Ausstellungsbesprechungen

[7P] – [7] Orte [7] prekäre Felder. 6. Fotofestival Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg

Die sechte Ausgabe des Fotofestivals Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg widmet sich in diesem Jahr dem Nachdenken über heikle Orte, Gedanken und Themen. Unter dem Motto »[7P]« zeigen sieben verschiedene Ausstellungsorte in der Metropolregion Rhein-Neckar noch bis 15. November 2015 spannende Zugänge zu Geld und Krieg, Wissen und High-Tech und anderen »prekären Feldern«. Anna Quintus hat sich an diese kritischen Orte begeben.

Das diesjährige Fotofestival [7P] Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg, kuratiert von Urs Stahel — Gründungsdirektor des Fotomuseums Winterthur, Mitbegründer der Kunsthalle Zürich und Kurator des neuen Zentrums für Industriekultur in Bologna — öffnet dem Besucher [7] Orte des Nachdenkens, Reflektierens und Diskutierens über [7] prekäre Felder in unserer heutigen Welt. Mit dem Mittel der Fotografie, der Wandinstallation im Sinne von überdimensionalen Mind-Maps und Videoinstallationen wird ein jedes Themenfeld künstlerisch ins Bild gesetzt. Die über 1000 Werke könnten dabei nicht prekärer und aktueller sein. Tages- und jahresaktuelle Debatten werden in das Feld der Künste gerückt, um sie dort erneut zu reflektieren. Vielleicht um die Präsenz und die Schärfe der Themen noch einmal aus anderen Perspektiven in den Blickpunkt zu setzen. Oder um den teils reißerischen Medienberichten ihre Stimme zu nehmen und um sie auf eine Basis der Ernsthaftigkeit zu reduzieren, welche diesen Inhalten von vornherein hätte zuteilwerden sollen. Dabei geht es nicht um eine schnelle Antwortfindung, sondern vielmehr darum ein dichtes visuelles Netz an Informationen, Fragen und Konfrontationen zu bieten. Unter den Künstlern aus 18 Nationen befinden sich namhafte Künstler wie Ai Weiwei, Dayantina Singh, Trevor Paglen, Allan Sekula oder Jules Spinatsch.

Eingerahmt und inhaltlich überspannt werden die Ausstellungsorte mit dem In-situ-Projekt. Der Schweizer Fotokünstler Jules Spinatsch referiert hierfür das jeweilige Ausstellungsthema eines der sieben Orte und nimmt unmittelbar Bezug auf die Region Rhein-Neckar, inspiriert von Geschichte und Gesellschaft. Als Endprodukt erblickt man ein großformatiges Panoramabild, gedruckt mit Inkjet Blueback oder HP Latexdruck. Erst bei genauer Betrachtung eröffnet sich dem Rezipienten die Komplexität des Werkes. Es ist nicht einfach ein Bild einer Abteilung aus der Saturn Filiale in Mannheim, eine Produktionshalle von John Deer oder eine tanzende Menschenmenge beim Time Wrap Festival, sondern es sind hunderte kleine Bilder von der gleichen Szenerie. Die Einzelbilder wurden mit einer programmierten Kamera mit Teleobjektiv über einen längeren Zeitraum aufgenommen und später mittels Computer in eine chronologische Reihenfolge gebracht und zu einem Bild zusammengefügt, ähnlich wie bei einem Puzzel. Folglich findet sich der Raum im Gesamtbild bruchlos reflektiert wieder, gleichwohl er aus intentionslosen Zeitfragmenten zusammengesetzt wurde. Es entstehen paradoxe Kombinationen von Zufall und Kontrolle. Zugegeben: der Bildinhalt lässt bei sieben Ausstellungsorten manchmal zu wünschen übrig. Die technische Umsetzung hingegen misst der Begrifflichkeit Panoramabild einen neuen Wert bei.

In der Sammlung Prinzhorn in Heidelberg gibt es hervorgerufen mit dem Themenfeld »Ich-Fest & Ich-Stress« eine Konfrontation mit dem überhöhten ICH aus unserer heutigen narzisstisch geprägten Welt. Der Besucher wird von verschiedenen Arbeiten, wie von Melanie Bonajo »Thank you for hurting me, I really needed that« oder von Maya Rochats Wandinstallation »Crystal Clear« zu einer kritischen Selbstreflexion über das Ich animiert. Verbunden ist diese Reflexion stets mit der Fragestellung: wo steht das eigene SELBST in diesem System? Das fragile Ich, welches nach außen so stark scheint, mit Überheblichkeit und übersteigerter Selbstwahrnehmung glänzt, droht letztlich immer wieder zu scheitern und zu zerbrechen. Es sucht verzweifelt Halt in einem Gemeinschaftssinn und trifft dabei auf die Sozialen Medien. Der Frage, inwieweit dieser Umgang mit den digitalen Medien prägend für die Selbstwahrnehmung ist, ist das Künstlerduo Rico Scagliola & Michael Meier nachgegangen. Ihre 10-Kanal Videoinstallation »Double Extension Beauty Tubes« ist das Ergebnis ihres jahrelangen Zusammenlebens mit Emos (emotional Hardcore) — einer jugendlichen Gruppe der ersten Generation, die von Geburt an mit den digitalen Medien in Kontakt kam. Nun wird der Rezipient selbst Teil dieser Gemeinschaft, der verschiedenen Bild-Identität, der permanenten überhöhten Stilisierung des eigenen Ichs und ihrer Sinnsuche, indem er sich — in der Raummitte wandelnd — von allen Seiten mit einem raschen Bildwechsel und der lautstarken musikalischen Untermalung konfrontiert sieht. Bezugnehmend auf das eigene Konzept der Sammlung Prinzhorn werden der Installation Arbeiten von zwei jungen Frauen aus den 60ern und 80ern gegenübergestellt, die sich im Rahmen einer psychiatrischen Behandlung ebenfalls im Versuch der Selbstvergewisserung zwischen Hoffnung und Verzweiflung befanden. Den Kampf um die Sinnsuche haben sie allerdings frühzeitig verloren. Die Frage bleibt offen, wie es dann um die jetzige Generation bestellt ist? Um eine Antwort auf die Auflösung der tradierten Strukturen von Gemeinschaftssinn zu finden und im Versuch eine neue Art des Haltes zu generieren, werden Kontrollinstanzen erschaffen, die mittlerweile über ein vertretbares Ziel hinausschießen.

Das prekäre Feld der Datenspeicherung und Archivierung, der Geheimhaltung und Verschlüsselung wird im Heidelberger Kunstverein von Fotografien Trevor Paglens eröffnet. Dieser hielt geheime Militäranlagen und verschieden Raumflugkörper am Himmel fest, deren Existenz und Arbeitsweisen gern vor der Öffentlichkeit verborgen gehalten werden. Nur Melanie Gilligan geht in ihrem fünf Episoden-Video »Popular Unrest« noch weiter und setzt eine Kontrollinstanz »the spirit« fiktiv(?) in das Innere der Menschheit. Wohin eine solche »infektiöse Injektion« der erzwungenen Gleichstellung wohl führen mag?

Um ein omnipräsentes MEHR geht es auch in der Kunsthalle Mannheim. Auf vielfältige Weise wird von fünf Künstlern und zwei Künstlergruppen die Thematik nach dem dominanten Prinzip im Spätkapitalismus der Gier nach Geld nachgegangen. Stefanos Tsivopoulos Arbeit entstand zwar bereits 2013 für den griechischen Pavillon auf der Biennale in Venedig, hat aber von seiner Tagesaktualität nichts verloren. Seine Videoarbeit, welche auf drei Leinwänden eine parabelhafte Erzählung von drei gesellschaftlich unterschiedlich gestellten Menschen offenbart, bringt die Existenz von Geld zur alles entscheidenden Verbindung hervor. Die ihr gegenübergestellte Wandinstallation listet und erläutert dazu alternative Tauschbörsen auf und zeigt somit mögliche Ansatzpunkte aus dem vorherrschenden Strudel des Geldgeschäftes auf. Durch einen permanenten Verweis auf weitere Geldmachenschaften, wie die weltweiten Steuerparadiese durch Fotografien von P. Woods & G. Galimberti oder die Ära von Dominique Strauss-Kahn durch die Künstlergruppe G.R.A.M., gelangt man letztlich zur Einkanal-Videoprojektion »Inversion II« der Künstlerin Glenda León. Sie geht der Frage nach dem Wert eines Geldscheins nach, indem sie mit einer Klinge von einer Dollarnote die Farbe abkratzt, um diese abgekratzten Farbpartikel mit Hilfe des zusammengerollten Scheines zu inhalieren. Löst sich der Wert somit buchstäblich ins Nichts auf?

Im Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen rückt das Themenfeld der Industrialisierung in den Mittelpunkt. Wie aus den rußverdreckten Industriebauten mit ihren ebenfalls völlig verschmutzten Arbeitern aus dem 19. Jahrhundert mittlerweile lupenreine Hallen mit robotergesteuerten Produktionsabläufen wurden, zeigen die Fotografien von Lewis Baltz und Henrik Spohler. Dieser andauernden High-Tech-Revolution in den westlichen Industrienationen wird die Bevölkerungsschicht gegenübergestellt, die nicht von der modernen Entwicklung profitiert hat. Sie wird von der Öffentlichkeit oft marginalisiert (Fotografien von Jim Goldberg und Ad van Denderen) oder hat unmittelbar unter den Folgen der technischen Revolution zu leiden, sei es durch Flucht aus der vom Krieg zerstörten Heimat oder durch die eingesetzten Kriegswaffen selbst. So wird von Lukas Einsele in einer überdimensionalen Wand-Mind-Map die vielen Seilschaften einer Streubombe zurückverfolgt. Neben den Menschen wird auch der Umgang mit Tieren als reine Produktionsmaschinen innerhalb der high-technisierten Lebensmittelindustrie in den Fokus gerückt (Henk Wildschut, Mishka Henner). In den Ausstellungsorten Port25 – Raum für Gegenwartskunst in Mannheim und im Kunstverein Ludwigshafen wird die Thematik prekärer Felder fortgeführt. Ob sie hier enden, hängt von jedem Besucher selbst ab!

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