Ausstellungsbesprechungen

„Damien Deroubaix - Die Nacht“ Ausstellung im Saarlandmuseum in Saarbrücken bis zum 15. November 2009

Mit der Ausstellung „Die Nacht“ stellt das Saarlandmuseum Damien Deroubaix, einer der vier Kandidaten für den renommierten Prix Marcel Duchamp 2009 für zeitgenössische Künstler, in seiner ersten Einzelausstellung in einem Museum vor. Einige Arbeiten sowie die Einrichtung im Ausstellungspavillon wurden vom Künstlers eigens für die Saarbrücker Präsentation entworfen. Neben zahlreichen Malereien, Zeichnungen und Arbeiten auf Papier sind Skulpturen und große Rauminstallationen zu sehen, die dem Betrachter einen umfassenden Einblick in das künstlerische Schaffen und das verstörende Universum Deroubaix’ gewähren. Bis zum 15. November 2009 sind die Pforten zu dieser großartigen Ausstellung geöffnet, von deren Qualität sich unsere Autorin Verena Paul überzeugen konnte.

Beim Betreten des Ausstellungspavillons sind die metallisch-harten Klänge der US-amerikanischen Death-Metal-Band „Six Feet Under“ zu hören, die aus den Kopfhörern von Damien Deroubaix’ zentral positionierter Videoinstallation „America the brutal“ sich zunächst noch leise Gehör verschaffen. Der Blick klebt auf den großformatigen Arbeiten an den Wänden und doch zieht es mich zu der Musik und den flackernden Bildschirmen mit den animierten Filmen hin. Staccatoartig reihen sich Szenen von Gewalt, Machtdemonstration, Umweltzerstörung und gesellschaftlichen Schieflagen aneinander, dazu immer wieder der dichte Soundteppich der Musik aus den Kopfhörern, die ich mir schließlich aufsetze und abrupt einen Schlag in die Magengrube bekomme, die sich daraufhin zusammenzieht und zunächst etwas revoltiert. Doch dann richtet sich der Blick auf den Bildschirm und alles wird plötzlich viel intensiver, brachialer, wirklicher: Die Macht des Geldes, die Zerstörung der Umwelt, die sinnlose Gewalt unter Menschen und die übersättigte, psychisch kranke Gesellschaft, die erbricht, was sie in Maßlosigkeit in sich hineingestopft hat.

Der Künstler findet seine Inspiration im radikalen musikalischen Umfeld von Death Metal und Grindcore, die in kompromissloser Radikalität politische und soziale Anliegen formulieren. Deroubaix zitiert „in seinen Skulpturen, Tuschezeichnungen, Aquarellen und großformatigen Papierarbeiten die Heroen aus der Undergroud-Musikszene und bewahrt sich bei aller Virtuosität und allen subtilen Verweisen auf die Kunst- und Kulturgeschichte eine unmittelbare Aktualität und Dringlichkeit in seiner endzeitlichen Bildsprache“, wie Konrad Bitterli den Musikeinfluss auf das künstlerische Schaffen deutet. Die Holzkonstruktion, an der neben den Bildschirmen Schilder mit Imperativen und Schlagworten wie „World eater“, „Taste the Poison“ oder „Coma of Souls“ befestigt wurden, wird von einem roten, insektenhaften Wesen mit einem Totenkopf eines Steinbocks (?) gekrönt, das mit seiner gespaltenen Zunge wie eine Schlange nach vorne schnellt.

Doch diese Monstrositäten und Horrorvisionen stellen sich bei eingehender Betrachtung „als Versatzstücke heraus, die durchaus längst Teil des kulturellen Gedächtnisses sind“, wie Ralph Melcher in seinem Katalogtext betont. Denn die Quellen sind neben der Musik „die Kunstgeschichte selbst, die Volkskultur des Abendlandes und entlegener Weltregionen wie Mexiko oder Asien, aber auch die sogenannte globalisierte Alltags- und Popkultur der Gegenwart. [...] In seinem Surrealismus ohne Traum verbildlicht Deroubaix“, so Melcher weiter, „einen Eklektizismus, dessen Rückgriff auf ikonografische Register ideologischer, religiöser, mythologischer Symbolsprachen ohne jede Ironie, ohne Satire und ohne Zynismus geschieht.“

Der junge Künstler spielt als „brillanter Pathologe des Bildgedächtnisses der Kunst“ [Melcher] mit Motiven, indem er in seinen Arbeiten gerne Relikte aus der Vergangenheit einbindet, beispielsweise das markante Flügelpaar aus Albrecht Dürers Kupferstich „Das große Glück“ von 1501/02. Während Dürer die römische Glücksgöttin Fortuna und Nemesis, die griechische Göttin der Vergeltung, vereint, scheint sich Fortuna bei Deroubaix’ Doppelgängerin in dem großformatigen Werk „Pusteblumen“ auf leisen Sohlen davongeschlichen zu haben. Neben figuralen Wiederaufnahmen finden sich darüber hinaus florale Elemente, die spannend in den aktuellen Kontext eingefügt sind.

Thematisch führen die Fäden zudem zu Goyas „Los Desastres de la Guerra“, wobei Deroubaix durch die Unterlegung weiterer Kontexte eine neue Dimension menschlicher Gräueltaten aufdeckt. Er verbindet kunsthistorische Traditionen „mit zeichnerischen Strategien der Gegenwartskunst und rezykliert zugleich die vollends mediatisierten Bildwelten von heute, indem er sie in ihrer Formelhaftigkeit sichtbar werden lässt.“ [Bitterli]

 

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Auch mit der für die Ausstellung zentralen Arbeit „Die Nacht“ kann eine kunsthistorische Verwandtschaft entdeckt werden und zwar mit Max Beckmanns gleichnamigem Gemälde. Mit Aquarell, Acryl, Tusche und Collage führt Deroubaix uns auf Papier eine dunkle Theaterbühne mit Figuren, Tieren und Kadavern vor, die in einem kalten Lichtkegel erstarrt sind. Ganz links macht das Skelett eines Neandertalers den Auftakt, dem im Bildzentrum zwei gebeugte Skeletten und ein toter Haifisch folgen, dessen Innereien sich als dunkle Farbschlieren über die Bühnenbretter ergießen. Ganz rechts zwei Tierschädel sowie eine sich darüber erhebende Standpuppe mit S/M-Maske. Im Hintergrund schwirrt eine Fledermaus, zeichnen sich kreisförmige Strukturen wie auf einem Radarschirm ab, bewacht ein Mast mit mehreren Kameras das Geschehen auf, vor und hinter der Bühne und schließlich leuchtet über alldem der weiße Schriftzug „Nacht“. So seltsam dieser Reigen auch anmuten mag, er steht in einem politischen Kontext.

Bitterli findet in seinem spannend zu lesenden Essay eine sehr treffende Umschreibung für die Weltuntergangsstimmung und das bisweilen als widersprüchlich empfundene Miteinander in Deroubaix’ Arbeiten: „in seinen Großformaten inszeniert Deroubaix eine apokalyptische Vorstellung einer Welt, für die es im Grunde erst noch den Dramentext zu verfassen gilt – oder auch nur den Blick auf die Wirklichkeit zu richten.“

Beim Weitergehen durch die Ausstellung begegnen uns weitere Motive und Symbole, die auf der Ebene des Traums, mehr jedoch auf der des Albtraums angesiedelt scheinen: Eine Mischung aus Monstern, zweigeschlechtigen Wesen mit Dollarnoten im Zähne fletschenden Mund, Skeletten, Gewaltszenen, Kriegsmaschinen und Waffen erscheinen in düsteren oder morbiden Umgebungen. Und so sehen wir bei dem Holzschnitt „Un homme nouveau“, ein Neandertalerskelett von der Seite, das ein erleichtertes „AAAA“ ausstößt, während es seine Notdurft verrichtet, auf der in Großbuchstaben „Money“ zu lesen ist.

Zuweilen erinnern diese Schriftzüge und Logos auf den Bildern an Graffitis oder Plakate, so dass die klassische künstlerische Technik mit der Ästhetik moderner Medien verwoben wird. „Nicht zuletzt entsteht dadurch eine Distanz des Bildes zu sich selbst, die die Referenz auf Videospiele oder Horrorfilme nicht greifen lässt.“ [Melcher] Die Unmittelbarkeit und das Schrille, ja auch Obszöne dieser Bilder „entlarvt nicht ihre eigene Aggressivität, sondern protestiert gegen den Anspruch der oberflächlichen Eindeutigkeit von Zeichensystemen und die Doppelbödigkeit ihrer gesellschaftlichen Nutzung.“ [Melcher]

Fazit: Damien Deroubaix’ Werke, die das Saarlandmuseum zeigt, sind brutal ehrlich, schockierend abgründig, dämonisch provokant und infolgedessen für den Betrachter beängstigend und rütteln erheblich an den träge gewordenen Sehnerven. Dergestalt ist diese Ausstellung extrem perspektivschärfend, weltenhaltig und mit einem unglaublichen Gehör für Dissonanzen in unserer Gesellschaft versehen – und das, obwohl (oder vielleicht auch gerade weil) Deroubaix bei der Arbeit seine Metal-Musik gerne laut aufdreht. Für mich eine der eindringlichsten Präsentationen des Saarlandmuseums in den vergangenen Jahren, der ich sehr viele Besucher wünsche!

Zur Ausstellung ist ein reich bebilderter, 128 Seiten umfassender Katalog in deutscher und französischer Sprache erschienen, der im Museum für 19 Euro und über den Buchhandel für 24 Euro erworben werden kann.

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