Ausstellungsbesprechungen

1914 – Die Avantgarden im Kampf, Bundeskunsthalle, Bonn, bis 23. Februar 2013

Mit dem Ersten Weltkrieg lässt die Bundeskunsthalle Bonn die »Urkatastrophe« des letzten Jahrhunderts Revue passieren – nicht aus Sicht des Kulturhistorikers, sondern aus Sicht der Künstler. Gleich einem Seismografen spürten sie den nahenden Konflikt, sie dokumentierten oder aber abstrahierten seine Gräuel. Nina Loose blickt schlaglichtartig auf die gezeigten Arbeiten von Beckmann, Kirchner, Macke, Marc und weiteren.

Nicht mehr als vier Kapitel sollen die Ausstellung chronologisch wie inhaltlich gliedern. So will es das Konzept des Gastkurators Uwe W. Schneede, ehemaliger Direktor der Hamburger Kunsthalle. Doch vor Ort zeigt sich schon nach kürzester Zeit, dass der ungeheuren Masse von 300 Exponaten damit allein kaum beizukommen ist. Die Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen und Fotos füllen eine gewundene, schier endlose Raumfolge, wobei die vier Sektionen – der Vorabend des Krieges, das Geschehen im Krieg, die Erschütterungen und schließlich die neuen Perspektiven – leicht aus dem Blick geraten.

Das Panorama setzt mit der glänzenden Zeit vor 1914 an, mit den Pariser Kubisten Picasso und Braque, Gleizes und Metzinger, mit den Münchner Avantgarden aus dem »Blauen Reiter«, mit František Kupka in Prag. In den Bildwelten von Léger und Delaunay scheinen – hier die Trikolore, dort der Eiffelturm – noch reale nationale Symbole auf; Jawlenskys »Selbstbildnis« von 1911 kündet »stellvertretend für eine ganze Generation von Avantgardekünstlern, von einem neuen Selbstbewusstsein«, besagt der Wandtext. Kirchners »Segelboote«, 1912 auf der Insel Fehmarn gemalt, gelten demgegenüber schon als »Zeugen der Ruhe vor dem Sturm«. Immerhin, sein Südseeidyll wird durch ein rotes Firmament und ein sich gefahrvoll wölbendes, offenes Meer getrübt. Doch es bleibt ungewiss, ob man jene Bilder, darunter auch die »Sintflut I« von Kandinsky, tatsächlich als Vorboten des Krieges ausweisen kann.

Expliziter wird des Künstlers Vorausschau dann in der Grafik Ludwig Meidners. Dessen wüste Landschaften und Figuren sind erkennbar die Opfer einer Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes, die Meidner in drastischen Schwarz-Weiß-Kontrasten schildert. Auch Alfred Kubin ist in Bonn mit Lithografien, deren Titel »Das Grausen« oder »Die Todesstunde« lauten, vertreten. Sein bekanntestes Blatt und zugleich die Inkunabel der Mappe stellt aber »Der Krieg« dar. Es zeigt eine entsprechend gerüstete Personifikation, wie sie anhebt, die winzigen Heere auf Erden mit einem einzigen ihrer gewaltigen Schritte niederzustampfen. Weiter noch reicht ein Bildtitel von August Macke: »Weltuntergang« aus dem Jahr 1913.

Aber bedeutete der Große Krieg für die europäischen Avantgarden wirklich bloß einen Niedergang? Sicher, ihr internationales Zusammenwirken wurde 1914 jäh unterbrochen und für einige hieß es abrupt »aus dem Atelier ins Feld«. Doch nicht immer herrschte hierüber Verdruss, bisweilen befanden sich die Künstler sogar im Kriegsrausch, wovon exemplarisch Barlachs Skulptur »Der Rächer« erzählt. Unter den italienischen Futuristen flammten ebenfalls Patriotismus und Pathos auf: »Italien wurde mit zu wenig Blut gemacht. Der Moment ist gekommen, davon reichlich zu vergießen. Entweder Krieg oder Revolution – für den Ruhm Italiens!« forderte im Frühling 1915 der Italiener Carlo Carrà. Im selben Jahr beschrieb sein Kollege Boccioni den Krieg als »eine schöne, wundervolle, schreckliche Sache!«. Zitate wie diese begleiten die Fotosektion der Bonner Ausstellung, die vor Augen führt, dass innerhalb der deutschen, französischen und italienischen Truppen manch ein Künstler zur Waffe griff.

Von einer anderen, einer bunten und folkloristischen Seite zeigt sich der Krieg in der Flugblätter-Abteilung. Ein prächtiger gallischer Hahn triumphiert dort über einen deutschen Adler, und die Nationalheldin der Franzosen, Johanna von Orléans, ersteht aus Flammen wieder auf. So volksnah illustrierte etwa Raoul Dufy »Das Ende des Großen Krieges« (1915) in einer Gouache, die sich alte Bilderbögen aus Épinal zum Vorbild nimmt. Auf deutscher Seite verlegten Paul Cassirer und Alfred Gold unter dem Namen »Kriegszeit« ähnliche Propagandablätter; und auch in Russland dienten solche gewissermaßen aktualisierten Volksbilderbögen zu kriegspolitischen Zwecken.

Weiter geht es mit einem Überraschungsmoment der Bonner Schau: der Sektion zur Camouflage-Malerei. Man stelle sich vor, Künstler wie André Maré, Roger de la Fresnaye und Franz Marc entwarfen Tarnmuster für Kriegsgerät, für Bespannungen von Flugzeugen oder Marineschiffen. Den gewünschten Tarneffekt erzielten sie dabei durch einen groben Pointillismus, geometrische Designs und durch in der Natur vorkommende Farbtöne.

Als ein neues, dem Krieg geschuldetes Betätigungsfeld tritt außerdem die offizielle Malerei an der Front hinzu. Noch in situ wurden die Geschehnisse durch Kriegsmaler, z. B. den Österreicher Oskar Kokoschka oder den Franzosen Félix Vallotton, festgehalten. Das Gros der Künstler agierte unterdessen in eigenem Auftrag, um sich der Geschichte bzw. ihrer Rolle darin gewahr zu werden. So stellen Otto Dix’ Selbstbildnisse von 1915 den Soldaten einmal als Zielscheibe, ein anderes Mal als Mars dar und fragen damit: Opfer oder Täter? Verlierer oder Gewinner des Krieges?

Neben Orientierungslosen wie Otto Dix hatte der Krieg auch Gestürzte und Tote unter den Kunstschaffenden hervorgebracht. Diese traurige Bilanz wird in Bonn vor allem durch das Werk »Der Gestürzte« (1916) von Wilhelm Lehmbruck veranschaulicht. Eine programmatische Skulptur, die wie ein Denkmal für alle Gefallenen anmutet, bildet sie doch einen anonymen, im Sterben begriffenen Krieger nach.

Gegen Ende des Parcours gibt es noch einmal Fotografien zu sehen; es sind die letzten Bilder der in den Krieg gezogenen Künstler. Auf einem dieser Fotos erscheint Franz Marc als Rückenfigur, neben ihm geht ebenfalls unkenntlich Baron Stengel. Gemeinsam bewegen sie sich eine leere, unbefestigte Straße hinunter, immer weiter vom Betrachter fort, und Marcs Mantel weht dabei leicht im Wind. Franz Marc fiel wenig später und unmittelbar vor seiner Freistellung im März 1916 bei Braquis, nahe Verdun. In seinem »Skizzenbuch aus dem Felde« hatte er 1915 noch Ideen und Entwürfe für neue Gemälde skizziert, die dann nie verwirklicht wurden.

Doch auf den Zusammenbruch, so erzählt es die Ausstellung, folgte schlussendlich ein Neubeginn der Bildenden Künste. Dazu gehörten das internationale Dada in Zürich, die reine Abstraktion à la Malewitsch, der Surrealismus von De Chirico und selbstverständlich die Ready-mades eines Marcel Duchamps. Mit seinem zerstörten Werk »Großes Glas in der Société Anonyme« (1926/27) oder mit seinem programmatischen Kamm wird das konturiert, was die Kunst des 20. Jahrhundert langwierig prägen sollte: das Primat von Andeutung und Inspiration.

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