Ausstellungsbesprechungen

Eine Lanze für das Licht – Zu einer temporären Lichtskulptur von Thorsten Schwanninger, Böblinger Kunstverein, 17. November 2012

Zum Eröffnungsabend der Ausstellung von Manuela Tirler präsentierte der Böblinger Kunstverein als besondere Beigabe eine Lichtskulptur von Thorsten Schwanninger. Unser Autor Günter Baumann war so beeindruckt von der Installation, dass er dem Künstler einen Artikel widmete.

Die architekturbezogene Lichtkunst macht inzwischen immer wieder Furore, ist aber auch mit einem Makel belegt: Zum einen bereichert sie als Genre die freie Kunst in der Öffentlichkeit – in Zeiten schwindender Besucherzahlen in Museen fast schon ein Rettungsanker – , zum andern ist sie in der Regel vergänglich – witterungsbedingt und durch Vandalismus besonders anfällig, verkehrsrechtlich zuweilen heikel. So kommt es vor, dass eine der leuchtenden Installationen auch mal nur für eine Nacht besteht. Der 1980 in Bietigheim-Bissingen geborene Künstler Thorsten Schwanninger zum Beispiel macht sich hier keine Illusionen, im Gegenteil: Auf- und Abbau seiner Arbeiten sind nur die zwei Kehrseiten einer Medaille. Sein jüngstes Projekt installierte er im Auftrag des Böblinger Kunstvereins am Gebäude des Alten Amtsgerichts anlässlich der Langen Nacht der Museen der Stadt im Verband mit Sindelfingen. Der 1961 gegründete Kunstverein bezog vor 20 Jahren Räume im dortigen Obergeschoss – das sogenannte Künstlerhaus feierte demnach auch ein kleines Jubiläum.

Thorsten Schwanninger, studierte Medienkunst in Karlsruhe – im Bereich der neuen Medien ist er in der digitalen Fotographie genauso wie im Web-, Sound- und Grafikdesign aktiv. Seit über fünf Jahren realisiert er Klang-, Video- und Lichtinstallationen, inszeniert performative Theaterinstallationen für die Gruppe »Die Happy Few« und ist für die Kunst- und Kulturplattform »Kavantgarde« aktiv. Für den Böblinger Kunstverein gestaltete er unter dem Titel »Brache/Bruch« eine sich betont zurückhaltende Raumzeichnung aus Lichtröhren, die sich durch das Gebäude des Alten Amtsgerichts zog. Es ging dabei weniger um die Illumination des Hauses – vergleichbar etwa den Projektionen zur Langen Nacht der Museen auf dem Böblinger Marktplatz – als um einen dialogischen Austausch von Architektur und Zeichnung im Raum: Zum einen reagierte die unaufgeregte Linienführung auf den schlichten klassizistischen Stil des 1833 erbauten ehemaligen Oberamtsgerichts; zum anderen jedoch brachen die Leuchtstoffröhren dessen Blockhaftigkeit auf, indem sie in skizzenhafter Leichtigkeit tatsächlich durch das Haus hindurch gehen und mit den Schrägen die rechten Winkel der Architektur konterkarierten.

Noch ein drittes Moment kommt ins Spiel, durchzog die mittlere Röhre doch nicht von ungefähr genau die Räume des Kunstvereins: Die lapidare Leuchtspur fungierte sozusagen als eine Chiffre für die Kunst, die Licht in das einst antiquierte Gemäuer gebracht hat. Ein insgeheimer Beitrag zum 20-jährigen Bestehen des Künstlerhauses? Der wie gestrichelt wirkende Lichtbogen, der selbst vor den regelmäßigen Waag- und Senkrechten des gebauten Volumens einen abstrakt-fingierten Architekturraum abzustecken schien, bildete in seiner Ausrichtung von der Straße über und durch das Gebäude hin zur Brache für den von der Kirche bzw. dem Marktplatz herkommenden Besucher eine Art Durchgang zum Kunstverein. Das Wortspiel im Titel »Brache/Bruch« bezog deutlich auch noch das weitere Umfeld der topografischen Situation mit ein: Im Hinblick auf die Stadtkirche und das dahinter liegende historische Zentrum der Stadt zeigt sich die Grünanlage als Zäsur, als städtebaulich uneindeutige Brache bzw. als Bruch im Bauensemble des Schlossbergs – und nicht zuletzt markierte die Lichtskulptur auch den Bruch in der Geschichte des Alten Amtsgerichts im Wandel zum Künstlerhaus hin. Eine spielerische Variation der Lichtlinie führte Thorsten Schwanninger im Hinterhof des Gebäudes fort, bei der die Lichtspur in drei deiktisch separierten Stücken noch einmal zitiert wird.

Lichtkunst sucht gern die Umgebung der Architektur, da macht Schwanningers lineares Leuchtzeichen keine Ausnahme. Das heißt allerdings nicht, dass sie zu deren Beleuchtung dient. Das muss erwähnt werden angesichts des weiten, zur Verfügung stehenden Spektrums, ist doch die erste Aufgabe der Lichtführung im öffentlichen Raum die Sicherung im Sichtfeld, erst nachgeordnet kommt die mehr oder weniger spektakuläre Inszenierung des Raumes, die mal feierlich, mal intim-zurückhaltend ausfällt, mal die Räume öffnet oder gar überhaupt erzeugt – oder auch mal begrenzt.

Historisch gesehen ist die Lichtkunst uralt und keineswegs ein Produkt der Erfindung von Glühbirne, Neonleuchte usw. Nicht ohne Grund nannte man die Fotografie früher »Lichtbildnerei«. Geht man weiter über die gemalte Lichtregie barocker Kunst bis hin zur rituellen Einsetzung des Sonnenlichtes etwa in der Architektur der Maya, wechselt zwar die Grundlage zwangsläufig zu natürlichen Lichtquellen und damit von der Nachtansicht zur Tagesansicht. Doch übt das Licht offenbar von jeher einen immensen Reiz aus. Mehr noch, gerade im Hinblick auf die Architektur ist das Licht wesentlicher Bestandteil, wie aus einem Statement Le Corbusiers hervorgeht: »Die Elemente der Architektur sind Licht und Schatten, Mauer und Raum.« Der Lichtdesigner wird hier wohl mehr Wert auf die illuminierende Wirkung und kommerzielle Nutzbarkeit legen, während der Lichtkünstler frei von derartigen Denkkategorien ist. Allerdings sind die Übergänge hier sehr durchlässig.

Mit seiner »sparsamen« Belichtung steht Schwanninger in einer gewissermaßen minimalistischen Tradition. Als geistiger Vater kann László Moholy-Nagy gelten, der nach seiner Emigration in Chicago das New Bauhaus etablierte, wo auch Lichtskulpturen entstanden. In neuerer Zeit sind im Bereich der Farbinstallation Dan Flavin, auf Seiten der »Schwarzweiß«-Installation Mischa Kuball oder Jan van Munster zu nennen, dazwischen siedeln sich die Arbeiten François Morellets an. Ableger dieser reduzierten Lichtkunst sind die – weniger an die Architektur gebundene – Konkretisierung der Linie durch Schrift- und Zahlsymbole, wie sie Mario Merz & Co. beisteuern, sowie mit Magdalena Jetelová oder Dani Karawan das weite Feld der Laserkunst, die die Linie zum potentiellen Endlos-Strahl ausdehnen. Kuball kommt den Arbeiten Schwanningers am nächsten – als Student in Karlsruhe lernte der junge Künstler die geometrischen Arbeiten Kuballs unmittelbar kennen und schätzen. Im Fall von »Brache/Bruch« setzt Schwanninger allerdings Kuballs Vorliebe für die Betonung der Waag- und Senkrechten der zugrundegelegten Architektur geradezu einen gegen den rechten Winkel gerichteten Akzent.

An geometrischen Vorgaben orientiert sich Schwanningers Installation »Lichtpause«, die im September 2012 in der alten Schweinemarkthalle in Karlsruhe realisiert wurde – hier reflektierte der Künstler mit farbigen (!) Leuchtstoffröhren eine Architektursituation mit kulturell umfunktionierten, in Reih und Glied stehenden Seefrachtcontainern. Gemeinsam ist dieser wenn nicht als Schule, so doch als spezielle Ausprägung einer poetisch kargen Lichtkunst auftretenden leuchtsinnigen »Zeichner«-Gemeinde – zu der man auch noch Volker Möllenhoff oder Andreas Schmid rechnen sollte – der Gegenentwurf zu einer sensationsgierig und über Gebühr illuminierten Konsumwelt in den Metropolen Westeuropas, der USA und Ostasiens.

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