Ausstellungsbesprechungen

»Brigitte Kowanz – Now I See« und »The Moderns – Revolutions in Art and Science 1890–1935«, MUMOK Wien, bis 3. Oktober 2010 bzw. bis 23. Januar 2011

Der Wiener Lichtkünstlerin Brigitte Kowanz (geb. 1957) hängt der Ruf an, allein auf weiter österreichischer Flur, aber weithin sichtbar die phosphoreszierende Kunst in die Welt zu tragen. Ihre aktuelle Ausstellung in Wien hat Günter Baumann ebenso besucht wie die gleichfalls dort stattfindende Schau »The Moderns – Revolutions in Art and Science 1890-1935«.

Kowanzes Image im einzelnen zu beleuchten ist müßig, aber es ist festzuhalten, dass Kowanz in den 1980er Jahren die farbigen Leuchtstoffröhren für sich entdeckte, als ihre Kolleg(inn)en in wilder gestischer Manier Farbe auf die Leinwand warfen. Zudem mag es überraschen, dass die neonunterstützte Kunst in der Alpenrepublik kaum eine internationale Rolle spielt: eher wird man im englischsprachigen Raum sowie in Deutschland und Frankreich Vertreter benennen können, die über die Grenzen hinaus einen Namen haben. Allerdings wäre es ungerecht, wenn man die sicher bestehenden jüngeren Entwicklungen ungeprüft außer Acht ließe. Welch Desiderat das dennoch in Österreich sein muss, zeigen die überraschend vielen öffentlichen Aufträge, die Brigitte Kowanz bislang verzeichnen kann: Rund 60 Arbeiten weist sie im öffentlichen Raum auf, eine sensationelle Spitzenposition. 2009 erhielt sie den Österreichischen Staatspreis verliehen, was die Alleinstellungsbehauptung zumindest unterstreicht. Nicht zuletzt die Ausstellung im MUMOK in Wien positioniert die Künstlerin völlig zu Recht im vorderen Feld der Zunft. Ihre Kunst vermag einen Zauber zu entfalten, der sich offenbar in der Nacht der Stadt genauso behauptet, wie er innerhalb der Architektur Räume schafft, die ihresgleichen suchen. Im eigens eingerichteten, 450 qm messenden Spiegelraum setzt sie die Sprache und das Licht in Beziehung mit der sichtbaren und der übertragenen Reflexion – als Spiegelbild und Denkbild. »Now I See« ist als Titel der Schau deshalb auch Programm; er bedeutet Kowanz zufolge »sowohl JETZT SEHE ICH als auch JETZT VERSTEHE ICH«. In der Tat gibt es kaum eine Künstlerin, einen Künstler, die bzw. der den Raum derart spannungsreich und poetisch aufladen kann, ohne in Pathos zu verfallen, wie Brigitte Kowanz. Mit einem Schuss Ironie befördert sie ihre Lichtquelle leitmotivisch oft in Flaschen – das Bild der ›Abfüllung‹ drängt sich förmlich auf. Andrerseits nimmt sie das Licht als »elementare Sache« ernst genug, um es durchweg überzeugend zu inszenieren.

Die Ausstellung wird begleitet von zwei Lichtprojekten in der Stadt, einmal an der Museumsfassade selbst, zum anderen am Uniqa Tower (mit 40000 Lichtpunkten auf 7000 qm!), was schon topographisch die Kunst von Brigitte Kowanz in einer Art Quantensprung regelrecht ins Universum transportiert. Außerdem wird die Lichterschau flankiert von einer fulminanten Ausstellung »The Moderns« über die Revolutionen in Kunst und Wissenschaft zwischen 1890 und 1935. So eklatant der Zusammenhang heute, zumal im Bereich der neuen Medien oder der Lichtkunst ist, so unterschwellig wichtig waren wissenschaftliche Erkenntnisse immer schon für die zeitgleich entstehende Kunst. Ein Künstler muss zwar nicht auf der Höhe der Forschung sein – man erinnere sich, wie eng das Verhältnis zu Zeiten von Leonardo oder Raffael immerhin schon war –, aber er wird dieselben Sensoren haben wie ein Wissenschaftler; nur die Ergebnisse sind verschieden. Darüber hinaus darf man die Faszination nicht gering schätzen, die die Quantenphysik, die Relativitätstheorie oder die Röntgentechnik um 1900 und kurz danach ausübten. Es war auch die Zeit des künstlerischen Umbruchs in die Moderne. Machten die Wissenschaftler bislang unerklärliche oder nicht wahrnehmbare Phänomene sichtbar, legten die Impressionisten eine zerlegte Wirklichkeit vor, die von den Futuristen (die bekanntlich von einem Automobil entzückter waren als von der Venus von Milo), den Kubisten und den Dadaisten auf je unterschiedliche Weise noch entschiedener in Frage gestellt wurde. Rund 250 Gemälde, Plastiken, Fotos und Zeichnungen zeugen in der Wiener Sensationsschau vom Einfluss, den die Wissenschaft auf die Kunst ausübte. Das ist keine neue Erkenntnis, aber eine überzeugende Bilanz dessen, was wir über den behandelten Zeitraum wissen. Ein Jahr lang war die Kuratorin Susanne Neuburger und ihre Kolleg(inn)en auf der Suche nach den Exponaten – das Ergebnis lässt sich sehen: Archipenko, Arp, Balla, Baumeister, Belling, Delaunay, van Doesburg, Duchamp, Duchamp-Villon, Ensor, Ernst, Gleiszes, Gris, Gutfreund, Haussmann, Itten, Kandinsky, Kertesz, Klee, Kupka, Le Corbusier, Lipchitz, Lissitzky, Moholy-Nagy, Mondrian, Picabia, Picasso, Man Ray, Rodtschenko, Rosso, Schlemmer, Zadkine u.a.m. Diese geballte Ladung genialer Bildwelten wird konfrontiert mit den Weltbildern u.a. von Bergson, Einstein, Helmholtz, Mach, Nietzsche, Pincaré, Planck, Schopenhauer sowie theoretischen Grundelementen wie Energie, Raum, Bewegung und Zufall.

Es mag Zufall sein, dass sich in Wien die grandiose Kunst der Brigitte Kowanz auf eine Themenausstellung zum Einfluss der Wissenschaft auf die Kunst trifft. Eine bessere Überschneidung kann man sich kaum vorstellen.

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