Tagungen

Workshop: Auratische Räume der Moderne. Zum performativen Charakter von Versammlungsstätten, am 12. und 13. November in Zürich

Das Kunsthistorische Institut der Universität Zürich lädt ein zur gemeinsamen Beschäftigung mit der sakralen Aufladung von Gebäuden und Räumen durch – allerdings nicht in der Architektur des Mittelalters und der Neuzeit, sondern in der Moderne! Wer mitdiskutieren will, kann sich bis zum 6. November 2015 anmelden.

Der Workshop widmet sich den Phänomenen der auratischen und/oder sakralen Aufladung von Bauten und Räumen in der Architektur der europäischen (Nachkriegs)Moderne. Da Architektur nicht nur eine physische Präsenz und räumliche Strukturen erzeugt, sondern damit zugleich auch gesellschaftliche Handlungsräume schafft, soll zudem nach ihrem konstitutiven Charakter und Einfluss auf Gemeinschaften gefragt werden. Im Zentrum stehen folglich gleichermaßen bautypologische Phänomene, raumsoziologische Analysen von gesellschaftlicher Wirkungsmacht und Rezeptionsästhetik sowie Fragen nach konzeptioneller Entwurfsarbeit und konkreter architektonischer Praxis. Welche Bautypologien, welche ikonologischen Raumtypen und Raumbilder mit besonderer gesellschaftlicher Relevanz im Kontext der Identitäts-, Sinn- und Wertstiftung entstehen in der Moderne neu beziehungsweise durchlaufen einen Prozess der Neukodierung?

Mit dem Autoritätsverlust der Kirche als wertsetzende und die Gesellschaft strukturierende Ordnungsmacht gewinnen in der Moderne neue Kategorien wie Nation, Staat und Kultur etc. als identitätstiftende Projektionsflächen zunehmend an Bedeutung. Diese wiederum benötigen einen konkreten Ort und Raum der kollektiven Vergegenwärtigung und ritualhaften Einübung. Solche Alternativorte des Auratischen und Sakralen werden in der Gesellschaft verhandelt und architektonisch-räumlich manifestiert. Nach Marc Augé sind dies herausragende Orte, die über die Verdichtung sozialer, kultureller, politischer, ökonomischer und religiöser Deutungsmuster entstehen. Über solche soziopolitischen und kulturellen Prozesse der Auratisierung beziehungsweise Sakralisierung, also der besonderen, teils transzendierenden Bedeutungszuweisung, erhalten Bauten und Räume eine spezifische Wirkungsmacht und Ausstrahlung, die unmittelbar auf die Nutzer und ihr Verhalten zurückwirken und somit "performative" Konsequenzen haben. Architektur ist, so Edward Soja, nicht bloße Ausdrucks- und Repräsentationskunst im Sinne eines Abbildes, sondern ein konstitutives Medium zur reziproken Formung von Raum und Gesellschaft.

Ausgehend von der Beobachtung, dass auch Kulturbauten, politische Architekturen und Versammlungsstätten wie Sportstadien atmosphärisch aufgeladen sein können und darüber spezifische soziale Funktionen der Sinn- und Gemeinschaftsstiftung übernehmen, soll auch die Auratisierung von Raum unabhängig von der Baugattung in den Blick genommen werden. In Anlehnung an Walter Benjamin werden Eigenschaften wie Unnahbarkeit, Echtheit/Authentizität und Einmaligkeit als konstitutiv für die Aura eines Kunstwerks (und eines Bauwerks) verstanden. Vordergründig scheint Benjamins These auf Architektur übertragbar, da technisch (re)produzierten (Fertigteil-)Gebäuden in der Regel eine Aura abgesprochen wird. Zugleich sollen jüngere Forschungen in diesem Themenfeld – etwa Gernot Böhmes Konzepte von Atmosphäre als einem der „Aura“ verwandten Begriff und die aktuellen Diskussionen um Transformationen/Neuformationen des Sakralen – aufgegriffen werden und in ihrer Reichweite bei der Deutung von Architektur überprüft werden.

Daran anschließend soll der Frage nach den materiellen und immateriallen Bedingungen von Auratisierungen nachgegangen werden. Wodurch werden Räume aufgeladen – Materialoberflächen, Lichtstimmungen, Raumproportionen, Kontext eines Bauwerks? Nutzte die Architektur der (Nachkriegs-)Moderne spezifische Mittel zur Auratisierung? Welche Vorstellungen von Raum – als realer Ort, Bildraum und Symbol – dominierten und auf welche Formen von Raum und ihre Traditionen wurde zurückgegriffen, um soziokulturelle Bedeutung zu generieren? Welche Rituale und Rhetoriken begleiten solche Prozesse der Auratisierung und Sakralisierung? Oder war in einzelnen Bauaufgaben wie dem Kulturbau Auratisierung gerade nicht gewünscht? Etwa weil mit ihr Schwellenangst einhergehen konnte, deren Erzeugung beispielsweise im modernen Theaterbau gezielt vermieden werden sollte? Welche Tendenzen lassen sich heute – besonders vor dem Hintergrund einer (behaupteten) globalisierten Architektur – beobachten, um Räumen und Bauten den Charakter des Herausragenden und ihnen darüberhinausgehend soziokulturelle Wirkungsmacht zu verleihen?

Schließlich wird nach den Konsequenzen für die Nutzer solcher Räume gefragt: Wie beeinflusst Architektur ihre Nutzer und Besucher, wie wird Verhalten durch gestalterische Mittel nahegelegt oder erzwungen? Die Auratisierung von Räumen ist damit nur vor dem Hintergrund der körperhaften Raumerfahrung zu erklären. Grundlegende, kunsthistorische Forschungen zum Raumbegriff wie beispielsweise von August Schmarsow, Alois Riegl und Hans Jantzen wurden unter anderem von Dagobert Frey fortgeführt, daneben sollen aber auch philosophische Ansätze etwa Gaston Bachelards oder Hermann Schmitz' in den Workshop einfließen. Die Beiträge zum diskussionsorientierten Workshop sind in dem skizzierten Themenfeld angesiedelt und auf jeweils 20-30 Minuten (und mind.15 Minuten Diskussion) angelegt. RespondentInnen, deren Schwerpunkte in verwandten Themengebieten liegen, sind als ExpertInnen und als gezielte DiskutandInnen eingeladen.

Um Anmeldung wird gebeten bis 6. November 2015 bei Andreas Rüegger (andy_rueegger@hotmail.com)

Programm

Donnerstag, 12. November 2015
Ort: ISEA, Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft, Zollikerstrasse 32

13.30 Uhr
Begrüssung Anna Minta / Frank Schmitz

14.00 Uhr
Anna Minta (Zürich): Heilige Räume in der Moderne. Transformationen und architektonische Manifestationen

14.30 Uhr
Jürgen Wiener (Düsseldorf): Religion und Moderne: Raumkonzepte und Materialisierungen

15.15 Uhr
Kirsten Wagner (Bielefeld): Aura und Architektur bei Walter Benjamin

16.00 Uhr Kaffeepause

16.30 Uhr
Christian Kühn (Wien): Internationale Parlamentsarchitekturen - Räume der Macht

17.15 Uhr
Julia Burbulla (Bern): Raum und Emotion

18.00 Uhr
Diskussion

Freitag, 13. November 2015
Ort: Universität Zürich, Schönberggasse 11, Raum SOE E 8

9.00 Uhr
Frank Schmitz (Hamburg): Spiel - Räume der Demokratie. Theaterbau in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1975

9.45 Uhr
Ulrich Knufinke (Braunschweig): Mythos und Simulation. Das Massentheater als auratischer Ort der Moderne

10.30 Uhr
Respondenz Chris Dähne (Frankfurt/Main)

11.00 Uhr
Kaffeepause und Raumwechsel: Kollegiengebäude, Rämistrasse 71, Raum KOL E 18

12.00 Uhr
Hilde Strobl (München): Sportstadien – Orte der Sinn- und Gemeinschaftsstiftung

12.45 Uhr
Sven Kuhrau (Berlin): Aus- und Einblicke: Schwellenerfahrungen im modernen Museumsbau der 1960er Jahre

13.00 Uhr
Respondenz Erik Wegerhoff (München)

14.00 Uhr
Schlussdiskussion (Ende gegen 14.30 Uhr)

Finanziert durch den Schweizerischen Nationalfonds SNF und die Hochschulstiftung der Universität Zürich.

Weitere Informationen unter:

http://www.khist.uzh.ch/kol/minta/projekte/Workshop.html

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