Meldungen zum Kunstgeschehen

8. art Karlsruhe - ein Rückblick

Am vergangenen Wochenende fand zum achten Mal die art Karlsruhe statt. Auch dieses Jahr war die vielbeachtete Galerienschau mehr als gut gefüllt: über 1600 KünstlerInnen stellten ihre Werke zur Schau. Dass sich der Besuch mehr als gelohnt hat, berichtet Günter Baumann in seinem Rückblick.

»Die Messe wächst nur noch in der Qualität«, so umschrieb Ewald Karl Schrade – der die »art KARLSRUHE« von der vielfach belächelten Provinzveranstaltung zur vielbeachteten »Drehscheibe der Kunst« im deutschen Südwesten gemacht hat – die Vorgaben für die eben zu Ende gegangene Galerienschau. Die art Karlsruhe präsentiert längst nicht mehr nur die baden-württembergische Kunstszene, sondern inzwischen Kunst aus zehn Ländern; die größte Gruppe von Galerien stammt aus Berlin, denn die art Karlsruhe hat durch seinen »Berliner Block« über einige Jahre hinweg den Draht in die Hauptstadt gehalten. Mittlerweile stehen deutlich mehr Galerien Schlange, um teilnehmen zu können, als die Galerienschau fassen kann – eine Ausweitung schließt Schrade zumindest für seine Ägide kategorisch aus -: von den über 300 Bewerbungen hat der Beirat 212 Aussteller ausgewählt. Berücksichtigt man, dass das freundschaftliche Verhältnis zwischen Organisator und Teilnehmer, wie es Schrade sieht, einen erstaunlich großen harten Kern alljährlich in die Badenmetropole zieht, sind die fast 50 Neuzugänge schon ein Zeichen für die Qualitätsschrauben, die die Messemacher ansetzen. Nach einer Aufmerksamkeitsdelle vor wenigen Jahren waren die Stimmen schon 2010 nahezu euphorisch. Und wer dieses Jahr durch die Hallen ging, spürte eine pulsierende Kraft, die die aktuelle Kunst zu vermitteln imstande ist. Allein am Mittwoch, als neben der Presse die sogenannten V.I.P.s geladen waren, kamen fast 12000 Besucher. Noch keine »art KARLSRUHE« hatte ein derart durchgängiges Niveau aufzuweisen, ungeachtet der Tatsache, dass die Bandbreite bei ziemlich genau 1600 Künstlern über alle Stile und Gattungen hinwegführte. Auch scheint die Mischung aus altgedienten und jungen Galerien zu überzeugen – die Galerie Rottloff (Karlsruhe) feiert einerseits dieses Jahr ihr 50jähriges Bestehen (begleitet von einer großen Ausstellung im Ettlinger Schloss), die Galerie Nothelfer (Berlin) blickt auf 40 Jahre zurück, was auch Vertrauen in die Galerienszene setzt; andrerseits gibt es junge Galerien wie Ferenbalm-Gurbrü Station (Karlsruhe), die mit KünstlerInnen wie Franziska Degendorfer neue Impulse setzt, oder Anja Rumig (Stuttgart), die mit dem etablierten Bildhauer Willi Weiner als einem der wenigen Landschaftsdarsteller in der Plastik aus dem Start heraus in die goldene Mitte der Galeristen schnellte. Die Bilanz am Eröffnungstag: SEO (Schultz) und Brodwolf (Schlichtenmaier) wechseln schon unmittelbar nach dem ersten Einlass für einen fünfstelligen Betrag den Besitzer. Der Geldregen schien so manchen Anbieter zu beglücken. Selten war die Kunst in Karlsruhe so verlockend wie in diesem Jahr (und es muss ja nicht gerade das teuerste Stück, E. L. Kirchners »Harem« bei Henze & Ketterer, für über 3 Millionen Euro sein, das man gerne an der eigenen Wand sehen würde).

Schon allein die Plastik ist dank der Skulpturenplätze eine Reise zur Messe wert. Die Galerie Knecht und Burster etwa, die noch nicht einmal auf die Bildhauerei spezialisiert ist, zeigt gleich zwei One-Artist-Shows: den skurrilen Pavel Schmidt, der auch schon im vergangenen Jahr eine gute Figur gemacht hatte, sowie den fulminanten Stein-und-Stahl-Park von Voré, dessen Installationen Teile eines spannenden Dauerprojekts und zugleich Einzelobjekte im Sinne eines prozessualen Pars pro toto sind und zu den wichtigen Kunstwerken nach Beuys gehören – mit der Präsentation seiner philosophisch hintergründigen und die Antike zitierenden steingewordenen Gedankenfragmenten wird Voré auch zum 70. Geburtstag geehrt. Achim Däschners Beton-Wachs-Arbeiten, (auch bei Knecht) stehen dabei nur hallentopografisch an seiner Seite. Dasselbe gilt auch für die sich windenden, verschlungenen Hochglanz- und Cortenstahlplastiken von Jörg Bach (Galerie Gottschick), die noch in der beengten Koje einen mächtigen Eindruck hinterlassen. Jörg Bach ist wieder wie im letzten Jahr gleich von mehreren Galerien (auch Hollenbach, Wohlhüter) vertreten ist. Schade, dass der Großplastiker Wolfgang Thiel sich dieses Jahr bei Gottschick nicht angemessen positionieren konnte, weil die Galerie auf ihren Skulpturenplatz verzichtet hat. Umso mehr Wirkung ist dem schon genannten Jürgen Brodwolf sicher, der zu den Rennern der Messe gehört. Seine Tubenfiguren sind auch bei der renommierten Stuttgarter Galerie bei St. Gertrude zu finden, außerdem zeigt Henze & Ketterer das riesige »Monsunzelt« Brodwolfs – halb Lazarett, halb Raum-in-Raum-Chiffre –, das seit 1989 in stetem Wandel begriffen ist. Doch auch im kleineren Format bietet die Plastik erstklassige Qualität. Getragen von einer fragilen Poesie sind die filigranen Kostüm- und Flugobjektplastiken von Christina von Bitter bei der Galerie Kränzl, die darüber hinaus die jüngsten Arbeiten von Irmela Maier zeigt: Intensiv hat sie sich im Karlsruher Zoo mit den sehr seltenen Wallachenschafen auseinandergesetzt, denen sie dadurch ungewollt ein Denkmal gesetzt hat, nachdem diese bei einem Brand im Zoo getötet worden sind. Mit der Multiplizierbarkeit plastischer Zeichen gehen Vera Röhm (märz galerie) und Jürgen Knubben (Wohlhüter) um: Röhm reiht in einem Skulpturengeviert 625 reinweiße Würfel-Module aneinander, während Knubben zum »Tête-à-tête« mit zahlreichen, rostschönen Eisenguss-Nofreteten einlädt. Auch im Grenzbereich konnte man schöne Funde machen: Dieter Kränzleins Skulpturen (Obrist) sind im Grunde reliefartige Zeichnungen, deren Linienstruktur mit der Flex gezogen werden, während die Raumobjekte von Gabriele Kaiser-Schanz (Obrist), deren plastische Wirkung erst in der Schichtung der transparenten Acrylplatten entsteht. Rita Rohlings Schaukästen (märz galerie) vereinen dagegen Malerei und Installation. Konzeptionell ist die glasgrüne Stele von Jessica Centner (Mueller-Roth), die mit Legosteinen und Acryl ein atemberaubend schönes Objekt geschaffen hat. Die Liste der beachtenswerten Bildhauer ließe sich problemlos fortsetzen, wofür allein die Namen von Franz Bernhard, Armin Göhringer, Tadashi Kawamata, Herbert Mehler, Werner Pokorny, Thomas Putze, Thomas Röthel, Stephan Siebers, Silvia Siemes, Tamara Suhr, u.a.m. stehen.

Die Malerei sowie die mediale Inklusive der fotografischen Kunst sind in ihren Trends kaum noch zu überblicken und können der Messe weit weniger Profil geben als die Plastik, die mit ihrer bloßen Präsenz ein Charakteristikum der »art KARLSRUHE« ist. Dem ersten Eindruck nach ist die Fotografie in diesem Jahr etwas zurückgegangen, aber durch eindringliche Positionen vertreten. So nehmen die starkfarbigen Dibond-Aufnahmen karger Landschaften oder die schwarzweißen Digitaldrucke von Patricia Strickland (von Stechow) den Blick gefangen. Die Strandbilder von Massimo Vitali (Hilger) irritieren durch eine nahezu magische Lautlosigkeit, die umso stärker wirkt neben der lautstarken Farbmalerei von Günter Damisch (ebenfalls Hilger). Die projektbezogenen, monumentalen Fotoserien von Magdalena Jetelová (Harthan) sind schwarzweiß gehalten, haben aber durch den innovativen Einsatz der Lasertechnik eine überwältigende Präsenz. Die intellektuelle Durchdringung (»The essential is no longer visible« verkündet ein Leuchtspurtext auf einem der Bilder) findet sich auch am Nachbarstand, wo beispielsweise Laura Letinsky (Sturm) einen tiefgründigen Blick auf den flüchtigen Alltag wirft (»I did not remember I had forgotten«). Franziska Schemel (Mollwo) verpackt ihre Fotos, die oft Menschen in Unterführungen oder an Haltestellen darstellen, in plastische Aufmachungen aus natürlichen, teils übermalten Materialien (Eisen, Holz, Sand usw.). In ihren jüngsten Arbeiten bringt sie figurative Motive in die Rahmenstruktur, die die archaische Referenz noch mehr verdeutlichen. Ob man hier auch eine Tendenz insgesamt erkennen kann, wird sich zeigen.

Jedenfalls hat die Figuration in der Malerei nach wie vor eine starke Position und auch Maler wie Peter Degendorfer (Gottschick), die bisher vorwiegend mit Chiffren umgingen, setzen in jüngster Zeit auf die deutlich erkennbare Figur, ohne deshalb einem Realismus zu verfallen. Hier zeigen sich auch Schwächen einiger Werke, die dem Gesamteindruck keinen Schaden zufügen. Vielmehr ist man, nach erstaunlich vielen, fotografisch genau beobachteten weiblichen Rückenakten mittleren und vor allem austauschbaren Niveaus, umso mehr beeindruckt, wenn man das spektakuläre Triptychon »Mole« von Andreas Wachter (Supper) sieht. Mit einem fulminant-befremdlichen »Argonauten«-Bild demonstriert Volker Blumkowski (Schwind), dass Realismus genauso spielerisch auf die malerische Qualität als Peinture eingeht wie ein abstraktes Bild – der Maler, der neben großen ostdeutschen Malern Mattheuer, Rink, Sitte und Tübke hängt, hat die jüngste Leipziger Schule im Westen schon vorweggenommen, als Rinks Schüler noch auf ihre Entdeckung warteten. Wie unterschiedlich die Realismen aussehen, zeigen die starken Bilder von Cordula Güdemann (Schlichtenmaier), Thomas Hartmann (Nothelfer), Andreas Lau (Supper) u.a.m. Die beklemmenden, aber brillant gemalten Bilder von Eckart Hahn (Rothamel) sorgen für so viel Irritation, dass man die Illusion surrealer Momente fast schon für wirklich und begreifbar hält. Den eingetüteten Ballerinen und Heiligen Drei Königen würde man gerne aus der Verhüllung zu befreien – doch was würde einen erwarten? Dass die nichtfigurative Kunst aber im Wellengang der Gegenständlichkeit keineswegs untergeht, zeigt das Stuttgarter Galeristen-Dreiergespann Harthan/Mueller-Roth/Sturm, wo neben den Fotoarbeiten der Magdalena Jetelová (Harthan) eine wahre Star-Parade das Beste zeigt, was die konzeptionelle und minimalistisch-reduzierte Kunst zwischen oder jenseits von Malerei und Plastik gegenwärtig zu bieten hat: Brigitte Stahls Türenensembles und Laura Letinsky Fotos (Sturm) neben Thomas Müller, Jo Schöpfer, Beat Zoderer und Karin Sander, die frischgebackene Trägerin des Hans-Thoma-Preises, mit sensibel-spröden Heftklammerblättern und Hamish Fulton mit reliefierten Holzsilhouetten (beide Mueller-Roth) neben Reto Boller, Reiner Ruthenbeck oder Markus Wirthmann. Nicht zuletzt kann man diese Vielfalt künstlerischer Auseinandersetzung in der heutigen Zeit vielerorts auf der Messe mit Beispielen aus der Klassischen Moderne (Gerd Arntz, Horst Antes, André Derain, Carl Hofer, um nur einige wenige zu nennen) vergleichen – eine Reibung, die besonderes Vergnügen macht.

Noch ein Wort zur Zeichnung: Gern übersieht man diese unscheinbare Gattung, die in den letzten Jahren eine faszinierende Eigendynamik in Konkurrenz zu den Nachbarkünsten entwickelt hat. Die sperrig-schönen Arbeiten von Käthe Schönle (Hollenbach) etwa loten die Grenzen zur Malerei aus. In der Nähe zeigt Martin Bruno Schmid (Schwarz), dass man auch mit dem Bohrer zeichnen kann. Unter den Aquarellen seien hier nur die magischen, schaurig-schönen Arbeiten von Magdalena Jankowska (Völcker Fine Art) genannt.

Die Messe in ihrer achten Auflage war fast zu schön, um sich auch nur annähernd umfänglich bei all den grandiosen Entdeckungen, die man machen kann, zu orientieren. Da jeder Besucher nicht darum herum kam, einen eigenen Parcours für sich zu finden, hat er schnell erkannt, dass weitere Hundert Künstlerinnen und Künstler auf ihre Entdeckung warten…

Sonderausstellungen rundeten den Besuch ab, sofern man den entdeckerischen Tatendrang bis zum Ende ausreizen wollte oder konnte. Der einstige neue Wilde Werner Büttner, der den diesjährigen Hans Platschek Preis erhielt, wartete mit munter gesellschaftskritischen und sarkastisch-skurrilen Gemälden auf. In derselben Halle 1 konnte man die Sonderschau »Fashion – Modefotografie aus neun Jahrzehnten« sehen, während in Halle 4 Herbert Kopp Einblicke in seine Sammlung gewährte. Am Freitag wurde zudem der Sieger im Ranking der besten One-Artist-Show gekürt, was traditionell zum Ankauf von Arbeiten des Künstlers für die art Karlsruhe-Collection führt: 2011 fiel die Wahl auf Jens Hanke, dessen Kohlezeichnungen Landschaftsmotiv und abstrakt-grafische Chiffren meisterhaft zusammenführen. Es wird auch mehr als ein Zufall gewesen sein, dass mit dem Berliner Künstler auch ein Signal an den sogenannten »Berliner Block« verbunden war, der das internationale Flair der Messe in den vergangenen Jahren kräftig unterstützte, in Zukunft aber nicht mehr als Galerien-Einheit auftreten wird. Neu im Rahmenprogramm war die 1. Art Nacht Karlsruhe, bei der zahlreiche Museen und Galerien ihre Pforten am Samstag bis Mitternacht öffneten. Die Süchtigen unter den Kunstliebhabern konnten sich also auch noch über alle Messezeiten hinaus einen kunstsinnigen Absacker gönnen. Vielleicht fanden manche sogar angesichts der furchtbaren Erdbebenkatastrophe in Japan Trost in der Kunst.

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