Ausstellungsbesprechungen

4 REAL & TRUE 2 – Wim Wenders. Landschaften. Photographien, Museum Kunstpalast Düsseldorf, bis 30. August 2015 (verlängert)

Unter dem etwas kryptischen Titel »4 REAL & TRUE 2« präsentiert sich der Filmemacher Wim Wenders dieser Tage als Fotograf im Museum Kunstpalast in Düsseldorf. Chronologisch reiht er sich damit ein in die lokalen Fotoausstellungen vergangener Jahre stilistisch jedoch geht Wenders einen ganz anderen Weg. Welcher das ist, verrät Ihnen Nina Loose.

80 kapitale Landschaftsfotografien führen den Besucher, während er die lichten Bildersäle im Ostflügel des Ehrenhofs durchschreitet, einmal rund um den Globus. Wenders selbst musste dafür nach eigener Schätzung 400.000 Kilometer weit reisen; seine Destinationen waren z.B. Los Angeles, Pittsburgh, New York, Fukushima oder Havanna, aber immer wieder auch namenlose Landstriche oder deutsche Städte. Es handelt sich ausnahmslos um Schauplätze, die der Fotograf instinktiv, mithilfe seines wie er sagt siebten Sinnes entdeckte, und die – darin liegt sein künstlerischer Anspruch – Geschichten erzählen sollen.

Auf drei hochkantigen Bildern fing Wenders z.B. einen Straßenzug Havannas ein: Farbenfroh, in Pink, Gelb oder Orange, leuchten dessen Fassaden im Sonnenlicht, wie um ihrem unaufhaltsamen Verfall – dem bröckelnden Anstrich, dem ruinösen Gemäuer – zu trotzen. Im Sinne Wenders sagen sie als Orte vielleicht etwas über die Menschen dort aus, über die Strahlkraft und Lebensfreude, mit der diese ihrem Alltag und Schicksal begegnen.

Eine andere Geschichte wird von der Serie »New York, November 8 2001« erzählt, die nur wenige Schritte weiter ein separates Kabinett ausfüllt. Hier dringt das krude Chaos des Ground Zero von allen vier Wänden auf den Betrachter ein: Das Grundstück wirkt während der Abtragung und Aushebung wie ausgeweidet; wo man auch hinsieht, ragt geborstenes Metall empor, stapelt sich Schutt oder steigt Wasserdampf auf. Wie titanische Insekten beugen sich an einer Stelle drei Bagger über den Schlund, kurz davor ihn mit ihren Schaufeln weiter zu attackieren.

Daneben hält die Werkschau im 2. Teil Ansichten von US-Städten bereit, die zwar ebenfalls amerikanische Identität stiften, aber gefälliger sein mögen. Das eine oder andere dieser stimmungsvollen Motiv scheint Edward Hopper, dem ausgewiesenen Lieblingsmaler Wim Wenders, zu huldigen (»Street Front in Butte, Montana 2000«) – ein Beweis für die »große Liebe zur Malerei, zur klassischen Kunst«, die er nach Meinung von Museumsdirektor Beat Wismer in seine Fotografie einfließen lässt.

Zur zeitgenössischen (Foto-)Kunst allerdings wahrt Wenders eine respektvolle Distanz und möchte die Fotografie im Allgemeinen, seine eigene im Speziellen, nicht mit ihr gleichgesetzt sehen. Er schreibt letztere deshalb »Photographie«, beharrend auf dem ursprünglichen, dem griechischen Wort innewohnenden Sinn (»phos« für Licht und »graphein« für Malen).

»Das Licht, das da auf eine Platte fiel (später auf ein Negativ)/ hinterließ Spuren, die nachprüfbar waren,/ und die sich auf einer Daguerreotypie (oder später einem Abzug)/ fraglos als echt und wahrheitsgemäß erwiesen.« Diese echte und wahrheitsgetreue Qualität gesteht Wenders einzig dem analogen Verfahren zu; der Digitalfotografie spricht er sie vehement ab, was er in seinem Katalogbeitrag – man möchte fast sagen: seinem Manifest – wiederum so ausdrückt: »In jeder digitalen Bilddatei/ kann ich schalten und walten, wie ich will,/ und mir die Wirklichkeit in jeder Hinsicht gefügig machen. Und zwar so, daß das in keiner Weise nachprüfbar ist./ Der Himmel ist langweilig oder zu grau?/ Hauen wir einen neuen rein!« Wim Wenders tut dies aber nicht; weder retuschiert noch manipuliert er seine Aufnahmen, sondern lässt sie »ex se« sprechen. Sich selbst sieht er in diesem Zusammenhang bescheiden als »Übersetzer«, der die Welt so wiedergibt, wie sie ist, wohingegen digital arbeitende Kollegen neue Welten kreierten.

Anhand des Entstehungsprozesses von »Ferris Wheel, Armenia 2008«, dem Bild eines verwitterten Riesenrades auf menschenleerer Steppe, erklärt Wenders die Tücken seiner Arbeitsweise: Zunächst fand er das Riesenrad an einem sonnigen Tag, umringt von spielenden Kindern vor, was ihm für das gewünschte Foto zu heiter-idyllisch erschien. Also beschloss er, sein Motiv am nächsten Tag zu schießen; doch ein armenischer Hirte, der sich mitten im Bild aufhielt, kam ihm erneut in die Quere. Letztlich entstand die Fotografie, so wie sie jetzt in Düsseldorf zu bewundern ist, erst am dritten Tag – frei von Staffagefiguren oder einem strahlend blauen Himmel, welche mit der natürlichen Ödnis und Melancholie des Ortes gebrochen hätten.

Gewiss, das Ziel wäre schneller erreicht, hätte man die Personen einfach wegretuschiert oder einen neuen Himmel »reingehauen«. Innerhalb der Gegenwartskunst ist diese »Bildmacherei« (Beat Wismer) schließlich längst Usus geworden, durch die Düsseldorfer Fotoschule, vertreten von Andreas Gursky, sogar Kult. Umso erfrischender wirkt hier Wenders Anachronismus. Seine Botschaft »Das ist wirklich wahr, ich hab’s gesehen« steckt in jedem Bild der Ausstellung und stiftete denn auch ihren Titel »4 REAL & TRUE 2«.

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