Ausstellungsbesprechungen

„ÜBER LAND – Blicke in die Provinz“ Ausstellung in der Städtischen Galerie Neunkirchen bis zum 25. Januar 2009 - Fotografien aus der Provinz

„Ich mag dieses Land mehr, so wie man manche Menschen gerade wegen ihrer Unzulänglichkeiten schätzt. Es ist zu kalt hier, das steht fest. Es gibt Bürokraten, es gibt Verbrecher, Spießer. Aber wo gibt es die nicht? Sagen Sie mir ein Land, und ich ziehe sofort dorthin.“ So beschreibt Jan Weiler („In meinem kleinen Land“) das Leben in der Provinz, die mit den unterschiedlichsten Assoziationen verbunden werden kann. Für viele Menschen ist sie Rückzugsort, eine idyllische, mit Traditionen verknüpfte Welt der Geborgenheit.

Für andere wiederum steht das Leben auf dem Land für Engstirnigkeit, Anpassung, Einreihung in die bereits von Generationen ausgetretenen Pfade und nicht zuletzt für Stagnation. Dennoch sind es nicht selten Städter, die eine „Sehnsucht nach Entschleunigungsoasen“ verspüren, wie Rudolf Scheutle es so treffend in seinem Katalogbeitrag formuliert. Filmemacher und Literaten haben bereits in ihrem Metier erfolgreich bewiesen, dass auch die „lange verschmähte Provinz ungewöhnliche Stoffe und Geschichten“ [Scheutle] in sich bergen kann.

 
Und genau diese Stoffe und Geschichten werden in der Ausstellung „ÜBER LAND – Blicke in die Provinz“, die bis zum 25. Januar 2009 in der Städtischen Galerie Neunkirchen zu sehen ist, von acht Fotografinnen und Fotografen aufgegriffen. Mit der Kamera erkundeten sie den Lebensraum fern der großen Zentren oder entdeckten die eigene Heimat neu. Dabei spielen sie mit klischeehaften Bildern, formulieren eine aufrichtige Liebeserklärung an die heimatliche Provinz, nähern sich liebevoll-ironisch den Bewohnern eines Landstriches an oder spüren einem sorgsam gehegten Idyll der Freiheit auf Campingplätzen nach.
 

Beim Betreten der Städtischen Galerie stößt der Besucher im Souterrain zunächst auf die Fotoarbeiten von Robert Paulus. Der Künstler begleitet mit seiner Kamera die Prozession zu der Reliquie des „Heiligen Blutes“ in der Basilika Weingarten. Hierbei ist ihm weniger an jener seit über 900 Jahren zelebrierten oberschwäbischen Reiterprozession gelegen, als vielmehr an den Randereignissen und der Atmosphäre, die sich um dieses riesige Spektakel ranken. Im Gegensatz zu dem wirtschaftlich prosperierenden Oberschwaben steht der von einer hohen Arbeitslosigkeit geprägte Landstrich des Oderlandes, dem sich Elmar Haardt gewidmet hat. Er interessiert sich primär für die Lebenswirklichkeit der hier lebenden Jugendlichen, die in das Spannungsfeld von ländlicher Weite und beklemmender sozialer Enge eingebunden sind.

 
Über die Treppe gelangen wir dann in das erste Obergeschoss, das uns mit den als Diaprojektion präsentierten Arbeiten von Andreas Reeg empfängt. Hinter einem schwarzen Vorhang wird der Betrachter in das mittelschweizerische Emmental entführt. Dort fand der Künstler im Dienstbotenheim Oeschberg ehemalige Knechte und Mägde, die auf ganz eigene Weise ihren Lebensabend verbringen, da ihnen die Möglichkeit geboten wird, die jahrzehntelang ausgeübte Arbeit in einem angeschlossenen landwirtschaftlichen Betrieb nach Belieben fortzuführen. Die Aufnahmen Reegs zeugen von großem Einfühlungsvermögen, da sie uns auf der einen Seite das würdevolle Altern und auf der anderen Seite in humorvoller Manier die Eigenheiten alter Menschen vor Augen führen, ohne diese jedoch bloß zu stellen.
 
Im nachfolgenden Ausstellungsraum haben sich gleich drei KünstlerInnen versammelt. Anja Lehmann hat für ihren Bildzyklus „Dauercamper“ nicht nur einen Landstrich, sondern gleich zehn Orte bereist, um die bisweilen groteske Kombination von Kitsch und Kunst, von gemütlichem Wohnen und rustikaler Naturverbundenheit zu dokumentieren. Es sind Aufnahmen entstanden, die einen neugierigen Blick auf das Leben von Familien werfen, die ihren Jahresurlaub auf dem Campingplatz verbringen oder auf Rentner, die sich das ganze Jahr über dort eingerichtet haben. Stefan Eikermann dagegen präsentiert dem Betrachter in seiner Serie „Die Stille hinterm Haus“ Arbeiten, die in ihrem kleinen Format zu Ruhepolen avancieren. Einen besonderen Stellenwert erlangen in dieser Reihe die Außenaufnahmen, die nicht inszeniert, aber in ihrer ästhetischen Gestaltung ungemein ausbalanciert sind und manchmal an Werke der „Subjektiven Fotografie“ erinnern, da scheinbar nichts dem Zufall überlassen wurde. Die Innenaufnahmen erfassen demgegenüber nostalgische Erinnerungen und öffnen manchem Betrachter die Pforte zu eigenen Kindheitserinnerungen.
 

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Das Leben auf dem Land kann gerade in der Kindheit sehr schön und unbeschwert sein, „[v]ielleicht, weil die Regeln dort dehnbarer sind als in der Stadt, weil es größere Spielräume gibt“, so Scheutle. Und dies erinnert auch Juliane Eirich in ihrer Serie „Schneenacht“, die aus einem teils freudigen Erwarten der heimatlichen Gefilde und einem teils melancholischen Gefühl heraus entstanden ist, das sich immer bei einem ihrer längeren Aufenthalte in der bayerischen Heimat einstellt. Durch virtuose Helldunkelwirkungen verwandelt die Fotografin vertraute Ansichten ihres Heimatdorfes zu surrealen Nachlandschaften, in der die Kindheitstage eingeschmolzen sind. Rainer Maria Rilke erfasst diese melancholische Stimmung, die uns bei der Erinnerung an die längst vergangenen Kindertage befällt präzise in dem Gedicht „Kindheit“: „Es wäre gut viel nachzudenken, um / von so Verlornem etwas auszusagen, / von jenen langen Kindheit-Nachmittagen, die so nie wiederkamen – und warum? // Noch mahnt es uns –: vielleicht in einem Regnen, / aber wir wissen nicht mehr was das soll; / nie wieder war das Leben von Begegnen, / von Wiedersehn und Weitergehn so voll // wie damals, da uns nichts geschah als nur / was einem Ding geschieht und einem Tiere: / da lebten wir, wie Menschliches, das Ihre / und wurden bis zum Rande voll Figur. // Und wurden so vereinsamt wie ein Hirt / und so mit großen Fernen überladen / und wie von weit berufen und berührt / und langsam wie ein langer neuer Faden / in jene Bilder-Folgen eingeführt, / in welchen nun zu dauern uns verwirrt.“
 

 
Anschließend führt uns der Weg ins zweite Obergeschoss, wo wir sogleich auf die Arbeiten der Düsseldorfer Künstlerin Kathrin Ahlt blicken. Es sind klischeehaft auf die Spitze getriebene Ansichten der bayerischen Landschaft, die durch ihre künstlerische Unschärfe und die malerische Wirkung „wie ein zarter Nachhall des vor gut einem Jahrhundert beliebten Piktorialismus“ [Scheutle] anmuten. Dabei vermittelt Ahlt die Sehnsucht nach Dauer und Kontinuität, entfremdet und verrätselt aber im selben Augenblick das Vertraute und schafft – vor allem durch das Plexiglas, das sich spiegelnd auf den Farbabzug legt – eine bizarre Bildwirkung.
 
Jenseits einer verklärenden „ländlichen Romantik“ entwirft Werner Huthmacher in seinem Fotozyklus „Sitzendorf“ – mit Porträts, Interieurs und Landschaften – „einen liebevoll-ironischen Erzählstrang“, so das Fazit Scheutles. Der Betrachter trifft auf Straßenfluchten, die partiell einer anderen Zeit entstammen könnten, aber eben auch nur partiell. Denn selbst auf dem Land ist die Zeit nicht ganz stehen geblieben, so dass etwa Hochspannungsleitungen in das nostalgische Motiv hineinragen. Zudem be- und „entschleunigt“ der Künstler seine Arbeiten, indem er an einigen Stellen die Fotografien „weich zeichnet“, ihnen einen rätselhaften Schleier vorhängt. Er erzählt mit seinen Werken Geschichten, die nicht immer schlüssig sein müssen, aber vielleicht ist es gerade diese Offenheit, die unsere Phantasie anregt.
 

 

 
Die Ausstellung „ÜBER LAND – Blicke in die Provinz“ versammelt acht Bilderzyklen zu einem Kaleidoskop des ländlichen Alltag, „in dem das Unspektakuläre seine verborgene Schönheit und das Gewöhnliche seinen Charme offenbart.“ [Nicole Nix-Hauck] Diesem Charme kann der Ausstellungsbesucher in atmosphärisch aufgeladenen Räumlichkeiten nachspüren und er wird überrascht feststellen, wie schnell die Arbeiten – die überaus geschickt positioniert wurden – mit ihm in einen regen Dialog treten. Fazit: Ein absoluter Augenschmaus, der nicht nur Kunsthungrigen schmecken wird!

 

Weitere Informationen

Öffnungszeiten:
Di, Mi, Fr 10-12.30 Uhr und 14-17 Uhr
Do 10-12.30 Uhr und 14-18 Uhr
Sa 14-17 Uhr
So und am 2. Weihnachtstag 14-18 Uhr
Geschlossen ist die Ausstellung am 24./25./31. Dezember 2008 und am 1. Januar 2009.
 
Öffentliche Führung
Kostenlos
Sonntag, 11. Januar, 15 Uhr
 
Eintritt
Frei
 
Katalog
Der in einer Auflage von 400 Exemplaren erschienene Katalog „ÜBER LAND. Blicke in die Provinz“ beeindruckt nicht nur durch die Vielzahl der hervorragend wiedergegebenen Farbabbildungen, sondern auch durch das einfühlsam geschriebene Vorwort Nicole Nix-Haucks und den informativen und wissenschaftlich fundierten Beitrag „Landei aus Leidenschaft – Fotografie jenseits von Zersiedlung und Abwanderung“ von Rudolf Scheutle. Auf 36 Seiten gelingt es dem Katalogwerk, die gängigen Klischees über „Provinz“ zu unterlaufen, da diese, wie es Nix-Hauck so pointiert formuliert, „Heimat […] und heile Welt, Vertrautheit und Sicherheit, aber auch Enge, Behäbigkeit und Spießigkeit, Skurriles und Liebenswertes, Zwang und Freiheit“ verkörpern kann.
 
ÜBER LAND. Blicke in die Provinz, Fotografien von Kathrin Ahlt, Stefan Eikermann, Juliane Eirich, Elmar Haardt, Werner Huthmacher, Anja Lehmann, Robert Paulus, Andreas Reeg, hrsg. von Nicole Nix-Hauck (Städtische Galerie Neunkirchen), M & G. Medienagentur und Verlag, Saarbrücken 2008, 36 Seiten. Preis:  8 €, ISBN 978-3-00-026483-2
 
Der Katalog ist nur über die Galerie zu beziehen.

 

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