken firm zu sein, beauftragen Künstler wie Mona Hatoum oder Dominique Gonzales-Foerster Handwerker, die ihre Ideen umsetzen. Andere wie Olafur Eliasson oder Takashi Murakami unterhalten Studios, in denen sie zahlreiche Mitarbeiter beschäftigen, die auch in Abwesenheit des Künstlers tätig sind und seine Ideen nicht nur umsetzen, sondern oft auch die Grundlagen für seine Kunstwerke liefern. Der Künstler wird selbst zum erfolgreichen Unternehmer – und stellt sich gleichzeitig auch gerne einmal in Opposition zu seinem Auftraggeber.

Ullrich plädiert weiter dafür, dass in der Gegenwart der Auftraggeber verstärkt in die kunstwissenschaftliche Betrachtung mit einbezogen wird, zugleich aber auch (wieder) ein stärkeres Ethos entwickelt, das er auf die von ihm bestellte Kunst anwendet. Wie in früheren Jahrhunderten Auftraggeber Konzepte oder philosophische Hintergründe, die es umzusetzen galt, mitlieferten, so scheint das auch in der Postmoderne wieder notwendig zu sein. Zugleich erhält der Sammler damit auch die Möglichkeit, Talente zu fördern und herauszufordern: Er kann zum neuen Resonanzraum eines Kunstwerks werden, das nicht im Museum hängt. Auch verweist der Autor darauf, dass die neue Auftragskunst, die »Siegerkunst«, mehr ist als eine bloße Wiederholung der höfischen Praxis. Die Moderne und ihr Einfluss auf unseren Kunstbegriff lassen sich nicht auslöschen und liefern Zitate, aber auch Bezugspunkte für Künstler wie Koons, Rauch oder Baselitz.

Stimmt das nun vorsichtig optimistisch oder eher pessimistisch? Wolfgang Ullrich jedenfalls ist besorgt, denn dass sich die Kunst ins Private verschiebt und Künstler strenger als früher mit Urheberrechten umgehen, so der Autor, erschwert den intellektuellen Diskurs – und am Ende steht die Gefahr, dass dieser sich anderen Schwerpunkten zuwendet und die Kunst der Gegenwart wohl weniger beobachtet wird. So stimmt die Idee der »Siegerkunst« sehr nachdenklich, denn was bleibt, wenn der Inhalt eines Werkes vom Rezipienten – dem Sammler oder Auftraggeber – als Akzent der Einrichtung eingesetzt wird? Auch wenn die Moderne immer noch ihren Einfluss geltend machen kann, so wird sie dadurch doch fast schon Makulatur. Aber so pessimistisch ist der Autor dann doch nicht, immerhin ist er bereit abzuwarten, in welche Richtung sich die »Siegerkunst« entwickelt. Der Leser ist dies gleichermaßen, doch macht sich nach gut 140 Seiten doch etwas Pessismisus breit. In jedem Fall handelt es sich bei Wolfgang Ullrichs Analyse um ein mit scharfer Beobachtungsgabe und kritischem Geist vorgetragenes Zeitbild, das anhand steigender Preise und erfolgreicher Unternehmer-Künstler zeigt wie ein Markt die Kunstproduktion beeinflussen kann und den Künstler zum Produzenten für eine Elite macht, die sich vor allem selbst darstellen will. Die grauen Flächen, die auf Kunstwerke verweisen, für die die Abdruckgenehmigung verweigert wurde, sind Hinweis darauf, dass dieses Buch einige Sprengkraft besitzt.

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