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100 Jahre Bauhaus im Westen. Zum Beispiel Köln, zum Beispiel Krefeld

2019 ist Bauhaus–Jahr, das hat wohl jeder mitbekommen. Unzählige Bücher, Ausstellungen und Sendungen haben sich das Thema zur Brust genommen und von den verschiedensten Seiten beleuchtet. Jeder Stein des Bauhauses wurde umgedreht, neu gedeutet und Publikums–gerecht verwertet. Auch an Autor Rainer K. Wick ist der Bauhaus–Trubel nicht vorbeigegangen. Zur Halbzeit hat er sich Gedanken zum Jubiläumsjahr, zu einigen Ausstellungen und Publikationen gemacht.

Margarete Heymann-Loebenstein, Teekanne aus dem „Bauhaus-Service“, Haël-Werkstätten für künstlerische Keramik, Marwitz, um 1929, MAKK, © Estate of Margarete Marks. All rights reserved/VG Bild-Kunst, Bonn 2019 (Foto: © RBA Köln, Marion Mennicken) Margarete Heymann-Loebenstein, Schale, 1923-24, © Estate of Margarete Marks. All rights reserved VG Bild-Kunst, Bonn 2019, Foto © Rainer K. Wick Margarete Heymann-Loebenstein, Teeservice, vor 1930, © Estate of Margarete Marks. All rights reserved VG Bild-Kunst, Bonn 2019, Foto © Rainer K. Wick Margarete Heymann-Loebenstein, Obstschale, Haël-Werkstätten für künstlerische Keramik, Marwitz, um 1930, MAKK, © Estate of Margarete Marks. All rights reserved/VG Bild-Kunst, Bonn 2019 (Foto: © MAKK)
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 Noch nie war so viel Bauhaus wie heute. Vor hundert Jahren in Weimar von dem Architekten Walter Gropius als Reformkunstschule gegründet, ist das Bauhaus derzeit auf allen Kanälen präsent, so dass einem fast schwindelig werden kann. Zum aktuellen Bauhaus–Hype tragen mehr oder minder sachkundige Beiträge in Zeitungen und Zeitschriften bei, zahllose neue Bücher, darunter auch die unsägliche Gropius–Biografie von Bernd Polster, Dokumentar–und Spielfilme, etwa »Lotte am Bauhaus«, ein Streifen, den »Der Spiegel« als Historienschrott gebrandmarkt hat, der im Frühjahr eröffnete Betonklotz des neuen Bauhaus–Museum in Weimar in unmittelbarer Nähe des ehemaligen NS–Gauforums, und natürlich Ausstellungen landauf, landab.
So auch im Westen der Republik. Dass es sich dabei manches Mal um Mogelpackungen handelt, die mit dem verheißungsvollen Label »Bauhaus« auftreten, oft aber »Bauhaus« nur in homöopathischer Verdünnung – oder gar nicht – enthalten, gehört zu den Usancen eines außer Rand und Band geratenen Kulturbetriebs. Erwähnt sei stellvertretend nur die an sich sehr sehenswerte Ausstellung »Ihrer Zeit voraus!«, die bis zum 10. März 2019 im Clemens Sels Museum in Neuss Arbeiten von Heinrich Campendonk, Heinrich Nauen und Johan Thorn Prikker zeigte – eine Schau die umstandslos in das offizielle nordrhein–westfälische Jubiläumsprojekt »100 Jahre Bauhaus im Westen« eingebunden wurde, obwohl das Bauhaus zur Zeit der Entstehung der Hauptwerke dieser Künstler noch nicht einmal gegründet war.
Andere Aktivitäten können dagegen mit direkten Bezügen zum Bauhaus aufwarten. Dies gilt beispielsweise für die Ausstellung »2 von 14« im Museum für Angewandte Kunst in Köln (MAAK) und für die Initiative MIK (Mies in Krefeld) beziehungsweise »map 2019 – Bauhaus – Netzwerk – Krefeld«.

Köln

Noch bis zum 11. August präsentiert das Museum für Angewandte Kunst Köln unter dem Titel »2 von 14. Zwei Kölnerinnen am Bauhaus« Arbeiten der Keramikkünstlerin Margarete Heymann–Loebenstein und deren Cousine, der Bildhauerin und Bühnengestalterin Marianne Ahlfeld–Heymann. Sie gehörten zu den vierzehn Bauhäuslern, die nach Auskunft des Berliner Bauhaus–Archivs aus Köln stammten.
Margarete Heymann wurde 1899 in Köln–Lindenthal geboren, studierte zunächst an der Kölner Kunstgewerbeschule und der Kunstakademie Düsseldorf, bevor sie 1920 an das kurz zuvor gegründete Staatliche Bauhaus in Weimar kam. Dort absolvierte sie den legendären Vorkurs bei Johannes Itten, um anschließend ihre Ausbildung in der von Gerhard Marcks als »Formmeister« geleiteten, in Dornburg an der Saale als Außenstelle des Weimarer Bauhauses betriebenen Keramikwerkstatt fortzusetzen. Obwohl Marcks sie grundsätzlich für begabt hielt, wurde der jungen Studentin die besondere Eignung für die Keramik abgesprochen, so dass ihr nach einem Probesemester die endgültige Aufnahme in die Bauhaus–Töpferei versagt blieb. Im Zorn verließ sie das Bauhaus und gründete, nachdem sie 1922 den Ökonomen Gustav Loebenstein geheiratet hatte, zusammen mit ihrem Ehemann und dessen Bruder die Haël–Werkstätten für künstlerische Keramik im brandenburgischen Marwitz, benannt nach den Initialen ihrer Nachnamen (H und L). Das neue Unternehmen wurde zu einer der erfolgreichsten Produktionsstätten für moderne, manufakturell hergestellte Gebrauchskeramik in der Weimarer Republik. Und obwohl Margarete Heymanns Karriere am Bauhaus nur von kurzer Dauer gewesen war, zeugen manche ihre strengen Entwürfe doch von Einflüssen, die als »bauhäuslerisch« bezeichnet werden können. Dies gilt nicht nur für die geometrischen beziehungsweise stereometrischen Grundformen der Gefäße, sondern teilweise auch für ihr Dekor. Zwar lautete das Motto der Stuttgarter Werkbund–Ausstellung des Jahres 1924 »Die Form ohne Ornament«, doch war am frühen Bauhaus die Bemalung keramischer Objekte keine Seltenheit. So erinnert etwa das Dekor einer Schale mit gegenläufigen Segmentbögen aus der Zeit um 1923/24 von Margarete Heymann–Loebenstein an die Formensprache Kandinskys, wie sie auch in dessen grundlegendem Bauhaus–Buch «Punkt und Linie zu Fläche« anzutreffen ist. Formal besonders innovativ waren die – oftmals starkfarbigen – konisch geformten Gefäßkörper der Mokka– und Teeservices mit kreisrunden, ergonomisch allerdings nicht unproblematischen Scheibenhenkeln. Da Margarete Heymann–Loebenstein aus einer jüdischen Familie stammte, musste sie die Haël–Werkstätten nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten unter Wert veräußern und emigrierte 1936 nach Großbritannien, wo sie nicht mehr an ihre früheren Erfolge anknüpfen konnte und 1990 verstarb.
Auch ihre Cousine Marianne Ahlfeld–Heymann, geboren 1905 in Köln–Braunsfeld, gehörte zu jenen, die sich dem Nazi–Regime durch Flucht ins Ausland zu entziehen suchten. 1933 ging sie nach Paris, wo sie ihren späteren Mann Hermann Ahlfeld kennen lernte, 1940 wurde sie in Südfrankreich interniert, floh und überlebte den Krieg und die deutsche Besatzungszeit. Im Jahr 1949 übersiedelte sie nach Israel und starb dort 2003.
Mit achtzehn Jahren, 1923, kam Marianne Heymann ans Bauhaus in Weimar, wo sie nach dem Vorkurs in die von Oskar Schlemmer geleitete Werkstatt für Holzbildhauerei wie auch in die Bühnenwerkstatt eintrat. Da der Betrieb der Holzbildhauerei 1925 im Rahmen des Umzugs der Schule von Weimar nach Dessau und einer zunehmenden Technik– und Industrieorientierung des Instituts eingestellt wurde, kehrte Marianne Heymann Mitte der 1920er Jahre nach Köln zurück. Hier schuf sie für einen Kölner Puppenspieler geschnitzte, dem Expressionismus nahe stehende Handpuppen, fertigte Masken für Tanzaufführungen und arbeitete ab 1928 erfolgreich für das Kölner Opernhaus und das Mannheimer Nationaltheater in den Bereichen Bühnenbild und Kostümentwurf. Die von Romana Rebbelmund kuratierte Ausstellung im MAAK bietet faszinierende Einblicke in das fantasiereiche Schaffen einer Künstlerin, das zuweilen direkte Einflüsse des Bauhauses erkennen lässt – etwa in den ringförmigen Wulsten einer Figurine für Clemens von Frankensteins Oper »Li–Tai–Pe. Des Kaisers Dichter« von 1932, die an Schlemmers »Triadisches Ballett« erinnert –, sich insgesamt aber durch eine bemerkenswerte Eigenständigkeit auszeichnet.

Krefeld

Hätte im Jahr 1924 der damalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer nicht nur Interesse am politisch in Thüringen angefeindeten Bauhaus gezeigt, sondern es tatsächlich in die Domstadt geholt, könnte sich Köln mit Fug und Recht »Bauhausstadt« nennen. Nicht ohne gehöriges Selbstbewusstsein nimmt heute Krefeld diesen Titel für sich in Anspruch. Dazu Krefelds Oberbürgermeister Frank Meyer: »Krefeld ist die Bauhausstadt in Nordrhein– Westfalen. Keine andere Stadt in unserer Region ist historisch so eng mit dem Bauhaus verknüpft.« Damit spielt er in erster Linie auf die von Ludwig Mies van der Rohe in Krefeld errichteten beziehungsweise für Krefeld geplanten Bauten an, ferner auf die Lehrtätigkeit von Johannes Itten, Georg Muche und etlichen ehemaligen Bauhaus–Schülern an der Höheren Fachschule für textile Flächenkunst beziehungsweise deren Nachfolgeinstituten, sowie auf die Aktivitäten etwa zwanzig anderer Absolventen des Bauhauses, die über Jahre und Jahrzehnte in Krefeld gewirkt und gelebt haben.
Als Highlights der Bauhaus–Moderne in Krefeld gelten seit eh und je die schon lange museal genutzten Fabrikantenvillen Haus Lange und Haus Esters von Mies van der Rohe in der Wilhelmshofalle. Sie entstanden in den Jahren 1927 bis 1930, also noch bevor Mies als Nachfolger von Hannes Meyer dritter Direktor des Bauhauses wurde, als Wohnhäuser für die Familien der beiden Gründungsdirektoren der Krefelder Vereinigten Seidenwebereien AG (Verseidag). Im Unterschied zur sprichwörtlichen »weißen Moderne« präsentieren sich die kubisch gestaffelten, dezidiert die Horizontale betonenden Baukörper in regionaltypischem rötlichem Klinker. Während die Straßenfronten kompakt und geschlossen erscheinen, öffnen sich die Bauten gartenseitig durch für damalige Verhältnisse ungewöhnlich große Fensterflächen und tendieren somit zur Aufhebung der Grenze zwischen Innen– und Außenraum. Die im Erdgeschoss großzügig dimensionierten Innenräume sollten ursprünglich einer von Mies favorisierten offenen, dem Prinzip des fließenden Raumes entsprechenden Grundrissgestaltung folgen, auf Wunsch der Bauherren kam jedoch eine konventionellere Raumaufteilung zur Ausführung. Zu einer Zeit, als der Leiter der Architekturabteilung am Bauhaus und zweite Bauhaus–Direktor Hannes Meyer angesichts der Verelendung breiter Schichten die Losung »Volksbedarf statt Luxusbedarf« ausgab, bediente Mies mit diesen eleganten, ästhetisch raffinierten Bauwerken die Ansprüche zweier Auftraggeber, die sich zu den »happy few« rechnen durften.
Dass Mies van der Rohe in Krefeld neben den beiden Fabrikantenvillen einen dritten Bau hinterlassen hat, nämlich das Fabrikgebäude der Vereinigten Seidenwebereien AG – übrigens der einzige Industriebau, den der Architekt je entworfen hat – war im öffentlichen Bewusstsein lange kaum präsent. Kernstück ist das 1931 in Stahlskelettbauweise errichtete Lagerhaus für Herrenfutterstoffe, das sogenannte HE–Gebäude, das mit seinen großen Glasflächen das gesamte Fabrikensemble dominiert. Heute firmiert die Anlage unter der Adresse »Mies van der Rohe Business Park«. Sehenswert ist dort die aktuelle, von Studenten der TH Köln und der TH Mittelhessen (Gießen) in Kooperation mit dem Museum für Architektur und Ingenieurkunst NRW erarbeitete Ausstellung »Mies van der Rohe im Westen«. Text– und Bildtafeln sowie dreidimensionale Modelle informieren über die geplanten, gebauten und zerstörten Projekte des Architekten in Aachen, Krefeld und Essen. Hervorgehoben seien das Modell des nicht realisierten, repräsentativen Gebäudes der Hauptverwaltung der Vereinigten Seidenwebereien (1937/38) und vor allem der Entwurf für den Krefelder Golfclub (1930), ein eingeschossiger Flachdachbau auf einem asymmetrischen kreuzförmigen Grundriss, der alle Merkmale der für Mies typischen »Haut– und Knochenarchitektur« zeigt.
2013 wurde dieses spektakuläre Projekt als temporäre Installation nachgebaut. Initiatorin war Christiane Lange, die Urenkelin des Bauherrn des Krefelder Haus Lange. Sie ist auch die treibende Kraft des Projektes MIK (Mies in Krefeld) beziehungsweise der Initiative »map 2019 – Bauhaus – Netzwerk – Krefeld«. Dazu gehört ein breit angelegtes Forschungsunternehmen, das sich die Aufarbeitung der Geschichte der Verbindungen zwischen dem Bauhaus und der Krefelder Seidenindustrie zum Ziel gesetzt hat. Seinen Niederschlag fand dieses Projekt unter anderem in einer opulenten, mehr als 400 Seiten starken Publikation, die kürzlich bei Prestel erschienen ist. Das fundierte, von Christiane Lange und Anke Blümm herausgegebene Buch mit dem Titel »Bauhaus und Textilindustrie. Architektur – Design – Lehre« beleuchtet das Thema aus fachwissenschaftlich unterschiedlichsten Perspektiven. Dreh– und Angelpunkt ist die Auseinandersetzung mit der Frage, wie das Bauhaus in der Krefelder Seidenindustrie auch über das Jahr 1933 hinaus als Innovationsmotor und Impulsgeber erfolgreich sein konnte. Ohne an dieser Stelle in die Tiefe gehen zu können, sei nur daran erinnert, dass die neben Walter Gropius zentrale Gestalt des frühen Bauhauses, der Schweizer Künstler und Kunstpädagoge Johannes Itten, von 1932 bis 1938 in Krefeld die Leitung der Höheren Fachschule für textile Flächenkunst innehatte. Berufen wurde er wegen seiner gestalterischen Kompetenzen wie auch seiner innovativen Kunstpädagogik, doch wurde sein Wirken in der Seidenstadt nicht nur durch Widerstände aus nationalsozialistischen Kreisen beeinträchtigt, sondern letztlich fehlte ihm auch der Rückhalt durch die Industrie, die ihre ökonomischen Verwertungsinteressen im Kampf um Absatzmärkte – hier spielte das Textildesign eine maßgebliche Rolle – kaum als erfüllt ansah. 1938 wurde Itten gekündigt. Damit waren in der Krefelder Ausbildung von Textilgestalterinnen und Textilgestaltern Bauhaus–Imprägnierungen jedoch keineswegs beendet. Georg Muche, Bauhaus–Lehrer von 1920 bis 1927 und langjähriger »Formmeister« der Weberei am Bauhaus, übernahm 1939 an der Fachschule für Textilindustrie (später Textilingenieurschule) eine »Meisterklasse für Textilkunst« und blieb bis in die späten 1950er Jahre lehrend in Krefeld. Erwähnt seien als Lehrkräfte auch Elisabeth und Gerhard Kadow, ferner Max Peiffer–Watenphul und Immeke Mitscherlich, die alle am Bauhaus studiert hatten und mit je unterschiedlichen Akzentuierungen »Bauhäuslerisches« in die Stadt am Niederrhein importierten.
In dem vom Düsseldorfer Künstler Thomas Schütte entworfenen sog. Krefeld Pavillon im Kaiserpark unweit von Haus Lange und Haus Esters, einem aus Holz errichteten Oktogon mit geschwungenen Dächern, das sich als begehbares Kunstwerk versteht und in seiner architektonischen Gestalt in nichts an das Bauhaus erinnert, ja sich dazu geradezu antagonistisch verhält, werden in sieben Sektionen informative Dokumentarfilme gezeigt, die das Thema »Bauhaus und Textilindustrie« auch für diejenigen Besucher anschaulich werden lassen, die sich der anspruchsvollen Lektüre der unbedingt empfehlenswerten Publikation nicht unterziehen möchten.

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