Buchrezensionen, Rezensionen

Zwei Bücher zum Werk von Barbara Klemm

Günter Baumann hat sich mit den Fotografien von Barbara Klemm beschäftigt und schaute sich dazu die Bücher »Helldunkel« und »Straßen-Bilder«, die zu den gleichnamigen Ausstellungen erschienen sind, etwas genauer an.

Die Städtische Galerie Karlsruhe hat von Mai bis August 2010 – noch sind die Museumspforten geöffnet – eine Retrospektive der Fotografin ausgerichtet, die sich mit ihren Schwarzweißaufnahmen von unermesslichem dokumentarischem Wert in die Geschichte der Fotografie ›geknipst‹ hat. Die einen oder anderen können sich vielleicht noch an die Tiefdruckbeilage der F.A.Z. erinnern, einen einstmals leuchtenden Stern am (insbesondere bild-)journalistischen Himmel. Wie so vieles blieb auch sie auf dem verlustreichen Weg schwindender Vielfalt auf der Strecke: geblieben sind aber mehr als eine Erinnerung, nämlich unzählige Fotografien von Barbara Klemm. Die Tochter des wahrlich beklemmenden Zeichners und Malers Fritz Klemm, Karlsruher Professor, lernte bei einem Fotoatelier Porträtfotografie, arbeitete im Labor der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wo sie über den freien Bildjournalismus 1970 zur Redaktionsfotografin aufstieg: Seitdem brauchte man nur die besten Fotos der Tageszeitung in den Ressorts Kultur und Politik anblättern, Barbara Klemms Name stand meist dabei. Im Februar 2010 erhielt Klemm den Max-Beckmann-Preis der Stadt Frankfurt am Main, den bisher so große Kulturschaffende bekommen haben wie Bruce Nauman, Pierre de Meuron u.a.m. Einen einzigartigen Einblick in ihr Schaffen gibt die Karlsruher Schau mit rund 300 Arbeiten, zugleich gewähren zwei großartige Publikationen einen Blick ins Werk, von denen keine die Ausstellung direkt begleitet, welche aber den fehlenden Katalog um zwei wichtige Aspekte ersetzen: Selbst als Kataloge gestartet – einmal zu einer Ausstellung des Instituts für Auslandsbeziehungen in Stuttgart (2009) und einmal zu einer Schau des Museums für Modernen Kunst in Frankfurt (auch 2009) – , haben sich die Bände bereits als selbständige Publikationen etabliert. Der Stuttgarter Band, erschienen im Verlag für moderne Kunst Nürnberg, ging 2010 in eine zweite, veränderte Auflage, der Frankfurter Band aus dem Nimbus-Verlag in Zürich/Wädenswil hat von vornherein mehr Fotos ins Buch hereingenommen, als in der Ausstellung zu sehen waren.

Das Spektrum der Fotografin ist eindrucksvoll: Unter den Oberbegriffen Politik und Kultur tummeln sich Themen bzw. Motive aus dem Alltag und der Geschichte, sie handeln von Ländern und Straßen, abgelichtet werden Künstler, Schriftsteller, Musiker, Regisseure oder auch nur der »Normalo« von nebenan. Wer die »halbwegs ganze« Barbara Klemm kennenlernen möchte – vermissen wird man mindestens die atemberaubenden Aufnahmen von Chillidas »Windkämmen« in San Sebastian –, kommt um beide Bände nicht herum, die gleichermaßen auf technisch höchstem Niveau gearbeitet sind – man darf beiden Verlagen bescheinigen, dass sie auf Augenhöhe mit den ersten Kunstbuchproduzenten in Stuttgart, München u.a. stehen. Bleibt als Kriterium der inhaltliche Zugang: »Straßen Bilder« ist wohl eines der persönlichsten Bücher von Barbara Klemm, für das sie eine Art Reisetagebuch durch alle Ecken und Winkel dieser Erde entworfen hat; »Helldunkel« folgt der deutschen Geschichte seit den 1970er Jahren, die Bilder sind vorwiegend auf Auftragsreisen für die F.A.Z. entstanden. Beidesmal zieht Klemm alle Register ihres Könnens, einmal eher mit dem staunenden Auge der Vorbeireisenden, einmal mit dem kalkulierten Blick für den entscheidenden Augenblick.

Das »Straßen Bilder«-Buch wird eröffnet von einem kurzen Essay, d. einem Aperçu von Hans Magnus Enzensberger über die Straße, bevor Barbara Catoir in die »Tag- und Nachtbilder« des bildgewordenen Klemmschen Reisetagebuchs einführt. Über 200 Seiten gehören dann ganz der Fotografie. Jedes einzelne Bild erzählt dabei eine Geschichte, berichtet von Schicksalen, von Freud und Leid des menschlichen Lebens – zwischen Kalkutta und Köln, Shanghai und San Francisco. Das »Helldunkel«-Buch umkreist Licht und Schatten desselben Lebens. Vielleicht ist es weniger persönlicher, aber dafür vom Apparat her anspruchsvoller, mit einem kommentierten Werkverzeichnis. Doch sind auch hier die einführenden Worte knapp gehalten, und bestechend ist hier das abgedruckte Gespräch mit Matthias Flügge im Anschluss an die Fotostrecke, die etwas schmaler ausfällt als im anderen Buch (rund 130 Seiten). Die Auswahl bietet allerdings – schon aus künstlerischer Sicht – eine Quintessenz des fotografischen Schaffens. Schon die Gegenüberstellungen sind meisterhaft: So begegnen sich der etwas hemdkragensteife Vorstand der Privatbank von Metzler (1992) und ein verwegener Trupp von Wandergesellen (1989), oder es stehen Momentaufnahmen beieinander, die wahre Sternstunden der Fotografie darstellen: so die pausierenden Damen in einem Weinberg am Rhein (1974) und die drei schlafenden Herren auf einer Stuttgarter Parkbank, die von einer pikierten Marmorschönheit beäugt werden... Keiner wird die Lust übersehen, die Barbara Klemm bei der Porträtfotografie geleitet hat, insbesondere bei den Künstlerbildnissen, allen voran das hinreißende Porträt von Alfred Hitchcock – hier imponiert die Präsenz eines Selbstdarstellers, an anderer Stelle das vielsagende, nicht minder ausdrucksstarke Nicht-Porträt von Fritz Klemm (wer hat je den eigenen Vater so klar, so objektiv ergreifend dargestellt!). Darüber hinaus wird den Fotojournalisten viel Platz eingeräumt, der unabdingbar ist, um die Bedeutung der Fotografin recht einzuschätzen. In diesen Komplex ihres Schaffens gehören Arbeiten mit Kultstatus wie etwa das Treffen von Willy Brandt und Leonid Breschnew von 1973. Hier kulminiert die Gunst des Augenblicks mit dem Genie der Künstlerin.

Was man nur in Karlsruhe bis zum 22. August genießen kann, weil es natürlich keine Relevanz für das fotografische Werk von Barbara Klemm im eigentlichen Sinn hat, sind die Arbeiten ihres Vaters Fritz Klemm aus der »Wand«-Serie, die »nebenbei« in der Städtischen Galerie gezeigt werden: So unterschiedlich die Werke sind, wird man doch bewegt die subjektiven Querverbindungen zur Kenntnis nehmen und verstehen, warum ausgerechnet (oder gerade) die beste Dokumentarfotografin meinte, es gebe auch Bilder, »die einfach nur eine Ereignis dokumentieren, ein Dokument wird aber nie ein Bild darstellen können«.

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