Buchrezensionen, Rezensionen

Wolfgang von Metternich: Teufel, Geister und Dämonen. Das Unheimliche in der Kunst des Mittelalters, Primus Verlag 2010

Diese Publikation des Kunsthistorikers und Publizisten Wolfgang Metternich gehört zu den Büchern, die man sogleich sympathisch findet, wenn man sie erstmalig in die Hand nimmt. Sehr gefällig ist die Aufmachung und beeindruckend ist die Auswahl der vielen, zumeist guten Farbfotografien. Franz Siepe hat sich darüber hinaus natürlich auch noch mit dem Inhalt beschäftigt und möchte Ihnen einen umfassenden Einblick in das Buch geben.

Natürlich ist das Thema faszinierend und zwar nicht zuletzt deshalb, weil sich schon vor Metternich Hunderte von Kulturhistorikern mit der Frage abgemüht haben, was bloß all die fremden, unheimlichen und unfrommen Gestalten in den mittelalterlichen Kirchen, an Kapitellen, Kreuzgängen, Gesimsen, Tympana, an Schlusssteinen, Chorgestühlen, Diensten und Lettnern oder an anderen Stellen in oder an den alten christlichen Gotteshäusern zu suchen und zu bedeuten haben.

Niemand hat bisher eine plausible und generalisierbare Theorie dafür vorlegen können, warum und wieso Bauherren und Baumeister der romanischen Kirchen oder der gotischen Kathedralen ein für uns absolut rätselhaftes und undurchdringliches Sammelsurium an Bestien, Monstern, Drachen, deformierten Mischgeschöpfen, grotesken Fabelwesen, Blattmasken, grinsenden Dämonen, vulvaweisenden Frauen, harfespielenden Eseln, fischschwänzigen Ziegen usw. geschaffen haben.

Auch Wolfgang Metternich, der mit Passion, aufmerksamem Blick und guter Kamera von Nord bis Süd das christliche Europa durchreist hat, um das schier Unbegreifliche und bildgeworden Dunkle im sakralen Baukontext zu dokumentieren, ist frappiert von der Schwerfasslichkeit des Untersuchungsgegenstandes: »Was uns heute als eine fantastische Mischung aus heidnischen und christlichen Motiven vor Augen steht, dürfte für den mittelalterlichen Betrachter einen Sinn ergeben haben. Eine schlüssige Erläuterung dieser Bilder steht jedoch bis heute aus«.

War also vielleicht die uns heute so fremde Bilderwelt den mittelalterlichen Kirchenbesuchern vertrauter? Das nun aber gerade auch wieder nicht, wie Metternich angesichts des Südportals der Kathedrale von Santiago de Compostela (12. Jh.) ausführt: »Die Szenerie ist durchsetzt und umgeben von wunderlichen Figuren, antiken Kentauren, Meerjungfrauen mit Schuppen und dem Unterleib eines Fisches und andere mehr. Wenn schon der heutige Besucher irritiert vor diesen Bildwerken steht, wie verunsichert und beklommen muss der mittelalterliche Pilger ... vor diesen negativ aufgeladenen Gestalten am Ziel seiner entbehrungsreichen Wanderung gestanden haben«.

Laut Einleitung hält der Autor die Frage nach dem Wesen des Unheimlichen in der Wahrnehmung der mittelalterlichen Menschen für besonders wichtig und setzt zunächst einmal voraus, dass »[h]eimlich und unheimlich, das Vertraute und das Unvertraute, ... voneinander nicht zu trennende Gegensatzpaare« sind. Metternich will sich dabei auf den Philosophen Schelling berufen, der, so Metternich, »richtig erkannte: ›Also heimlich ist ein Wort, das seine Bedeutung nach einer Ambivalenz hin entwickelt bis es endlich mit seinem Gegensatz unheimlich zusammenfällt‹«.

Dieser an sich dunkle Satz stammt indes nicht, wie der Autor meint, von Schelling, sondern von Freud, dessen Text »Das Unheimliche« Metternich (ohne den Titel der Schrift zu nennen) für »wegweisend« erklärt. Im Kontext der Freudschen Argumentation war das fälschlicherweise Schelling zugeschriebene Zitat einigermaßen verständlich, weil Freud zuvor dem Grimmschen Wörterbuch entnommen hatte, dass »heimlich« im Sinne von »geborgen, vertraut« gebraucht wird, aber auch im Sinne von »verborgen« und daher »schauerhaft«. Schelling hingegen hatte (in der »Philosophie der Mythologie«) etwas ganz anderes geschrieben, auf das sich Freud ebenfalls bezog, nämlich: »unheimlich nennt man alles, was im Geheimnis, im Verborgnen, in der Latenz bleiben sollte und hervorgetreten ist«.

Nach Schelling ist das »Unheimliche« durchaus nicht »ambivalent«; nur Freud selbst spricht ihm Ambivalenz zu, und zwar deshalb, weil es ihm lexikalisch-etymologisch vertretbar schien und weil er das ambivalente Wesen des Unheimlichen brauchte, um es in sein psychoanalytisches Deutungsschema integrieren zu können.

Die Fehlleistung Metternichs ist symptomatisch für ein Charakteristikum des Buches: Trotz eines ansehnlichen Literaturverzeichnisses werden Belegstellen im Text grundsätzlich nicht ausgewiesen, so dass die Aussagen des Autors von Anfang bis Ende nur sehr schwer überprüfbar sind. Wahrscheinlich ist dieses Defizit jedoch nicht allein dem Autor anzulasten; ist doch bekannt, dass Autoren mitunter davor gewarnt werden, ihren Text mit Fußnoten oder Anmerkungen zu versehen, weil sich bei den Verlagen die Annahme verbreitet hat, Leser seien nur dann zum Buchkauf zu bewegen, wenn sie kein wissenschaftliches Design abschreckt. So verführen Marketingstrategien zu schriftstellerischer Nachlässigkeit, und das gewichtige Genre des populärwissenschaftlichen Sachbuchs büßt in der Folge immer mehr an Reputation ein.

Metternichs oben aufgezeigter Irrtum ist für Konzeption und Rezeption seines Buches deshalb gravierend, weil er die darstellungs- und erkenntnisleitende Kategorie des Unheimlichen unnötig verunklart. Wenn sich der Autor schlicht an Schellings tatsächliche Definition gehalten hätte (»unheimlich nennt man alles, was im Geheimnis, im Verborgnen, in der Latenz bleiben sollte und hervorgetreten ist«), anstatt ein schales Sowohl (unvertraut) -als-Auch (vertraut) zu postulieren, hätte er uns wie sich selbst die ohnehin schon hochkomplizierte Angelegenheit zumindest etwas transparenter machen können. Immerhin bestimmt Metternich das »Unheimliche« dann doch (unter Berufung auf Schelling und Freud) »als eine bestimmte Form der Angst, welche die Wiederkehr des Verdrängten und die Wiederbelebung eines bereits überwundenen Realitätsverständnisses zur Grundlage« hat.

Damit will in bezug auf Unerklärlich-Dämonisches in mittelalterlicher Sakralumgebung gesagt sein, dass ein Großteil der fremden – gemalten, freskierten und skulptierten – Gestalten Reflexionen von Glaubensvorstellungen aus der Zeit vor der Christianisierung sein könnten und deshalb als unheimlich erscheinen, weil sie als Wiedergänger des verfemten, tot geglaubten Heidentums auftreten. Der drachentötende Erzengel Michael ist das wohl sinnfälligste Bild des Sieges der neuen Religion über die – dämonisierte – alte: Der pagane Drache liegt am Boden, doch wehe, er erwacht zu neuem Leben!

Falls man nun annimmt, die dämonischen Wesen im Kirchenraum seien Zeugnisse eines wie auch immer gearteten Überlebens heidnischer Kultformen, hat man sich aber zu fragen, wie so etwas mehrere Jahrhunderte nach den großen Missionierungswellen des Frühmittelalters (z. B. Bonifatius) noch möglich sein konnte. Welche unterirdischen Kanäle verbanden Römer, Kelten und Germanen mit der Epoche der Ottonen, Salier und Staufer? Wie fassen wir es, dass beispielsweise an einer Konsole der Kirche Sainte-Radegonde eine Nonne ihr Genital auf obszönste, »unchristlichste« Weise exponiert; und dies just zu der Zeit (12. Jh.) in Stein gehauen, als einen guten halben Kilometer entfernt in derselben Stadt am Hof Königin Eleonores die feine, sublimierte Liebe literarisch kultiviert wurde?

Dem mittelalterlichen Liebes- und Sexualitätsdiskurs widmet Metternich ein eigenes Kapitel. Auch hier gibt es letztlich mehr Fragen als Antworten, was per se nichts Kritikables ist. Protestierten die vielen unverhüllt sexualisierten Bilder dagegen, dass die kirchlichen Hirten den Leuten die Wollust vergällten? Litt die liebesbedürftige Kreatur Mensch womöglich umgekehrt darunter, dass ihr die reine, innige Herzensliebe von einer Lehre madig gemacht wurde, welche außer der Liebe zu Gott ausschließlich den kruden Akt der Zeugung von Nachkommen dulden wollte? Hier ließe sich trefflich und tiefsinnig diskutieren. Nur helfen vorurteilsgeladene Pauschalierungen wie diese aus der Feder Metternichs kaum weiter: »Die körperliche und geistige Liebe zwischen Ehegatten galt dem Mittelalter als unmöglich«. Der Knappheit halber sei dieser Behauptung lediglich eine Sentenz des bedeutenden Theologen Hugo von St. Victor aus dem 12. Jahrhundert entgegengehalten: »Durch die eheliche Liebe (amor conjugalis) wird die Ehe zum Sakrament«.

Alles in allem bietet Metternichs Buch eine anregende Lektüre, der man allerdings nicht immer mit dezidiert wissenschaftlichem Anspruch begegnen sollte. Man nehme das Buch, lasse seine Augen vom dargebotenen Bildmaterial zu erkennender Betrachtung und seinen Geist vom Text zu gelegentlichem Widerspruch animieren.

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