Ausstellungsbesprechungen

„vorübergehend“ Malerei von Anja Hantelmann, Städtische Galerie Neunkirchen, bis 1. November 2009

Unter dem Titel „vorübergehend“ zeigt die Städtische Galerie Neunkirchen die gegenständlich-figurative Malerei der 1966 in Hamburg geborenen Künstlerin Anja Hantelmann, die an der Hochschule der Bildenden Künste Saar studiert hat. Im Mittelpunkt stehen drei große Bilderzyklen, die persönliche Erfahrungen des Flüchtigen nachzeichnen: die körperliche Empfindung von Wasser, die Konfrontation mit dem eigenen Spiegelbild sowie assoziative Bilder zum Begriff „Heimat“. Die oft aus Fotos und Videos heraus entwickelten Gemälde sind „Momentaufnahmen des Unspektakulären“, die in der vergänglichen Erscheinung das dauerhaft Bleibende suchen. Sie frieren den Augenblick ein, verleihen ihm Dauer in der Bewegung und scheinen doch permanent in Auflösung begriffen zu sein.

Der Ausstellungsraum im Parterre empfängt den Besucher mit Werken der Serie „Heimat“, die zwischen Realität und Imagination oszillieren. „Dinge und Figuren erscheinen stellenweise“, so Nicole Nix-Hauck in ihrem zum Werkverständnis beitragenden, klar strukturierten Katalogtext, „klar und prägnant, stellenweise verwischt und farblich eingetönt oder vom Licht überblendet wie Bilder auf einer alten Filmrolle.“ Aus einer Vielzahl von Mosaiksteinchen der persönlichen Erinnerung schöpft Anja Hantelmann Ideen für ihre Gemälde, etwa bei dem Bild „fast angekommen“, das beim Betreten des Raums direkt ins Auge sticht. Darauf zu sehen: Die Großeltern der Künstlerin, die, an einem Tisch im Freien sitzend, emotionale Heimat verkörpern. Der von Wärme durchdrungene Blick auf die geliebten Menschen ist sanft, die Zeit wurde ausgebremst und die Form- und Farbdynamik aus dem Bild genommen. Vergangenheitsschwanger auch die „Apfelschale“, die in einer Wohnstube auf einem Tisch steht und von einem ermatteten Sonnenlicht beschienen wird, oder das großformatige Werk mit der „Apfelschälerin“, die in einem hellen Raum an einem Tisch mit buntgemusterter Decke sitzt und konzentriert ihrer Arbeit nachgeht. Doch nicht alles, was von der Künstlerin erinnert wird, ist positiv konnotiert. Der „Waschtag“ zeigt beispielsweise die fröhlich im Wind flatternde, helle Wäsche im Kontrast zu einem an der Hauswand gelehnten, weinenden Mädchen und lässt Anklänge an das Werk Edward Hoppers erkennen. Gesteigert wird das Unbehagen bei dem Werk „Stille“: Eine Frau, auf einer Holzbank sitzend, wird von einer rechts ins Bild strömenden Lichtflut umhüllt, ihr Gesicht, die Brust sowie Partien der Beine dagegen werden von Schatten, die von links ins Bild eindringen, geblendet, ihre Identität ausgelöscht und auf diese Weise Wirklichkeit in einem Zwischenbereich eingeschmolzen.

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Während in der Serie „Heimat“ nicht selten eine nostalgische Idylle aufgebaut wird, unterwandert die Künstlerin in dem großformatigen Werk „Helloween“, das uns auf dem Weg ins erste Obergeschoss begegnet, diese harmonische Atmosphäre. Ein im Gesicht weiß geschminktes Mädchen blickt dem Betrachter ernst entgegen, wobei ihr schwarzes Unterkleid, dem ein zartrotes, florales Muster eingewebt ist, sowie das mit Rüschen besetzte, weißschimmernde Oberkleid einen Kontrast zum Kindergesicht bilden. Irritierend ist darüber hinaus das Fehlen des rechten Unterarms, der sich im Schwarz des Bildgrundes verliert, und die beiden am Leib aufgeschlitzte Fische, die – links im Bild – zu schweben scheinen. Eine vertraute Alltagszene kippt um, da der Habitus der Figur sowie das Inventar der Szene sich gegen eine naive Geschichte sträuben. Das Liebliche wird in einer nahezu perfekten Malerei derart gesteigert, dass das Bedrückende zum Vorschein gebracht werden kann. Hierin artikuliert sich eine gewisse Nähe zu Arbeiten Martin Eders, die gleichsam das unter der polierten Oberfläche verborgene Abgründige aufzudecken suchen, ihnen aber zusätzlich noch eine stark erotische Note unterlegt ist. Hantelmanns Werk springt aus dem Rahmen der drei in Neunkirchen gezeigten Werkserien heraus, scheint mir aber sowohl durch das Sujet als auch die beinahe altmeisterlich zu nennende Ausarbeitung eines der Highlights der Ausstellung zu sein, so dass es umso bedauerlicher ist, dass es nur in einer Nische Platz gefunden hat...

Im ersten Raum des Obergeschosses treffen wir dann auf das zweiteilige Werk „Erinnerung“ der Serie „flüchtig“, das eine Frau in Vorder- und Rückenansicht zeigt sowie die Umrisse zweier Figuren im Gegenlicht. Schemenhaft, verschwommen sind die Gesichtszüge angedeutet, so dass sich uns die Gestalten recht schnell wieder – als entpersonalisierte Wesen – entziehen. In der Arbeit „Passage“ wurde die weibliche Figur erneut in Rückenansicht dargestellt: Durch ihre Bewegung von rechts nach links zieht sie weiße Schatten hinter sich her, die das Zerreißen, die Verlorenheit des Ichs in der davonfliegenden Zeit andeuten.

Einen Raum weiter dann die Fokussierung auf das eigene Ich im Spiegelbild, das – fremd geworden – neu entdeckt werden will. Farbschlieren, die dem fortlaufenden Verschwinden, der Flüchtigkeit des Augenblicks nachspüren, wirken wie Schleier über der Vergangenheit, die entrückt, aber nicht der Erinnerung entzogen werden konnte. Wunderbar können wir dies in den Arbeiten „was mich wundert“ und „kein Schritt zuviel“ wahrnehmen.

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 Während das eine den Blick auf die Schultern einer Frau freigibt, die mit geschlossenen Augen und ausgestrecktem rechtem Arm ihrem Gegenüber sich annähert, tastet sich auf dem zweiten Bild eine Stehende in weißem Unterkleid auf einem ihre ganze Statur einfangenden Spiegel vorsichtig entlang. Sie kneift die Augen prüfend zusammen, um zu suchen und doch nicht fündig zu werden, um zu verstehen und doch nur erahnen zu können. Der Spiegel, sowohl Zeichen der Eitelkeit als auch der Selbsterkenntnis, vermag der Frau weder den – so der Volksmund – „Spiegel vorzuhalten“ noch ihre Seele zu spiegeln, zu „flüchtig“ ist der Augenblick, zu verschwommen seine Wahrnehmung.

Auf dem Weg in das zweite Obergeschoss begegnen uns Arbeiten aus dem Bilderzyklus „im See“, in dem Wasser für den Betrachter körperlich in einer außerordentlichen Intensität erfahrbar gemacht wird. Eine Frau in weißem Kleid lässt sich durch das von Lichtspielen belebte Wasser treiben oder gleitet mit kraftvollen Bewegungen ihrer Arme an der schimmernden Oberfläche. Dabei zerläuft der Körper bisweilen zu abstrakten Farbschlieren, wobei mit der Auflösung der Figur „das beunruhigende Verschwimmen der Wahrnehmung“ einhergeht, wie Nicole Nix-Hauck erklärt. „Aus diesem ambivalenten Stimmungsgehalt und der Anknüpfung an das in der Kunstgeschichte vielfach variierte Ophelia-Motiv beziehen die Darstellungen ihre subtile Mehrdeutigkeit und Rätselhaftigkeit. [...] Anja Hantelmann zitiert [jedoch] nicht das Bild der sterbenden Ophelia, die sich im Wahnsinn dem Tod im Wasser übergibt, doch sie arbeitet“, so Nix-Hauck, „mit daran geknüpften Assoziationen: Weiblichkeit und Melancholie, Auflösung und Einswerden mit der Natur, der Dualismus von Aktivität und Passivität, der Übergang zwischen zwei Zuständen.“

Spannend in diesem Ausstellungsraum ist vor allem die Integration des menschenleeren Gemäldes „draußen geborgen“, das die Perspektive einer/eines Schwimmenden wiedergibt. Über das von Lichtflecken belebte Wellenspiel eines dunklen Sees geht der Blick auf das in der Ferne liegende Ufer und den von zarten Wolkenbändern durchflochtenen, hellblauen Horizont. Mit diesem Werk ist der Künstlerin ein meditatives Meisterstück gelungen, denn sie zieht uns mit in das kühle Element, lässt uns eintauchen, vergessen, frei schwimmen und unendlich glücklich sein. Und mit genau diesem Gefühl können wir diese insgesamt beachtliche Ausstellung verlassen!

Zur Ausstellung erscheint ein reichbebildertes Katalogwerk, das zum Preis von 8 Euro erworben werden kann.

Kostenlose öffentliche Führungen

Sonntag, 27. September und Sonntag, 18. Oktober 2009, jeweils 15 Uhr.

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