Ausstellungsbesprechungen

„Requiem für Vincent“. Fotografie und Installation von Ottmar Hörl in der Städtischen Galerie Neunkirchen, bis 1. Mai 2011

Mit schrillen, provokativen, nachdenklich stimmenden – kurz: aus dem Rahmen fallenden – Kunstaktionen hat Ottmar Hörl in den vergangenen Jahren immer wieder für Aufsehen gesorgt. Zu denken ist vor allem an seine zahlreichen Großinstallationen im öffentlichen Raum, wie etwa die 1.200 in Straubing aufgestellten Gartenzwerge mit Hitlergruß oder die 800 Luther-Plastiken, die im Sommer 2010 den Marktplatz in Wittenberg bevölkerten. Mit der Ausstellung »Requiem für Vincent« gewährt die Städtische Galerie Neunkirchen nun Einblick in die jüngsten Arbeiten des 1950 in Nauheim geborenen Konzept- und Aktionskünstlers. Eine Besprechung von Verena Paul.

Der erste, in warmes Licht getauchte Ausstellungsraum im Parterre der Städtischen Galerie Neunkirchen empfängt den Besucher mit der schwarz-weißen Fotoserie »Requiem für Vincent«. Wie ein Band ziehen sich die von Dynamik, Spannung und Formverschmelzungen geprägten 37 analog realisierten Fotografien an den weißen Wänden entlang. Bei eingehender Betrachtung beginnen wir nach wiederkehrenden Mustern, nach Ordnungsgefügen zu suchen und müssen schließlich erkennen, dass dies nicht so einfach ist, weil der Zufall auf die Entstehung der Bilder Einfluss nahm. Denn Ottmar Hörl hatte – während er an einem Sonnenblumenfeld vorbeifuhr – die Kamera am Vorderrand seines Drahtesels befestigt, so dass diese in regelmäßigen Abständen automatisch Aufnahmen machen konnte. Dabei rückt der Künstler als Urheber jenes Fotozyklus’ zusehends in den Hintergrund und gibt nur dem »zwangsläufig sich selbst dokumentierenden Prozess« [Hörl] Ort, Zeit, Raum und Bewegung vor. »Die Fotokonzepte«, wie Hörl weiter erläutert, »entwickelten sich aus der Idee, dass ich selbst bei der Entstehung eines Bildes der größte Unsicherheitsfaktor bin. Weil ich immer nur das fotografiere, was ich bereits gelernt habe, bereits kenne oder mir vertraut ist. Ich wollte jedoch ein Foto, das ich noch nicht kenne, und dazu musste ich die Methode ändern. Ich blickte nicht mehr durch den Sucher«. Dergestalt befreit sich der Künstler – durch Übertragung der Entscheidungsgewalt auf den Fotoapparat – von seinem „ästhetischen Programm“, so dass »[d]as Resultat, der belichtete Film, […] nur sich selbst« [Hörl] repräsentiert.

Doch weshalb sucht Ottmar Hörl die enge Beziehung zwischen Kunstschaffendem und Werkergebnis aufzulösen? Ihm geht es zuforderst um die Neuauslotung des Raumes und um die sich ergebenden Kommunikationsmöglichkeiten der Plastiken im städtischen Raum. Hierfür erstellt er, wie es in der Informationsbroschüre heißt, »Werkkonzepte, die sich mit der Kunstgeschichte, der Idee von Skulptur und Malerei, dem Prinzip des Seriellen und dem Spannungsfeld von Natur und Kunst auseinandersetzen«. Und genau das geschieht auch in den gezeigten Fotokonzepten und Installationen. Während die Fotoserie »Requiem für Vincent« durch das Sujet der Sonnenblumen Bezüge zu Vincent van Gogh herstellt, findet in den beiden Räumen des Obergeschosses, wohin der Weg uns jetzt führt, die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema „Natur“ statt.

Im ersten Raum begegnen dem Besucher die beiden großformatigen, auf Leinwände gedruckten Digitalaufnahmen mit Salatköpfen im Bildzentrum. Auch hier nimmt Ottmar Hörl sich so weit wie möglich als Autor zurück, da er die Kamera auf einer rotierenden Bohrmaschine montierte. Das Ergebnis ist ein im Kern scharf konturiertes Motiv, das zum Bildrand hin in dynamische, zirkulierende Lineamenten aufgelöst erscheint. Durch diesen kreisenden Farbsog öffnen sich Räume, so dass wir Hörls Prinzip des Plastischen auch in den Fotografien vorfinden. Im nachfolgenden Raum finde ich mein persönliches Ausstellungshighlight, das mich unter anderem an Erwin Wurms »Selbstporträt als Essiggurkerl« denken lässt: Auf sechs unterschiedlich hohen Metallregalen, die scheinbar wahllos im Raum aufgestellt sind, reihen sich leuchtend grüne Igelkakteen aus Kunststoff. Ihre Körperlichkeit wirkt frappierend real, so dass ich versucht bin, die munteren, stacheligen Kerlchen vorsichtig mit dem Finger zu berühren, um ihre Echtheit zu überprüfen. »Sie greifen«, erklärt Hörl, »die Idee von Natur bildhaft auf und unterstreichen gleichzeitig das Absurdum, dass heute fast alles, was es in der Natur gibt, reproduzierbar ist«. Darüber hinaus können wir erahnen, dass die ästhetisch in Szene gesetzten Igelkakteen den Kunstschaffenden und seine Renitenz gegenüber dem Kunstbetrieb reflektieren. Für Hörl sind sie »künstlerische Pflanzen, die in gewisser Form die Idee des Künstler-Seins repräsentieren« und damit auch auf van Goghs Leben und Künstlertum verweisen. Gerahmt werden die Regale nämlich zudem von vier Kunstzitaten – niederländische Darstellungen der Madonna mit Kind aus dem 15. Jahrhundert, die Ottmar Hörl aus Katalogen reproduzierte und in Originalgröße auf Leinwand drucken ließ. Diese „Multiples“ spielen auf van Goghs Religiosität an, »die als Widerspruch oder Gegenpol zu seinem künstlerischen Nonkonformismus interpretiert werden kann«, wie die Informationsbroschüre erläutert. Interessant erscheint mir besonders, dass Hörl in die Bilder eingreift, indem er den Jesusknaben in ein schwarzes Trikot kleidet. Diese künstlerische Intervention, die die temporär entrückten Werke in unsere Zeit überträgt, versteht Hörl als »Symbol für die Veränderung bei der Betrachtung von Kunst, die wir nur als Konserve kennen«.

Schließlich gelangen wir über eine Treppe in das lichtdurchflutete und durch seine alten Holzbalken architektonisch eigendynamisch wirkende Dachgeschoss. Dort wird die dritte Werkserie präsentiert, aus der wir bereits zwei Aufnahmen (der Salatköpfe) bestaunen durften. Unsere Augen gleiten nun erneut über großformatige, zwischen Malerei und Fotografie oszillierende Digitalaufnahmen und so werden wir von den Farbwirbeln regelrecht aufgesogen: Da verschwimmen rote und gelbe Blumenkelche zu abstrakten Farbtupfern, ragen Grashalme neugierig empor und verlieren sich in den sie umkreisenden, malerisch anmutenden Farbschlieren oder geben Tannennadeln am unteren Bildrand den Auftakt zu einem waghalsig emporstrebenden Farb- und Formspiel. Dergestalt stellen wir fest, dass auch jene ungestümen Wirbel Assoziationen an Vincent van Goghs ausdruckstarken Malduktus wecken. Und insofern zieht sich der rote Faden durch die gesamte Ausstellung: angefangen bei der schwarz-weißen Fotoserie der Sonnenblumen im Erdgeschoss, über die von den Madonnenbildern gerahmte Kakteeninstallation bis hin zu den an gestische Gemälde gemahnenden Fotoarbeiten.

Fazit: Die Städtische Galerie Neunkirchen überzeugt mit ihrer Präsentation »Requiem für Vincent« durch ein tolles Gespür bei der Werkwahl sowie der Werkpräsentation. Dabei werden durch Hörls Arbeiten den Besuchern die Augen nicht nur für die Marginalitäten des Alltags und die den Kunstwerken eingeschriebene Kritik geöffnet, sondern auch und vor allem für deren bizarre, atemberaubende und geistreiche Ästhetik. Eine Ausstellung, die ich uneingeschränkt empfehlen möchte!

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