Ausstellungsbesprechungen

Wortkünstler / Bildkünstler. Von Goethe bis Ringelnatz. Und Herta Müller, Museum Behnhaus Drägerhaus, Lübeck, bis 20. Oktober 2013

Ganz im Zeichen einer Annäherung von Literatur und Kunst stehen in diesem Sommer zwei Lübecker Museen. Das Günter-Grass-Haus präsentiert Gedichte, Plastiken und Zeichnungen von Markus Lüpertz (»Unruhe im Olymp«), und gleich nebenan werden im Behnhaus neun Autoren vorgestellt, die auch bildkünstlerisch tätig waren – von solchen Größen wie Johann Wolfgang Goethe und Victor Hugo bis zu einem vergessenen Dichter wie Paul Scheerbart. Stefan Diebitz hat die interessante Ausstellung besucht.

Herta Müllers Collagen lassen sich im Gartenhaus der Overbeck-Gesellschaft besichtigen, die Arbeiten der acht anderen Autoren aber finden sich im Hauptgebäude, einem lichten und großzügigen lübschen Bürgerhaus, das in seiner ständigen Ausstellung Kunst des 19. Jahrhunderts und der klassischen Moderne präsentiert. Das Behnhaus ist neben dem St. Annen-Museum, das vor allem mittelalterliche und sakrale Kunstwerke ausstellt, das Glanzlicht unter den Lübecker Museen und mit seiner Fülle von bedeutenden Werken unbedingt einen Besuch wert.

Es sind insgesamt neun Dichter von sehr verschiedenem Gewicht, deren Bilder und Plastiken ausgestellt werden. An der Spitze stehen die Nationaldichter Deutschlands und Frankreichs, Johann Wolfgang Goethe und Victor Hugo, dazu kommen bis heute populäre Autoren wie Hans Christian Andersen, Joachim Ringelnatz und Wilhelm Busch, hinter deren Namen George Sand, Justinus Kerner und Paul Scheerbart fast verschwinden.

Die Beziehungen zwischen dem literarischen Werk und den Zeichnungen oder Gemälden sind oft höchst indirekt, auch wenn der begabte Zeichner Goethe, als er 1810 ein Album mit ausgewählten Blättern herausgeben ließ, selbst Kommentare schrieb und Gedichte verfasste. Trotzdem scheint bei ihm die Verbindung von Kunst und Literatur äußerlich, und Kunst und Literatur standen wohl auch mehr in einem Konkurrenzverhältnis. Dagegen bestimmt die Fantastik das bildkünstlerische Werk Victor Hugos wohl in derselben Weise wie in seinen Romanen, denn in beiden Fällen geht er von einer sorgfältig beobachteten Wirklichkeit aus, die er in sehr freier und gelegentlich fantastischer Weise umdeutet. Schon der Titel einer Gouache von 1850 deutet Hugos freien Umgang mit der Realität an: »Der Turm von Saint-Romboult von Malines, umgeben von einer imaginären Stadt«.

Auch bei Justinus Kerner sind Fantasie und Realität eine Verbindung eingegangen. Kerner war ein bedeutender Arzt, ist aber heute mehr als Protokollführer der Seherin von Prevost bekannt, also als der Mann, der die religiösen Visionen einer Frau aufschrieb. Als er später selbst nicht mehr produktiv sein konnte, erfand er die »Klexografien«: gefaltete und deshalb spiegelsymmetrische Tuscheflecken, deren zunächst ganz ungegenständliche Formen er später durch eigene Eingriffe ergänzte und zu Figuren gestaltete. Das Prinzip des Rohrschachtests, zu dem sich die Klecksografien später entwickeln sollte, kann man also bereits erkennen.

Das Zufallsprinzip und die spielerische Ausdeutung von ungegenständlichen Strukturen spielte auch bei den Arbeiten der heute wohl kaum noch gelesenen, zu ihrer Zeit aber extrem erfolgreichen George Sand eine Rolle, die für sich selbst »dendrites« schuf. Sie arbeitete ganz ähnlich wie Kerner, indem sie Aquarellfarben zwischen zwei Blätter goss und diese aneinander presste. Es bildeten sich baumförmige Strukturen (daher der Name), welche die Künstlerin als Ausgangsmaterial für ihre Erfindungen nahm.

Hans Christian Andersen dagegen schuf dekorative Scherenschnitte von Figuren, die wir aus seinen Märchen kennen, etwa eine Ballerina. Eindrucksvoller (und überraschender!) wird man vielleicht die Arbeiten Wilhelm Buschs finden, der eigentlich nicht ganz in diese Ausstellung passt, weil er ja schließlich mit seinen Zeichnungen Geld verdiente und ebenso Künstler wie Dichter war. Im Behnhaus werden seine zum Teil sehr kleinen Landschaftsgemälde und Genrebilder gezeigt, an denen seine Vorliebe für die alten Holländer leicht abzulesen ist: Es überwiegen die gedeckten, vor allem auch die braunen Töne, und die meisten seiner Bilder wirken melancholisch. Ganz überraschend und in ihrer Qualität einfach nur erstaunlich sind zwei wunderbare Porträtköpfe aus Gips, mit denen Wilhelm Busch zeigt, dass er wohl auch ein sehr guter Bildhauer hätte werden können – wenn er es nicht schon von Natur aus war.

Schließlich Paul Scheerbart und Joachim Ringelnatz. Der heute vergessene Scheerbart galt zu seiner Zeit als der »bizarrste unter den Bizarren der modernen deutschen Schriftstellerwelt«. Ein versponnener, leider auch alkoholkranker Kopf, dessen Zeichnungen und Tuschebilder in ihrer wüsten Kombinatorik ziemlich genau dem entsprechen, was ein Leser seiner Bücher erwartet: Es sind merkwürdige Fabelwesen, Kombinationen aus Insektenleibern oder schwimmenden Wesen mit Menschenköpfen. Seltsame Visionen und bizarre Konstellationen finden sich auch bei Ringelnatz, etwa Fischmenschen. In ihrem Katalogbeitrag betont Friederike Schmidt-Möbus den »sehnsüchtigen, empfindsam-zarten, wehmütig-ernsten, aber auch düsteren« Aspekt seines künstlerischen Schaffens, und eben dieser kommt im Behnhaus zur Darstellung.

Zuständig für die zeitgenössische Kunst ist in Lübeck die Overbeck-Gesellschaft, deren schöner Pavillon in dem abfallenden Garten des Behnhauses steht. »Und Herta Müller«, der zweite Teil des Ausstellungstitels, betont ja bereits die Sonderstellung dieser Autorin, deren Collagen im DIN A 5-Format in langen Reihen ganze Wände bedecken. Besonders aus Verlagskatalogen hat Müller einzelne Wörter ausgeschnitten, in Kisten in ihrer Schreibtischschublade aufbewahrt und schließlich zusammengeklebt. Wieweit sie sich von seltenen Wörtern inspirieren ließ oder die Ausschnitte nur benutzte, um bereits fertigen Gedichten eine eigene Gestaltung zu geben, habe ich nicht ganz verstanden. Ihre Collagen wirken erstaunlich sauber und adrett, und die Texte sind fast immer links- oder rechtsbündig. Die einzelnen Wörter sind als Ganzes ausgeschnitten, und sie sind auch in einer wenigstens ungefähr einheitlichen Größe, als habe Müller ihre Gedichte einfach nur selbst setzen und dies nicht dem Drucker überlassen wollen.

Eigentlich belehrt uns die perspektivenreiche und in allen Teilen interessante Ausstellung weniger über das Verhältnis von Literatur und Kunst als vielmehr über die Funktionsweise der Fantasie.

Der nicht allein sehr umfangreiche, sondern auch inhaltlich gehaltvolle und ohne Abstriche empfehlenswerte Katalog überzeugt sowohl mit seiner sorgfältigen Gestaltung als auch mit seinen substantiellen Beiträgen. Zu jedem der neun Schriftsteller findet sich ein biografischer Abriss, eine meist zeitgenössische Würdigung und schließlich ein Aufsatz. Dazu kommen natürlich noch zahlreiche Abbildungen.

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